Lorsch. Von Landwirtschaft versteht er etwas. Er sei „der Sohn eines Bauern und einer Friseuse“, stellte sich Ulrich Zehfuß im Theater Sapperlot vor. Dort präsentierte der Künstler am Dienstagabend beim letzten Kultursalon dieser Saison einen Song aus seinem Album „Erntezeit“, der nicht mehr so schnell aus dem Kopf will. Obwohl jeder das Umweltproblem längst kennt, geht es Zuhörern bei Zehfuß doch nahe. Der Liedermacher singt über Ackerfolie – und zwar ein „Liebeslied“.
Ein „Stalker-Song“, präzisierte Zehfuß. „Du wirst mich nicht los“ heißt sein Titel über die schwarze Folie, die er mit der Pest vergleicht. „In deinem Körper bin ich längst“ singt er über die Mikroplastikteilchen, die von der Folie nach dem Gebrauch für Erdbeeren und Spargel übrig bleiben, für immer. „Auch in deinem Kind“, reimt der Autor zur Gitarrenbegleitung über die „Fetzen im Wind“. Die winzigen Partikel bleiben hier, sie haben Ewigkeiten Zeit dafür.
Dass er nicht nur ernst, sondern auch leicht, witzig und wehmütig kann, beweist der gebürtige Ludwigshafener in Lorsch mit einem Trinklied wie „Gut, dass wir schlauer als Hefe sind“ und vor allem über die Jugendzeit. Da singt der Vater eines 17-Jährigen über die wunderbare und leider viel zu kurze Phase, in der man noch nichts muss, aber schon alles kann. „Als das Leben noch nicht losgegangen war“ und ein Junior „nie werden will wie der Papa“. Es gibt viel Beifall für Zehfuß.
Humor ist Geschmackssache
Das war bei seinen drei Künstlerkollegen, die den Kultursalon gestalteten, nicht anders. Eröffnet wurde das Programm von Michael Genähr. Der Comedian gilt als ein Urgestein seiner Branche, er verfügt über 40 Jahre Bühnenerfahrung. Er möchte aber lieber als „Fossil“ bezeichnet werden. „Da hat man doch mal gelebt“, witzelt der Berliner. Dass er seinen Beruf „nicht erst seit gestern“ ausübt, erzählt er auch dem Lorscher Publikum. Lampenfieber habe er trotzdem immer noch, denn „jeder Abend ist anders“ und Humor ohnehin „Geschmackssache“.
Genähr schildert amüsant, wie er die jüngste Polizeikontrolle meisterte. Er sei „Gag-inkontinent“. Das fand der Beamte, den er austanzte, allerdings nicht ganz so lustig wie der Erzähler und vermeintliche Verkehrssünder. Auch die eigene Familie pflegt offenbar einen anderen Humor. Was jedenfalls flüstert der 16-jährige Sohn am Abendbrottisch der jüngeren Schwester zu, als der Vater gerade glänzend aufgelegt einen Witz erzählt? „Lach, damit er sich gut findet.“
Immobilien allerdings machen Witze lustig, klärt Genähr auf. Wenn er seinen alten Onkel in der Seniorenresidenz besucht, lacht er persönlich sogar bei langweiligsten Späßchen bereitwillig auf, der Onkel schließlich hat „mehr Immobilien als Verwandte“. Der Comedian, als siebtes Kind seiner Eltern geboren, weil diese mit seinen sechs älteren Geschwistern wohl nicht so zufrieden gewesen seien, verrät sogar das Geheimnis einer dauerhaften Ehe. Humor und Vertrauen, ja sicher, die seien wichtig. Am erfolgreichsten aber sei Ehrlichkeit. Also, genauer gesagt: Ehrlichkeit, die gut vorgetäuscht ist.
Kann man davon leben? Das wollten Zuschauer nach jedem Auftritt von Künstlern wissen – auch von ihm. „Nein“, sagt er also ungefragt schon vorab von der Bühne herab. Er vermiete nebenbei Hüpfburgen, behauptet er. Einem großen Publikum ist der fernsehbekannte Genähr etwa durch den Quatsch Comedy Club vertraut, im rappelvollen Sapperlot feierte er jetzt Premiere.
Schwester Lilli weiß: „Lorsch ist das Brasilien Südhessens“
Wer es noch nicht bemerkt haben sollte: „Lorsch ist das Brasilien Südhessens.“ Das stellte jedenfalls eine begeisterte „Schwester Lilli“ beim Blick in das äußerst gut gelaunte Theaterpublikum fest. Und die muss es wissen, schon aus ihrer langen Erfahrung aus der Hessen-Fastnacht. Lilli alias Guido Klode brachte den Saal mühelos zum Mitsingen von uralten Grufti-Werbeslogans und steckte mit ihrer robusten Fröhlichkeit sofort jeden an.
Lilli, mit Lockenwickler-Frisur und im Schwesternkittel erzählte, wie sie gemeinsam mit Olga magersüchtige Models in der „Modelmästerei“ heilte, einen an „Doktorspielen“ interessierten jungen Mann abservierte und versicherte Abnehmwilligen, dass beim Lachen mehr Energie verbraucht werde als beim Sex – den größten Erfolg habe, wer beides kombiniere, ermunterte sie. Schwester Lilli und ihre Rezepte sorgten für viel Heiterkeit und ernteten im Sapperlot nicht nur viel Beifall, sondern auch Zugabe-Rufe.
Zum Finale gab‘s im Theater Zauberei. „Desimo“ trat auf, aus der Humorhochburg Hannover. Magier Detlef Simon spielte meisterhaft mit Worten, Pokerkarten und Seilen, holte dazu einen Zuschauer als Mitwirkenden auf die Bühne und band einen anderen in die Kartentricks rund um die „Pik 9“ ein. Über das einhändige Knotenwunder aus immer wieder zerschnittenen Seilen staunte das Publikum ebenso wie über die rätselhaften Silben, die sich schließlich auflösten zu einem einfachen Satz „Ein scharfes Messer gab Elfriede den Rest“. Auch von „Desimo“ fordert das Publikum nach starkem Beifall eine Zugabe. Er gewährt sie und verabschiedet sich dann mit einer Verbeugung.
Moderator Daniel Helfrich tröstete mit der Aussicht auf ein abendfüllendes Programm des Künstlers im Herbst in Lorsch und kassierte auch selbst nicht wenig Applaus für seine Darbietungen am Klavier. Sein „autobiographisches Lied“ über sein „Faible für Pferdefrau‘n, die lässig mit der Gerte hau‘n“ kommt zum Beispiel gut an. „Sie ist beim Pferd, ich steh‘ am Herd“, seufzt er zum Schluss , mancher Zuhörer kennt das offenbar aus eigenem Erleben. Auch sein Rap „mit Gewaltphantasien“ und dem Refrain „Schade, aber besser“ zündet und der Saal stimmt ein.
Der Kultursalon, präsentiert von Sappalostra, dem Förderverein des Lorscher Theaters, geht jetzt in die Sommerpause. Am 26. August startet er in die neue Saison. Die besten Kultursalon-Künstler werden für den „Lorscher Abt“ nominiert. Der begehrte Kleinkunstpreis wird im November in Lorsch im Theater verliehen.
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