Lorsch. „Reverend“ Rebers ist der Exorzist des deutschen Kabaretts. Er befreit eine vom Zeitgeist besessene Gesellschaft von den bösen Geistern, die in ihr wohnen. Dabei tritt er direkt mit den Dämonen in Kontakt, die der sozialen Identitätsstörung Vorschub leisten. Die Folge ist eine reinigende Konfrontationstherapie durch humoristische Heilkunst und intellektuelle Klarheit, mit der man erst einmal fertig werden muss.
Mit einem verflucht guten Auftritt hat Andreas Rebers dem Publikum im Theater Sapperlot eine zweistündige Katharsis geschenkt. „Ich helfe gern“ titelt das aktuelle Programm des 64-jährigen Autors, Musikers und Kabarettisten, in dem der Feingeist eines Hanns Dieter Hüsch mit der Wahrhaftigkeit eines Dieter Hildebrandt zu fusionieren scheint. Allerdings ist Rebers nur von einem richtig besessen: vom Diktat der Wahrheit und Aufrichtigkeit, die er seinen Artgenossen ohne Rücksicht auf Verluste zumutet und dafür, nicht nur viele Kleinkunstpreise, sondern gelegentlich auch Kritik einheimst.
Bevorzugt auf dünnem Eis
Das dünne Eis ist seine bevorzugte Spielfläche. Minimalistische Pointen sind seine Stärke, politische Korrektheit ist das Feindbild. Wenngleich er plakative Zielscheiben und einfache Antworten eigentlich zutiefst verabscheut. Intelligent und respektlos, humanistisch und gradlinig, geistreich und revolutionär. Man könnte noch Dutzende weitere Adjektive herunterrattern und käme der Bühnenkunst des Rebers dennoch nicht auf die Spur.
Mit Akkordeon und E-Piano überm kleinbürgerlich röhrenden Hirschmotiv zertrümmert der gebürtige Niedersachse schiefe Weltbilder, denkfaule Mitläufer und bornierte Perspektiven. Rebers gibt einen charmanten Erzähler mit scharfer Zunge und einer ausgefeilten Bühnen-Choreografie aus Text und Musik, die zum kollektiven Ungehorsam aufruft gegen all jene, die es sich in einem falschen Leben gemütlich gemacht haben.
Leise und provokant
Rebers spricht pointiert, aber erfrischend arm an Pointen. Leise und provokant seziert er gesellschaftliche und politische Zustände, ohne selbst den moralischen Vorbeter zu spielen, was in der Szene ja durchaus keine Seltenheit ist. Andreas Rebers repräsentiert eigenen Angaben zufolge ein Kabarett der radikalen Mitte, das bequeme Denkmuster zerfetzt, Ideologien demontiert und hartnäckige Ansichten vom Sockel schubst.
Der Wahl-Münchner ist satirischer Pädagoge und aufmerksamer Psychoanalytiker, wortreicher Nahkämpfer und stiller Reflektor mit poetischer Ader. In der Auseinandersetzung mit allem und jedem fühlt sich Rebers am wohlsten.
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In Lorsch geht es immer wieder um die Abgrenzungsprobleme der Deutschen, die alles unter Naturschutz stellen, was irgendwie vertraut, nah oder kulturell auf irgendeine Weise sympathisch ist: so empöre man sich über den Verlust des brasilianischen Regenwalds, während der Forst in Sibirien gerne verrecken darf.
Das Gerede von den „alten weißen Männern“ ist für Rebers billigster Rassismus, die klassische Frage der Schuld sowohl Waffe der zeitgenössischen Öko-Jugend wie auch seit 2000 Jahren der Topseller der christlichen Kirche. Es geht um Argumente, nicht um Posen und schnelle Verschwisterungen mit dem Lager, dem gerade die Sonne ins Gesicht scheint und das dabei eine dauerhafte Verblendung riskiert. „Lasst uns die Kirche im Dorf anzünden.“
Links und reich
Seine Kunstfigur ist links und reich („Arm und rechts ist ja auch totaler Mist!“) und hat Spaß dabei. Vor drei Jahren hatte ihn der Münchner Oberbürgermeister mal als „begnadeten Querdenker“ bezeichnet. „Heute würde er das nicht mehr machen“, sagt Rebers im Sapperlot, wo sich ein mäandernder, aber immer stringenter Bewusstseinsstrom über die Bühne ergießt und bald auch ins Publikum schwappt, wo am Sonntagabend höchste Aufmerksamkeit gefordert ist – und auch eingefordert wird.
Von Brüdern und Brüderinnen
Unterbrochen von Liedern zum Piano oder Akkordeon, in denen er die kontemplative und gedankenordnende Kunst des Briefeschreibens lobt („ohne Diktatur der Tastatur“), auf jede Form moralischer Selbsterhöhung pfeift und die taub-blinde Ignoranz jener Leute tadelt, die sich gerne mal um einen Flüchtling kümmern, auch wenn es genau derjenige ist, der das Billig-Shirt in der Drittweltfabrik zusammennähen musste. „Dressed to kill“, stößt es dem Rebers da bitter auf.
Genau wie beim Gendern auf Teufel komm raus, wo sich „Brüderinnen und Brüder“ verbal in den Armen liegen und sich an ihrer sprachlichen Korrektheit aufgeilen.
Es komme immer anders, wenn man denkt, so der Ausnahme-Kabarettist in Lorsch, wo er die Grünen-Politikerin Anna-Lena Baerbock zweimal so platt wie amüsant parodiert, das die Außenministerin wie eines jener zappeligen Kinder aus der einstigen „Dingsda“-Sendung wirkt.
Es geht um die notorischen Besserwisser auf dem heiß umkämpften Meinungsmarkt, um die Erbärmlichkeit der erzwungenen Entschuldigung und um des Deutschen Hang zu Selbstüberschätzung und Doppelmoral. Der Ton ist zornig und melancholisch, liebevoll und rührend, verzweifelnd und zuversichtlich. Skurrile Erzählstücke und musikalische Mini-Dramen fügen sich zu einem facettenreichen Gesamtkunstwerk zusammen.
Und man muss ja auch nicht alles gut finden, was da auf der Bühne vor sich geht. Allein die Reibungsflächen und Denkanstöße, die Andreas Rebers seinem Publikum anbietet, sind den Abend wert.
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