Lorsch. Jo Schück kennt man an der Bergstraße. Der gebürtige Franke ist in Lorsch aufgewachsen, hat sich dort bei den Messdienern engagiert, am AKG in Bensheim Abi gemacht und in der Lorscher Pfarrei Zivildienst geleistet. Längst kennt ihn auch ein großes TV-Publikum. Denn er hat es nach dem Studium in Mainz auf den Bildschirm geschafft. Schück ist Moderator der „aspekte“-Sendung im ZDF und arbeitete für den Popkulturkanal. Jetzt hat der 41-Jährige sein erstes Buch veröffentlicht. „Nackt im Hotel“ ist das Werk schlagkräftig betitelt, das bereits in der „Spiegel-Bestsellerliste“ landete und das er nun in seiner alten Heimat vorstellte. Der Paul-Schnitzer-Saal war ausverkauft.
Die Nachfrage nach Karten war größer als der Platz dort. Schücks Thema schließlich geht jeden an: Er schreibt über Freundschaft. Und die wird wichtiger denn je, gehört angesichts bröckelnder klassischer Familienstrukturen und einer steigenden Zahl der Single-Senioren auf der gesellschaftlichen Prioritätenliste ganz nach oben, sagt der Autor und Familienvater, der sich auch ein „Freundschaftsministerium“ vorstellen kann. Freundschaft misst er einen Stellenwert auch für den Erhalt der Demokratie und in politischen Fragen wie Wohnen und Pflege zu. „Wie Freundschaft der Liebe (und der Familie) den Rang abläuft“ lautet der leicht provozierende Untertitel seines 250 Seiten starken Buches. „Vergiss Liebe! Nur Freundschaft kann uns retten!“, steht auf dem Einband.
Ein Kapitel führt ins Lautertal
1000 Euro aus Lorsch Jo Schück kündigte an, alle Erlöse seiner ...
Die gut 100 Gäste, die nach der 2G-Regelung zugelassen waren, hatten viel Spaß an dem von Hans-Jürgen Brunnengräber und Stephan Straub organisierten und moderierten Abend, der nicht nur Autorenlesung, sondern auch Konzert war – Schück legte als Gitarrist zusammen mit Schlagzeuger Benjamin Straub los – und jede Menge unterhaltsam präsentierte Informationen bot. Schücks Erstling, erschienen in der „dtv“-Reihe Bold, die der Verlag mit „Bücher, die Genregrenzen sprengen“ bewirbt, ist ein Mix aus Sachbuch und Geschichen. „Sie sind alle wahr, aber ausgedacht“, so Schück.
Lorsch kommt in seinem Freundschaftsbuch nicht vor, die Bergsträßer Region aber schon. Denn eine der Storys, die in Hamburg, Berlin, Nizza und Ibiza angesiedelt sind, spielt in Lautertal. Das Kapitel, was Paul und Daniel in der Odenwald-Gemeinde erleben, las Schück vor – und es war spannend. Die Zuhörer fieberten mit den beiden Musiker-Jungs mit, die einen Siebeneinhalbtonner beladen mit ihren Instrumenten steuern – und die gefährliche Situation auf spiegelglatter Winterfahrbahn aus Unerfahrenheit und jugendlicher Überheblichkeit total unterschätzen. Eine Schlingertour mit Todesangst. Gemeinsam Erlittenes schweißt zusammen.
Es beginnt mit „Pisse“
In vielen Büchern über Freundschaft fehle es an Emotion, so der mehrfach ausgezeichnete Journalist, der früher auch für den Bergsträßer Anzeiger tätig war. Mit „Nackt im Hotel“ fülle er eine Lücke. Dass das erste Wort einer Geschichte wichtig ist, sprach der Autor in Lorsch an. „Pisse“ heißt es in seinem Fall. Der Erzähler muss damit klarkommen, dass die Frau seines Lebens abhaut, ihn sitzenlässt – in Frankreich an der Raststätte, allein, ohne Auto und ohne einen Cent in der Tasche. Glücklich, wer einen besten Freund hat. Der holt einen ab und aus der Verzweiflung.
„Wen würdest du anrufen?“, fragt Schück ins Publikum – und für wen würde man selbst mitten in der Nacht sofort losfahren, fordert er zum Nachdenken auf. Er beschäftige sich schon lange mit dem Thema Freundschaft, habe viele Studien gelesen. Anlass für sein Buch war der Wegzug des besten Freundes. Da habe er „geflennt“, bekannte Schück, der feststellt: „Freundschaft hält alles zusammen.“
Liebesbeziehungen jedenfalls sind selten für die Ewigkeit gemacht, erinnert der Autor an hohe Scheidungsraten. „Freundschaft ist Heimat“, schreibt er. Keine andere Beziehung ermögliche „ein solch hohes Maß an Freiheit (keine Regeln, keine Gesetze) und zur selben Zeit ein solch hohes Maß an tiefer emotionaler Bindung“. Liebe, so diagnostiziert er allerdings doch recht versöhnlich, sei eine „Spezialform der Freundschaft“. Und „Familie und Freundschaft unterscheiden sich nicht so sehr“, sagt er entgegen seines plakativen Buchtitels.
Schück beleuchtet sein Thema von allen Seiten. Er erläutert, wieso Männerduos wie Winnetou und Old Shatterhand, Asterix und Obelix, Tom Sawyer und Huckleberry Finn jedem geläufig sind, ähnliche Frauen-Freundschaften nicht. Man erfährt, dass jeder im Durchschnitt 3,4 enge Freunde hat und grübelt mit, wieso manche viel mehr, andere gar keine Freunde haben. In der Zeit vor dem Internet hatten die Studenten die meisten Freunde, die nahe am Briefkasten wohnten, der damaligen Kommunikationszentrale.
Jo Schück schreibt über Facebook-Freunde, Blutsfreundschaft, Hormone und philosophiert über Unterschiede zwischen Männer- und Frauenfreundschaften. Elf Seiten im Buch nehmen Literatur- und Quellenhinweise ein. Der Autor, in Berlin daheim, zitiert Herbert Grönemeyer ebenso wie Michel Foucault und Aristoteles und kommt zum Schluss: Eine eindeutige Formel für Freundschaft gibt es nicht.
Die Geschichte im Buch, bei der es um Freundschaft bis in den Tod geht, mutet Schück dem Publikum bei der Lesung nicht zu, wählt stattdessen eine, bei der es ums Thema Schamhaar-Schneiden geht. Trotzdem hört man ihm gerne zu.
Sein Buchtitel nehme Bezug darauf, dass Freundschaft viel mit Nacktheit zu tun habe und er sich mit einem Freund tatsächlich einmal nackt in die Vorhänge in einem Amsterdamer Hotel eingewickelt habe, erzählt Schück und zeigt in Lorsch ein Foto von jungen Männern, die Toga tragen.
Sein lesenswertes Buch jedenfalls ist ein Plädoyer für die Pflege von Freundschaften. Es lohnt sich, seine Zeit dafür zu investieren, macht der Autor klar. Dass Freundschaften lebensverlängernd und stressmindernd wirken, ist ohnehin längst bewiesen.
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