Bedeutende Handschrift

Book of Kells: Mittelalterliches Buch in Lorsch präsentiert

Großes Interesse am Vortrag über das berühmte „Book of Kells“ an der Welterbestätte. Das Werk zählt zum Weltdokumentenerbe

Von 
Nina Schmelzing
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Um das berühmte „Book of Kells“ ging es bei der jüngsten Gratis-Führung in der Zehntscheune. Patricia Scheuermann präsentierte Details des Werkes, das um 800 entstand, an Hand einer Faksimile-Ausgabe. © Jürgen Strieder

Lorsch. Das gibt es auch nicht alle Tage, dass ein einzelnes Buch für eine öffentliche Präsentation im Bollerwagen herangerollt wird. Bei einer Faksimile-Ausgabe des „Book of Kells“ war das jetzt der Fall. Das Werk, das Patricia Scheuermann Interessierten vorstellte, ist allerdings auch alles andere als ein Taschenbuch oder ein massenhaft verfügbarer Bestseller. Beim „Book of Kells“ handelt es sich um einen sehr wertvollen Band. Dieser sollte vor allem sicher und unbeschädigt in die Zehntscheune transportiert werden. Daher war er im Handwagen, stoßfest verpackt, genau richtig.

Dreiste Diebe stahlen das Buch aus der Kirche

Dass das „Book of Kells“ eine sehr kostbare Handschrift aus dem Mittelalter beherbergt, ist nicht auf den ersten Blick ersichtlich. Der Einband des dicken Wälzers besteht jedenfalls nur aus hellem Leder. Ursprünglich jedoch hatte das Buch einen Deckel aus reinem Gold. Das „Book of Kells“, entstanden um das Jahr 800 wohl im Kloster Iona in Schottland und später nach Irland in die Abtei Kells gebracht, wurde aus diesem Grund aus der Kirche gestohlen. Im frühen elften Jahrhundert war das.

Ob die dreisten Kriminellen doch ein paar Gewissensbisse bekamen, als sie das Evangeliar klauten? Man weiß es nicht. Tatsache ist, dass sie das Buch immerhin nicht komplett verschwinden ließen oder zerstörten. Nur einige Seiten wurden herausgerissen und blieben, wie der Goldeinband, auf immer verschwunden. Knapp 680 Seiten auf 340 Pergamentblättern des Manuskripts aber wurden wiedergefunden – und diese lassen Buchliebhaber noch heute ins Schwärmen geraten.

Das „Book of Kells“ gilt als ein Paradebeispiel für die besondere „Insulare Buchmalerei“ im Mittelalter. Sofort ins Auge fallen die aufwändigen Verzierungen. So detailreich und überbordend sind diese ausgeführt, dass der Text manchmal nur noch schwer zu entziffern ist. Die Verzierungen waren offenbar wichtiger als eine gute Lesbarkeit. Auffallend sind dabei die vielen Knotenmuster und Flechtbänder, die zur charakteristischen keltischen Ornamentik gehören.

Sehr junge Mönche dürften das Buch damals erstellt haben. Gute Augen waren für die äußerst kunstvolle Arbeit jedenfalls unverzichtbar. Die Farben waren zudem „hochtoxisch“, berichtete Scheuermann, die an der Lorscher Welterbestätte stellvertretende Teamleiterin für den Bereich Bildung und Vermittlung ist. Gold wurde nicht verwendet, merkten die Besucher in der Zehntscheune sofort an, als die Referentin vorsichtig verschiedene Seiten aufblätterte.

Vom Gift und den Gefahren wussten die Mönche nichts

Die Mönche nutzten zur Illustration der vier Berichte über das Leben Jesu für die Gelbtöne zum Beispiel Arsensulfit. An Neonfarben erinnern die bunten Malereien stellenweise. Unter anderem der Staub, der bei der Herstellung der Farbenproduktion entstand, war giftig – aber von dieser Gesundheitsschädigung wussten die Menschen damals noch nichts.

Patricia Scheuermann machte die Zuhörer auf zahlreiche „Drollerien“ aufmerksam. Die Mönche haben in die Texte viele kleine Figuren eingefügt, die nicht unbedingt immer mit dem religiösen Inhalt zu tun haben, aber für die Leser damals eine unterhaltsame Abwechslung bedeutet haben dürften. Zu den Lieblingsseiten von Patricia Scheuermann gehört eine Seite, auf der eine Katze zu sehen ist, die eine Maus jagt, weil diese eine Hostie gestohlen hat. Auch dem Publikum in der Zehntscheune gefiel dieses Blatt ausnehmend gut.

Oft seien Schlangen im „Book of Kells“ zu entdecken, sie symbolisieren die Wiederauferstehung. Auch ein Pfau gehört zu den öfter abgebildeten Tieren, er steht als Symbol für Unsterblichkeit. In der kunstvollen Gestaltung verschmelzen Buchstabe und Bild gelegentlich, Scheuermann wies etwa auf eine Mönchstonsur hin, die als Serife dient.

Das Buch ist wunderschön anzuschauen, lesen im „Book of Kells“ ist für Laien dagegen heute auch deshalb nicht einfach, weil es natürlich in lateinischer Sprache verfasst ist. Satzzeichen wurden damals außerdem kaum verwendet. Die Zuhörer erfuhren nebenbei, dass das prächtige Werk auffallend viele Fehler beinhaltet. Möglicherweise, so vermutete die Referentin, hatten die Mönche Zeitstress, weil der Abt zu einer schnellen Fertigstellung drängte.

Die Qualität des Pergaments beurteilte Scheuermann im Vergleich zu anderen Evangeliaren als „nur semi-gut“. Mehr als 125 Kälberhäute wurden für das „Book of Kells“ benötigt, die Buchherstellung damals war eine aufwändige und teure Angelegenheit. Warum wurden nicht auch Ziegen genutzt? Unter anderem weil Ziegenleder kleiner ist und weniger hochwertig als die Häute von möglichst sehr jungen Kälbern, erläuterte die Fachfrau auf die Frage eines Zuhörers.

Weil Buchseiten kostbar waren, wird der Platz, den sie bieten, so gut wie möglich ausgenutzt. Blieb irgendwo auf einer Rückseite noch Weißraum, dann hat man diesen zum Beispiel genutzt für einen Urkundentext. Solche Doppelnutzungen waren nichts Außergewöhnliches. In der Zuhörergruppe in der Zehntscheune, die mit vielen Fragen zur lebhaften Buchvorstellung beitrug, wurde etwa an den „Lorscher Bienensegen“ erinnert. Diesen Segensspruch hat ein Mönch im Lorscher Skriptorium auch eher nebenbei kopfüber auf einer Seite verewigt.

Auch die Löcher durch Insektenfraß sind verewigt

Teuer ist das „Book of Kells“ bis heute. Für die besten Faksimile-Editionen kann man locker 10.000 Euro auf den Tisch legen. Und Faksimiles sind ja bekanntlich nur exakte Nachbildungen des Originals. So detailgetreu allerdings werden sie in besonderen Verfahren von spezialisierten Verlagen hergestellt, dass in den heutigen Ausgaben, die in nur kleiner Auflage erscheinen, sogar die Löcher des Originals selbstverständlich eingearbeitet sind. Die sind im Ursprungsband durch Mäuse oder Insektenfraß verursacht. Auch alle anderen „Macken“ sind übernommen. Viele Seiten sind zum Beispiel ziemlich dunkel, fiel den Betrachtern jetzt ebenfalls auf. Auch das ist wohl durch die Aufbewahrung entstanden.

Es gibt nicht viele ähnlich prachtvolle Bücher, die wie das „Book of Kells“ rund 1200 Jahre relativ unversehrt überstanden haben. Seit 2011 gehört es zum Weltdokumentenerbe. In dieser Liste der weltweit einzigartigen Kulturschätze ist unter anderem auch das Lorscher Arzneibuch zu finden, das zwei Jahre später ins Weltdokumentenerbe aufgenommen wurde.

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Das originale „Book of Kells“ ist im Trinity College, der Universität in Dublin, zu bewundern. Dort werden, im regelmäßigen Wechsel, jeweils zwei Seiten des Buches ausgestellt, das als „irischer Nationalschatz“ gilt. Es ist inzwischen auch digitalisiert und online einsehbar. Wer einst der Auftraggeber für das Werk war, ist nicht bekannt.

Mit Lorsch hat das „Book of Kells“ nicht direkt zu tun, so Scheuermann. Zum jetzigen Vortrag entschied man sich, weil sich durch eine Schenkung auch die Lorscher Faksimile-Sammlung an einem Exemplar erfreuen kann. Zum anderen ist es grundsätzlich interessant, mittelalterliche Meisterwerke miteinander zu vergleichen. Das „Book of Kells“ unterscheidet sich im Stil sehr etwa vom Lorscher Evangeliar, der berühmten karolingischen Handschrift.

Ob Queen Victoria das Original signierte, wie auch in der Zehntscheune diskutiert wurde, ist fraglich. Im Faksimile konnte ihre Unterschrift nicht entdeckt werden. In etwa drei Monaten soll es einen weiteren Vortrag an der Lorscher Welterbestätte zu einem bedeutenden Bücherschatz geben.

Redaktion

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