Lorsch. Nichts wurde es mit dem geplanten ersten Märchenabend im Lorscher Kräutergarten. Wegen des Regenwetters wurde die Veranstaltung am Freitagabend in den Paul-Schnitzer-Saal verlegt. Es habe ihnen das Herz geblutet, sagten die Veranstalterinnen, angesichts dieser erforderlichen Ortsänderung. Das zahlreich erschienene Publikum aber störte der Umzug nicht.
Schnitzer-Saal als grüne Oase
Denn die Ehrenamtlichen der Kräutergarten-AG hatten den Saal mit geübter Hand flugs in eine grüne Oase verwandelt. Umgeben von Salbei und Rosmarin, Feigen, Schnittblumen und Kerzen und ergänzt durch eine zauberhafte Theater-Deko, gestaltet von Sabine Dorn, kam die Premiere auch dort hervorragend an.
Bettina Walter, stellvertretende Vorsitzende des Heimat- und Kulturvereins, hatte im Namen ihres Teams einen Märchenabend „für alle Sinne angekündigt“ und das Versprechen wurde zur vollsten Zufriedenheit der Besucher eingelöst. Zur Begrüßung wurden Sekt oder alkoholfreier Prosecco gereicht, zur Stärkung gab es Kräuterquarkbrote mit Kresse gratis. Inmitten der Veranstaltung wurden selbst gebackene Salbei-Plätzchen gereicht. Eine Köstlichkeit mit „Suchtfaktor“, stellten diejenigen fest, die zugriffen.
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Für die passende Live-Musik zur Einstimmung sorgte mit seinem Akkordeon Johannes Dewald mit berühmten Liedern wie etwa „Sag’ mir, wo die Blumen sind“ – und dann ging es los mit den „Es war einmal“-Geschichten.
Ausgewählt hatten die KräuterFrauen keine Hänsel-und-Gretel-, Rapunzel- oder Rumpelstilzchen-Variationen von allseits bekannten Märchen aus Sammlungen wie zum Beispiel der Brüder Grimm. Sie präsentierten vielmehr Texte, die den meisten Zuhörern neu waren. Wichtig war den Vorleserinnen bei der Zusammenstellung vor allem, dass die jeweilige Geschichte einen Bezug zum Kräutergarten hatte.
Mit ihrem Märchenabend der besonderen Art wollten sie schließlich erklärterweise den berühmten Kräutergarten auf dem Welterbe-Areal, angelegt nach dem „Lorscher Arzneibuch“ einmal „unter einem anderen Aspekt vorstellen“. Das gelang. Im Lorscher Garten, frei zugänglich hinter der Zehntscheune gelegen, wachsen rund 200 verschiedene Pflanzen. Das Vortragsteam um Bettina Walter, Dagmar Gieser, Sabine Horn und Stephanie Haßlöcher-Grimm unterhielt das Publikum mit Märchen unter anderem über Rosen, Silberdisteln, Salbei und Brennnesseln, Holunder und Rosenäpfel – und die Geschichten kamen zum Teil von weither: aus Indien beispielsweise.
In „Der Affe und das Krokodil“ wird spannend von der Freundschaft zwischen diesen ungleichen Tieren erzählt, die aber zerbricht, als das Krokodil betrügt. Das Raubtier soll den Affen töten, so verlangt es jedenfalls Frau Krokodil sehr hungrig, damit es endlich etwas zu essen gibt, das den Magen füllt. Der Affe, schlauer als das Reptil, schafft es körperlich unversehrt zurück auf seinen paradiesischen Rosenapfelbaum – die Freundschaft ist natürlich futsch.
Dagmar Gieser nahm die Zuhörer mit nach Schilda. Sie erinnerte daran, wie die Schildbürger in Kriegszeiten ihren Salzvorrat mehren wollten. Sie säen Körner auf dem Feld, sind stolz auf das Wachstum der Pflanzen – ernten am Ende aber ahnungslos lediglich Brennnesseln.
Arznei aus dem Garten
In die Jetztzeit ging es mit einem Märchen aus dem Mittelmeerraum, das sich um den Salbei drehte, der Arzneipflanze des Jahres 2023. Wer die Heilpflanze zu verwenden weiß, kann bei bester Gesundheit weit über 100 Jahre alt werden. So legte es jedenfalls das Märchen „aus einem entlegenen Tal“ nahe, in dem mehrere äußert vitale Ururgroßeltern ihren Auftritt hatten. Für das Geheimnis seiner fitten Untertanen interessiert sich bald auch der König und befiehlt, niemand außer ihm dürfe künftig Salbei anbauen. Dass der recht dumme Herrscher zwar Weinliebhaber ist, aber noch nie eigenhändig eine Traube pflückte und noch nie einen Apfel vom Baum, erfuhren die Zuhörer gleichfalls.
Im Märchen vom Feigensack, das man sich in der Schweiz erzählt, geht es um zwei Brüder, ein listiges Erdmännlein und einen König, der sich grüne Feigen wünscht, aber einen Sack voller Pferdeäpfel erhält. Falsche Feigen, nämlich Ohrfeigen, kamen in Lorscher Mythen vor, die von Heppenheimer Laternenführern um Uwe Pfeifer vorgestellt wurden.
Warum die Silberdistel auch Karlsdistel genannt wird (weil Karl der Große sie gegen die Pest einsetzen wollte) und warum man einen Hollerbusch nie entfernen sollte (das bringt Unglück) lernte das Publikum nebenbei. Auch für die verehrte Altmeisterin der Kräuterkunde, die gelehrte Hildegard von Bingen aus dem 12. Jahrhundert, blieb noch Zeit. Beim Märchenabend gab es ein Gedicht von ihr. „Oh edles Grün“, beginnt es. Dass Grün die seit Millionen Jahren älteste Farbe sei und diese „Farbe der Hoffnung“ auch ihre eigenen Herzen immer wieder erfreue, bekannten die Mitglieder der Kräutergarten-AG an ihrem Märchenabend, für den sie mit viel Beifall belohnt wurden.
Da es Momente gibt, in denen auch kein Kraut mehr hilft, steckten die Erzählerinnen den Besuchern zum Abschied freundlicherweise noch Betthupferl aus Schokolade zu.
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