Lorsch. „Kammermusikabend trifft Poetry-Slam“ so könnte man das Programm zusammenfassen, mit dem Anne Folger im Sapperlot ihr Publikum begeisterte. „Spielversprechend“ hatte die in Weimar geborene, heute im Schwarzwald lebende Pianistin und Kabarettistin den Abend betitelt – und man folgte ihr gern auf die Spielwiese mit ihrer bunten Mischung selbst komponierter Lieder, aufgeschriebener Geschichten und parodistisch überzeugenden Alltagsbeobachtungen.
Mit mädchenhaftem Charme und vermeintlicher Harmlosigkeit nimmt die mit vielen Kleinkunstpreisen ausgezeichnete Klavierkabarettistin gern mal die Männer auf die Schippe, sei es in Hinblick auf grobmotorisch beschnittene Profilbilder von „Thorben03“ oder dem „Terminator aus Worpswede“ auf Dating-Portalen oder mit Bezug auf „Igelschnittfrisuren-Rolfs“ und Fans der Modemarke „Camp David“ mit ihrem selbstgefälligen Markenbotschafter Dieter Bohlen.
Empfehlungen für Schönheitseingriffe für die Mona Lisa
Wenn Anne Folger ihre autobiografisch inspirierten Geschichten vorliest, nimmt sie aber auch sich selbst ins Visier. Zum Beispiel als schusseligen Übernachtungsgast in einem katastrophal heruntergekommenen Hotel in Paderborn, dessen Tristesse sie zu einer endlosen Reihe verballhornter Buch-, Film- und Operntitel inspiriert -von der „Pechtrommel“ über „Tristesse und Isolierung“ bis zum „Friedhof der Fusseltiere“ und schließlich der fliehenden „Spider-Ann“.
Auf dem Terrain der Schönheitsideale findet die Kabarettistin reichlich Spielmaterial und sie bedient sich auch hier – wie generell – gern aus dem Repertoire der Hoch- und Tiefkultur, mit Tipps für die Venus von Urbino oder Botticellis Primavera, aber auch für die Mona Lisa: Der empfiehlt sie Collagen für die schmalen Lippen und zum Kaschieren der breiten Stirn einen Fransenschnitt.
Die Corona-Pandemie wird bei Anne Folger zur C-Moll-Krise
Wild entschlossen, auch im Campingurlaub nicht auf die verjüngende Wirkung von im Sanitärtrakt frischgepresstem Selleriesaft zu verzichten – „Sellerie – c‘est la vie“ kommt die Kabarettistin jedenfalls zu der Erkenntnis: „Der Mensch duscht länger als er scheißt“. Ein absolutes Highlight im Programm: Anne Folger als „musikalische Beautyberaterin“ namens „Doremi Fasola“, die mit der aufgeregt-affektierten Stimme der Influencerinnen und im neckischen Ton ausführlich eine „total wertig gemachte Beethoven-Edition“ mit Dosierungstipps für „Violine-Line“ und „Bass-Line“ vorstellt.
Im nächsten Video: „Intervallfasten“. Es ist nicht nur ihr grandioses Spiel auf dem Flügel, das ganze Programm der Kabarettistin ist von der Musik und der Beschäftigung damit geprägt. Nur folgerichtig, dass die Pandemie bei ihr nur als „C-Moll-Krise“ vorkommt. Mit kritischem Ohr hört sie nicht nur bei Ballermann-Hits genau hin, sondern auch bei dem volkstümlichen „Ännchen von Tharau“, wo sie im Text Inzest, Unzucht und Stalking aufdeckt.
Eigener kabarettistischer Stil trifft auf Musik und Wortspiele
Richard Clayderman sei „der beste zum Weghören“ – seine „Ballade pour Adeline“ wie eine „Liebeserklärung im Gummianzug“, aber dafür eine Musik, die auf Galas nicht stört. Mit acht Wochen Schlagerhören wollte Folger ihre Aversion gegen das Genre kurieren – aber sie entwickelte vor allem besondere diagnostische Skills, mit denen sie viele Texte einer gründlichen medizinischen Analyse unterzog, darunter „Dein ist mein ganzes Herz“ (Organspende), „Über sieben Brücken musst du geh‘n“ (Zahnsanierung) oder „Tausendmal berührt“ (Borreliose).
Echte musikalische Erlebnisse bieten Folgers überzeugende Vivaldi-Interpretation der schwarzen Pädagogik des „Fliegenden Robert“ aus dem Struwwelpeter und „Paint It Black“ als Vermählung von Stones und Schostakowitsch. Es ist ein ganz eigener kabarettistischer Stil, die Verquickung von Musik und Wortspielen, von Kulturgut und Alltagswelt, mit der sie das Publikum erreicht. Dazu gehört auch, dass sie Schwäbeln sowie Sächseln kann und auch ihre Erfahrungen aus einer Jugend in der DDR in das Programm einfließen lässt.
Anne Folger liefert keine Brüller am laufenden Band, sondern ihr Witz bleibt im Ohr, über den Nachhauseweg hinaus. Zur Freude des Publikums gab es vorher noch zwei Zugaben.
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