Denkmal - Eine Inschrift zur Erinnerung an eine angebliche Hinrichtung von 1804 soll entfernt werden, da sie ein diskriminierendes Wort enthält

Streit um die Tafel am Beerfelder Galgen

Von 
Thomas Wilken
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Beerfelden. Die angeblich letzte Hinrichtung am Beerfelder Galgen, bei der eine Frau 1804 „wegen Diebstahls eines Huhnes und zweier Laib Brot“ gehängt worden sein soll, hat ein Nachspiel. Auf der unteren Hälfte der Tafel vor dem Galgen, die daran erinnert, ist nämlich das diskriminierende Wort „Zigeuner“ zu lesen. Deshalb – und weil der Vorfall historisch nicht belegt ist – soll dieser Satz dort nicht mehr zu lesen sein, wie der Bürgermeister von Oberzent, Christian Kehrer erläuterte.

Kehrer wurde vom Landesverband der Sinti und Roma auf den Schriftzug aufmerksam gemacht. Wie er erklärte, bekam der Landesverband wiederum den Hinweis auf das heutzutage nicht mehr angebrachte Wort und schrieb deshalb die Stadt an. In einem „sehr angenehmen, offenen und interessanten Gespräch“ ließen sich ein paar Fragen klären, so der Rathauschef.

Es ging dabei auch um die 700-jährige Geschichte der Sinti und Roma in Deutschland und ihre Verfolgung. Die Tafel muss ums Jahr 1960 von einem Verein aufgestellt worden sein, berichtet Kehrer. Die genauen Umstände lassen sich seinen Worten zufolge nicht mehr klären. Noch auffindbar ist eine Anfrage nach der Anbringung vom Jahr 1959.

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Für den Bürgermeister ist das Anliegen der Sinti und Roma nachvollziehbar, weshalb er dem Bauhof den Auftrag zur Entfernung gab. Der obere Teil mit erklärenden Worten zum Galgen bleibt erhalten, versichert das Stadtoberhaupt.

Um 1550 als Holzkonstruktion errichtet, wurde der besterhaltene dreischläfrige Galgen Deutschlands 1597 mit drei Rotsandsteinsäulen erneuert, die fünf Meter hoch sind. Diese wurden so aufgestellt, dass sie die Ecken eines gleichschenkligen Dreiecks bilden.

Viele Hinrichtungen dürfte es dort nicht gegeben haben, da das Erbacher Grafenhaus nach Historiker-Angaben eine relativ liberale Rechtsprechung pflegte. Bereits 1788 sollte der Galgen abgerissen werden. Ab 1806 hatten die Grafen keine Gerichtsbarkeit mehr, da ihnen diese von Napoleon entzogen worden war. In den Kirchenbüchern findet sich nur eine Nachricht über eine Hinrichtung: die des Adam Beisel aus Unter-Sensbach, der 1746 dort gehängt wurde – wegen Diebstahls und Ehebruchs.

Nur eine schaurige Attraktion?

Städtische Unterlagen aus der Zeit vor 1810 gibt es nicht mehr, da damals ein Großbrand alle Akten vernichtete. Somit lässt sich der auf der Tafel genannte Fall nicht belegen. Allerdings dürfte es unwahrscheinlich sein, dass jemand aufgrund solch leichter Verfehlungen gehängt wurde – gerade wegen der Haltung der Erbacher Herrschaft. Deshalb wird die Geschichte von Experten ins Reich der Märchen verwiesen. Möglicherweise sollte bei Aufstellung der Tafel vor 60 Jahren eine schaurige Touristenattraktion geschaffen werden.

Für Heidi Schwinn aus Beerfelden gehört die Legende trotzdem zur Stadt und sollte bewahrt werden. „Ob sie stimmt oder nicht, sie ist ein Teil der Geschichte Beerfeldens“, schreibt sie. „Sie gehört zum Galgen, wie der Galgen zu Beerfelden gehört.“

Ihrer Kenntnis nach sind viele Bürger, die von der Inschriften-Entfernung wissen, darüber empört und entsetzt. Zu Denkmälern gehören ihrer Meinung nach auch Geschichten oder Legenden, „die heutzutage nicht mehr gewünscht sind“. Schwinn bat deshalb den Magistrat, „uns und unseren Nachfahren die Historie zu erhalten“. Oder, stellt sie in den Raum, „ist dann der nächste Akt, dass der Galgen abgebaut wird?“.

Als sie 1969 eingeschult worden sei, habe es außer Lesen und Schreiben auch das Fach Heimatkunde gegeben, erinnert sich Schwinn. In diesem wurden die Sehenswürdigkeiten, die Geschichte des Ortes und seiner Umgebung gelehrt. Und zur Hinrichtungsstätte gehören auch mündlich überlieferte Erzählungen wie die von Kaspar Sachs, dem sein Kropf das Leben gerettet haben soll.

Der Odenwälder sollte gehängt werden, weil er in gräflichen Ländereien einen Hirsch wilderte. Angeblich soll der Todgeweihte darum gebeten haben, den Strick wegen seines Kropfes nicht allzu eng zu knüpfen. Dem kam man nach – mit der Folge, dass Sachs mit dem Kopf aus der Schlinge rutschte und nur seine Nase in Mitleidenschaft gezogen wurde, heißt es.

Ob es sich dabei um Dichtung oder Wahrheit handelt, weiß keiner mehr. Deshalb ist für Heidi Schwinn diese Geschichte ebenso eine Legende wie die der 1804 angeblich hingerichteten Frau. Beide gilt es ihrer Meinung nach zu bewahren.

Freier Autor Freier Journalist für Tageszeitungen im südlichen Kreis Bergstraße und Odenwaldkreis

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