Lindenfels/Darmstadt. Wer ist Peter F.? Welche Neigungen hat er? Leidet er unter einer Persönlichkeitsstörung? Welche Gefahr geht von ihm aus? Mit diesen und weiteren Fragen hat sich der Weinheimer Neurologe und Psychiater Peter Haag beschäftigt. Dafür hat er stundenlang Krankenakten des Mannes studiert, der sich seit Mitte November wegen des Mordes an Jutta Hoffmann vor 37 Jahren vor dem Landgericht in Darmstadt verantworten muss.
Aktenmaterial aus 30 Jahren
Die Jugendliche verschwand am 29. Juni 1986 in einem Waldstück in ihrem Heimatort Lindenfels, auf dem Nachhauseweg von einem Schwimmbadbesuch. Ermittler haben später rekonstruiert, dass jemand sie tiefer in den Wald hineingezogen haben muss, vergewaltigte und dann tötete. Anderthalb Jahre nach ihrem Verschwinden fanden Spaziergänger die skelettierte Leiche der Jugendlichen.
Sieben Stunden lang hat sich der Psychiater Haag Ende April mit dem Angeklagten unterhalten. Und benötigt am Dienstag mehrere Stunden, um sein Gutachten vorzutragen. Haag taucht in Aktenmaterial aus drei Jahrzehnten ein, beschreibt, wie Peter F.s Therapien Anfang der neunziger Jahre begannen, nachdem er zum ersten Mal versucht hatte, eine Frau zu vergewaltigen.
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Die therapeutschen Bemühungen seien weitergegangen, nachdem er wegen weiterer Vergewaltigungen verurteilt worden war. Und auch als er sich im Maßregelvollzug eines Psychiatrischen Krankenhauses in Norddeutschland befand. Grundlage dafür war ein Urteil des Landgerichts Kiel, nachdem Peter F. versucht hatte eine Studentin zu vergewaltigen. Diese hatte er zu einem Treffen bewegt, indem er vorgab, eine Babysitterin zu suchen, so der Sachverständige. Doch die Frau sei stutzig geworden, habe sich gewehrt, Peter F. gebissen und der sei schließlich geflohen. Nach der versuchten Vergewaltigung meldete er sich bei seiner Bewährungshelferin, die die Polizei verständigte.
Manipulativ und aggressiv
In den Berichten seiner Kollegen begegnete Psychiater Haag „einem Mann voller Widersprüche“. Mal führte er Gewaltfantasien detailliert aus, mal wieder nicht. Einem Arzt berichtete er von hunderten One-Night-Stands, für Besuche bei Prostituierten habe er 5000 Mark im Monat ausgegeben. Später soll er einem anderen Mediziner gegenüber geäußert haben, es seien insgesamt 5000 D-Mark gewesen, die er für Besuche bei Prostituierten ausgegeben habe.
Und so hat Haag Zweifel an vielem, was der Angeklagte ihm und anderen erzählt hat. Etwa dazu, dass er Opfer sexueller Gewalt durch den Vater geworden sei. „Er versucht, Menschen zu manipulieren“, sagt Haag. Dabei widerspreche er sich oft selbst, um seine Zuhörer mit erfundenen Geschichten zu beeindrucken. Oder berichte etwas, von dem er meint, es könne sich vorteilhaft für ihn selbst auswirken – auch in therapeutischen Gesprächen. Und so hält Haag viele frühere Diagnosen für zweifelhaft.
Er attestiert F. eine dissoziale Persönlichkeitsstörung. Betroffene zeichnen sich häufig dadurch aus, dass es ihnen an Empathie und sozialer Verantwortung mangelt. In seinem Sexualverhalten spreche F. stark auf Gewalt an, so der Sachverständige, der Peter F. für schuldfähig hält. Allerdings stützt er seine Annahme vor allem auf seine eigene Untersuchung und die Akten – all diese Begutachtungen erfolgten erst Jahre nach Jutta Hoffmanns gewaltsamem Tod.
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