Lindenfels. Die Stadt Lindenfels wird aus der „Arbeitsgemeinschaft Gewässerschutz und Landwirtschaft“ (AGGL) austreten. Sowohl im Finanz- und Bauausschuss als auch in der Stadtverordnetenversammlung sprachen sich die Gremienmitglieder mehrheitlich dafür aus, dass die Stadt nicht länger Teil der Arbeitsgemeinschaft sein soll.
Der Stein des Anstoßes waren Veränderungen in der Organisationsform der AGGL. Um diese besser nachvollziehen zu können, hatte Silke Reimund von der AGGL in einer gemeinsamen Sitzung des Finanz- und Bauausschusses zunächst die Historie der Arbeitsgemeinschaft dargelegt und auch einige Informationen zu den Wasserschutzgebieten in Kolmbach, Winkel und Winterkasten gegeben.
Die AGGL in der Region Starkenburg berät Landwirte in Wasserschutzgebieten zum vorbeugenden Gewässerschutz. „Unsere Motivation ist der Erhalt und Schutz der Umwelt sowie ihrer natürlichen Ressourcen – insbesondere des Wassers. Dafür entwickeln wir nachhaltige Landnutzungskonzepte und integrieren neue Erkenntnisse in Zielvereinbarungen und Kooperationsverträge zwischen Wasserversorgern und Landwirten“, schilderte Silke Reimund. „Die dort getroffenen Vereinbarungen ersetzen teilweise die Wasserschutzgebietsverordnungen und ermöglichen individuelle Lösungen für einzelne Schutzgebiete.“
Grundwasserschonende Landbewirtschaftung ist das Ziel
Alles begann zunächst 1992 mit dem „Otzberg-Projekt“: Landwirte, Wasserversorger, Beratungsstellen und die zuständigen Behörden entwickelten gemeinsam Methoden für eine Landbewirtschaftung, die das Grundwasser schonen und auf die örtlichen Gegebenheiten zugeschnitten sind.
Im Jahr 2000 wurde in Otzberg die AGGL in der Region Starkenburg als Zusammenschluss von sechs kommunalen Wasserversorgern gegründet. Die Stadt Lindenfels war eines der Gründungsmitglieder der AGGL. Bis dato hatte die AGGL Landwirte in Wasserschutzgebieten der 13 kommunalen Wasserversorger Lindenfels, Lautertal, Reichelsheim, Rimbach, Modautal, Heppenheim, Brensbach, Groß-Bieberau, Groß-Umstadt, Mühltal, Otzberg, Ober-Ramstadt, Roßdorf sowie dem Zweckverband Gruppenwasserwerk (ZVG) Dieburg beraten und betreut.
Es bestanden Kooperationen mit insgesamt 137 Wassergewinnungsanlagen auf mehr als 3000 Hektar Landfläche. Auch das Land Hessen beauftragte die AGGL im Jahr 2011 mit der Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie (WRRL). Seitdem beriet die AGGL in den Kreisen Bergstraße, Odenwald und Darmstadt-Dieburg flächendeckend landwirtschaftliche Betriebe zur gewässerschonenden Bewirtschaftung.
Groß-Umstadt übernimmt ab 2026 die Organisation der AGGL
Mit der Übernahme der Wasserversorgung Otzberg hat sich der Zweckverband Gruppenwasserwerk Dieburg im Jahr 2015 bereit erklärt, auch die Abwicklung der AGGL als temporäre Organisationseinheit zu übernehmen. Der ZVG Dieburg nutzte die Dienstleistungen der AGGL jedoch nur in einem geringen Teilbereich seiner Gewinnungsanlagen in Otzberg. Die Verbandsversammlung des ZVG Dieburg hat dann beschlossen, zum 31. Dezember 2025 die Mitgliedschaft in der AGGL zu kündigen, heißt es in den Gremienunterlagen der Lindenfelser Stadtverwaltung.
Die weitere Vorgehensweise sei bei der AGGL-Mitgliederversammlung im November 2023 erörtert worden. Alle Mitglieder und Beteiligten hätten sich für eine Weiterführung der AGGL ausgesprochen. Die Stadt Groß-Umstadt als größter Anteilseigner der AGGL habe sich bereit erklärt, für die Lösungsfindung einen Arbeitskreis ins Leben zu rufen. Dieses Angebot sei von allen Mitgliedskommunen dankend angenommen worden.
„Ziel des Arbeitskreises ist die Weiterführung der AGGL ab dem 1. Januar 2026 in einer neuen Organisationsform. Einstimmig wurde der Wunsch geäußert, dass Groß-Umstadt diese Aufgabe übernimmt. Die Stadtverordnetenversammlung der Stadt Groß-Umstadt hat im Dezember 2024 mit großer Mehrheit beschlossen, die Organisation der AGGL zu übernehmen“, informiert die Stadt Lindenfels in der Gremienvorlage.
Gremien sprechen sich gegen Verbleib in der AGGL aus
In den Sitzungen des Arbeitskreises sei unter Hinzuziehung einer rechtlichen Beratung sowie unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten eingehend diskutiert worden, dass die Organisation in ihrer derzeitigen Form als öffentlich-rechtliche Vereinbarung fortgeführt werden soll. Alternative Rechtsformen seien dabei umfassend geprüft und abgewogen worden.
Im März diesen Jahres habe die Stadtverordnetenversammlung der Stadt Groß-Umstadt einstimmig den Beschluss zu öffentlich-rechtlichen Vereinbarung zur Fortführung der AGGL gefasst. Die Vereinbarung regelt unter anderem die Aufgabenbereiche, Finanzierung und Organisationsstruktur der AGGL sowie die Rechte und Pflichten aller Vertragsparteien.
Gemäß der Vereinbarung ist vorgesehen, dass alle weiteren beteiligten Kommunen und Verbände den entsprechenden Beschluss zur Unterzeichnung der Vereinbarung ebenfalls fassen. Da sich der Lindenfelser Finanz- und Bauausschuss sowie das Stadtparlament jedoch gegen den Verbleib in der Arbeitsgemeinschaft ausgesprochen haben, wird es seitens der Stadt Lindenfels nicht zur Unterzeichnung der Vereinbarung kommen.
Engerlinge zerstören über zehn Hektar Land in Winterkasten
Die Kosten dafür, dass Groß-Umstadt künftig die Organisation übernimmt, betragen circa 10.000 Euro, der Anteil von Lindenfels hätte bei circa 437 Euro gelegen. Die laufenden Kosten für die Mitgliedschaft in der AGGL hätten sich für Lindenfels bei circa 10.000 bis 11.000 Euro bewegt.
Der Austritt aus der AGGL wurde vor allem von Bernd Rettig (LWG) kritisch gesehen. Denn immerhin war die AGGL laut den Ausführungen von Silke Reimund 120 Stunden pro Jahr für die Stadt Lindenfels tätig. „Das Rathauspersonal ist jetzt schon völlig ausgelastet. Wer von der Verwaltung soll künftig diese 120 Arbeitsstunden aufbringen?“, fragte Rettig. Zudem zweifelte er an, ob die Stadt tatsächlich 10.000 Euro an Kosten spart oder ob sie am Ende eventuell nicht sogar drauflegt, wenn es beispielsweise noch einmal zu außergewöhnlichen, landwirtschaftlichen Ausnahmesitutationen kommt, wie das 2022 in Winterkasten der Fall war.
Damals hatten sich unzählige Maikäferlarven in den Böden im Wasserschutzgebiet eingenistet. Die Engerlinge fressen die Wurzeln ab, wenn sie nicht rechtzeitig beseitigt werden, und verursachen dadurch massive Schäden. Über zehn Hektar Land wurden durch den Befall in Winterkasten zerstört. Es entwickelte sich keine Grasnarbe, zudem entstanden hohe Nitratwerte. Schnelles Handeln war also gefragt. Eine Neuansaat vor Herbst war erforderlich, allerdings sah man sich großen Herausforderungen gegenüber, denn ein Grünlandumbruch ist im Wasserschutzgebiet eigentlich verboten. Um eine schnelle Erlaubnis zu erhalten, war eine intensive Kommunikation mit den Behörden nötig. Mit Erfolg: Noch im August desselben Jahres wurde mit der Ansaat begonnen und bereits im Oktober war die Grünlanderneuerung mit Hafer-Deckfrucht geglückt.
Hohe Nitrat- und Atrazinwerte gemessen
Für die Stadt Lindenfels war die AGGL in den drei Wasserschutzgebieten in Winterkasten, Kolmbach und Winkel tätig. Die Gründe für den Beitritt zur Arbeitsgemeinschaft waren vor 23 Jahren vielfältig. Zum einen wurden in allen drei Gebieten zeitweise mikrobiologische Belastungen festgestellt. Zum anderen gab es in allen Gebieten sporadische Überschreitungen der Grenzwerte bei Atrazin und seinem Abbauprodukt Desethylatrazin. Atrazin ist ein Herbizid, also ein chemisches Mittel, das zur Bekämpfung von Unkraut eingesetzt wird. Atrazin wurde bereits 1991 verboten, da es nur sehr langsam abgebaut wird. Nach Auskunft des Hessischen Landesamts für Naturschutz, Umwelt und Geologie (HLNUG) stammen die Belastungen in den drei Wasserschutzgebieten wahrscheinlich aus der landwirtschaftlichen Bewirtschaftung vor über 30 Jahren.
Außerdem wurden im Wasserschutzgebiet Winterkasten hohe Nitratwerte im Rohwasser gemessen – im Jahr 2003 nahe dem Grenzwert von 50 Milligramm pro Liter. Im Wasserschutzgebiet Winkel lagen die Nitratwerte einer Quelle über dem Richtwert von 25 Milligramm pro Liter.
2002 startete das AGGL-Projekt für Winterkasten – mit einer Förderung durch die Investitionsbank Hessen (IBH) sowie die Wirtschafts- und Infrastrukturbank Hessen (WI-Bank). 2003 kam der Kooperationsvertrag für Kolmbach und Winterkasten zustande. 2006 war Projektbeginn in Winkel – ebenfalls mit einer Förderung durch die IBH- und WI-Bank. 2008 erfolgte der Abschluss des Kooperationsvertrags für Winkel.
Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe geht zurück
Im Rahmen ihrer Präsentation ging Silke Reimund auch näher auf die Flächennutzung in den drei Wasserschutzgebieten ein.
- Das Wasserschutzgebiet in Kolmbach erstreckt sich insgesamt auf einer Fläche von 21 Hektar. Davon werden 16 Hektar landwirtschaftlich als Grünland genutzt, fünf Hektar sind Waldgebiet.
- Das Wasserschutzgebiet in Winterkasten ist insgesamt 54 Hektar groß. Davon sind 49,5 Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche (42 Hektar Grünland, 7,5 Hektar Ackerland). 4,5 Hektar sind Waldgebiet.
- Das Wasserschutzgebiet in Winkel hat eine Fläche von 63 Hektar. Davon werden 43 Hektar landwirtschaftlich genutzt (42,5 Hektar Grünland, 0,5 Hektar Ackerland). 20 Hektar sind Waldgebiet.
Zu beobachten sei allerdings, dass es immer weniger landwirtschaftliche Betriebe und deutlich weniger Haupterwerbsbetriebe gebe. Während es im Jahr 2000 noch 18 Bewirtschafter in den Lindenfelser Wasserschutzgebieten gegeben habe, seien es im Jahr 2024 nur noch neun Bewirtschafter gewesen. Zudem gebe es dort keinerlei Milchviehhaltung. Hinzu kommt, dass vermehrt ortsfremde Betriebe frei werdende Flächen pachten oder kaufen – auch in den Wasserschutzgebieten.
Ein Problem sei auch der sogenannte „Gülletourismus“, also der Transport von überschüssiger Gülle über weite Strecken in Gebiete mit wenig Viehhaltung. Dieser sei durch die Verschärfung der EU-Düngeverordnung entstanden. Um die Nitratbelastung im Grundwasser und die Überdüngung einzudämmen, wird seit 2020 reguliert, wie viel Gülle die Bauern auf ihren Feldern ausbringen dürfen.
Zunehmend haben Versorger und Landwirte auch neue Herausforderungen zu bewältigen, etwa durch invasive Arten und Schädlinge. Außerdem haben die klimatischen Veränderungen Auswirkungen auf die Wasserversorgung. „Während man sich in der Vergangenheit vor allem auf die Qualitätssicherung fokussierte, wird künftig zur Sicherung der Wasserquantität verstärkt auf die Verbesserung der Infiltrationsleistung der Flächen und auf Wasserretentionsmanagement gesetzt“, erläuterte Silke Reimund. „Die Wasserversorgung ist ein zentraler Bestandteil der Daseinsfürsorge. Die Kontrolle, Überwachung und Sicherung der Gewinnungsanlagen sowie der dazugehörigen Wasserschutzgebiete ist Pflichtaufgabe der Stadt“, betonte sie abschließend.
Mehrarbeit haben Versorger nicht zuletzt durch die Trinkwassereinzugsgebieteverordnung, die im Jahr 2023 in Kraft getreten ist. Die Verordnung hat zum Ziel, das Trinkwasser besser vor Verunreinigungen zu schützen. Sie betrachtet die gesamte Versorgungskette – von der Wassergewinnung in den Einzugsgebieten, den Entnahmestellen für die Trinkwassergewinnung über die Aufbereitung und Speicherung bis zur Verteilung des Wassers. Die Verordnung legt fest, dass Betreiber einer Wassergewinnungsanlage ihre Einzugsgebiete genau untersuchen und Risiken bewerten müssen. Basierend auf diesen Bewertungen müssen sie Maßnahmen ergreifen, um Verunreinigungen im Rohwasser zu vermeiden und so die Qualität des Trinkwassers zu sichern.
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