SPD-Mitgliedervotum - Auf Werbetour für die Zweckehe mit der Union im Bund war Christine Lambrecht zu Gast in Lindenfels

"Einen Plan B gibt es nicht"

Von 
Thomas Tritsch
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Beim politischen Frühschoppen der SPD in Lindenfels warb Bundestagsabgeordnete Christine Lambrecht (Mitte) für die Große Koalition im Bund und berichtete von den Verhandlungsrunden in Berlin.

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Lindenfels/Bergstraße. "Verbindliches Mitgliedervotum" heißt die nächste Hürde, die die SPD nehmen muss. Die Entscheidung der Partei, die Bildung einer großen Koalition mit der CDU vom Votum ihrer Mitglieder abhängig zu machen, sorgt für hochemotionale Diskussionen an der Basis. In Lindenfels, wo Christine Lambrecht gestern über den Sachstand im Berliner Elefanten-Poker berichtete, schaut man mehrheitlich gelassen in die Zukunft.

Lambrecht spricht von einer Zerreißprobe. "Einen Plan B gibt es nicht", sagte die Bergsträßer Abgeordnete im Gasthaus Ludwigshöhe. Sollte es keine Mehrheit für das Zweckbündnis mit der Union geben, sieht die Viernheimerin rabenschwarze Wolken am Horizont. "Dann wird es einen Schlag tun, den wir so noch nicht gehört haben." Sprich: Wenn die SPD ihre im Wahlkampf definierten Ziele nicht in einer Großen Koalition wenigstens zum Teil durchbringen wolle, werde es schwer bis unmöglich sein, den Wählern den Wunsch nach einem chancenarmen Solo zu vermitteln. In einem solchen Fall befürchtet sie einen radikalen Vertrauensverlust. So pragmatisch wie Christine Lambrecht denkt freilich nicht jeder der Genossen, die sie derzeit auf ihrer kreisweiten Werbetour von einem "Ja" überzeugen will.

Alternativen sieht sie nicht. Schwarz-Grün im Bund sei aktuell nicht vorstellbar, und eine Minderheitenregierung der CDU lehnt die Kanzlerin vehement ab. Das hieße Neuwahlen. Und die SPD müsse dann rechtfertigen, warum sie ihre politischen Ziele nicht in einer Regierungsbeteiligung vertreten wolle, sondern sich, tendenziell bockig, aus der Affäre zieht. "Das wird nichts", prophezeit die Stellvertretende Fraktionsvorsitzende.

Optimismus bei den Genossen

In Lindenfels zeigte man sich optimistisch. "Das klappt", so Bürgermeister Michael Helbig, dessen Klagelied auf die Finanzlöcher in der Kommune gestern als Zwischenruf aushallte. Wichtiger ist den Genossen jetzt, dass die Prognosen sich erfüllen und die Zustimmung unter den 475 000 Mitgliedern wächst. Das tut sie - wenn auch nicht kritiklos.

"Trotz allem der richtige Weg, um von den 25 Prozent wieder wegzukommen", kommentierte der Erste Stadtrat Otto Schneider. Fraktionschef Stefan Ringer hat ebenfalls schon zugestimmt. Aber er warnt davor, die ureigentlichen Ziele der SPD, die nicht im Koalitionsvertrag stehen, aus den Augen zu verlieren. "Wir als Basis werden der Bundespartei weiter auf den Füßen stehen." Sein Fraktionskollege Ingo Thaidigsmann erkennt im Votum sogar selbstheilende Kräfte: Die Partei könne damit das korrigieren, was sie sich selbst eingebrockt hat. Das Trauma der Agenda 2010 sitzt tief. Die Fehler vom letzten Mal will man unter allen Umständen vermeiden. Mit der Basta-Politik von oben herab, wie sie die SPD im ersten Kabinett Merkel erfolglos praktizierte, soll Schluss sein.

Koalition als "Riesenchance"

Forderungen nach Mindestlohn und einer Ordnung des Arbeitsmarktes waren daher wichtige Argumente in den Koalitionsverhandlungen, wie Lambrecht erklärt. Mit dem Ergebnis ist sie zufrieden: "Die Verhandlungen waren zum Teil sehr hart. Aber man erkennt trotz vieler Abstriche einen ausgewogenen Vertrag mit sozialdemokratischer Handschrift."

Lambrecht sitzt in Berlin nicht nur im großen Koalitionsgremium an einem Tisch mit Sigmar Gabriel und Angela Merkel, sondern auch in einer Arbeitsrunde, die sich vorrangig mit den Themen Recht und Innenpolitik befasst. Als Fraktionssprecherin im Hauptausschuss des Deutschen Bundestags agiert die 48-Jährige in der ersten Reihe.

Jetzt wünscht sie sich nicht nur, dass die Mehrheit der Basis dafür stimmt. Mindestens genauso sehr hofft Lambrecht auch darauf, dass die Genossen nach dem Entscheid nicht gleich anfangen zu jammern. Wenn der Kurs basisdemokratisch festgelegt ist, müssten alle mitmachen. "Eine Koalition ist nicht das Problem. Wir müssen uns allerdings fragen, wie wir damit umgehen." In der angestrebten Konstellation sieht die Fraktionsvize politisch eine "Riesenchance". Aber auch eine heikle Phase für das eigene Lager.

Die SPD müsse in den kommenden Monaten Profil zeigen und Inhalte souverän transportieren. Patzer könne man sich nicht erlauben, wiederholt sie in Lindenfels mehrfach. Denn Rot-Schwarz sei weder Wunschehe noch Spaßveranstaltung. Es geht ums Ganze mit einem Partner, dem man nicht um den Hals gefallen ist. Die tiefen Gräben wollte Christine Lambrecht gestern in Lindenfels nicht verschweigen. Die kleinen Brücken aber auch nicht.

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