Darmstadt/Lautern. Am vergangenen Montag musste sich der 27-jährige Stefan S. vor dem Landgericht Darmstadt wegen Brandstiftung verantworten. In der Nacht vom 12. auf den 13. November 2022 zündete er zunächst in Laudenbach und dann in Lautern Säcke mit Pfandflaschen im Lagerbereich zweier Netto-Filialen an. Während das Feuer in Laudenbach keinen großen Schaden anrichtete, griffen die Flammen in Lautern auf den Markt über, der komplett zerstört wurde. Der Sachschaden betrug rund 2,3 Millionen Euro.
Zehn Monate saß der Angeklagte bereits in Untersuchungshaft in der JVA Frankfurt, gestern verhängte das Gericht eine Freiheitsstrafe von vier Jahren. Da bei dem Feuer in Laudenbach kein nennenswerter Schaden entstand, wurde dieser Anklagepunkt fallen gelassen und nur der schwerwiegende Brand in Lautern weiter verhandelt. In beiden Fällen hatte der Angeklagte erklärt, er habe nicht den ganzen Markt anzünden, sondern lediglich „eine Sauerei anrichten wollen.“
Von April 2019 bis Ende 2021 war er in einer Netto-Filiale in Fürth beschäftigt. Dort kam es in dieser Zeit zu mehreren Vorfällen, etwa rechnete der Angeklagte unrechtmäßig Pfandbons ab und wurde wegen sexueller Belästigung eines Praktikanten verurteilt.
Rachemotiv abgestritten
Nachdem er 2021 letztlich entlassen worden war, habe der Angeklagte zunehmend „in den Tag hineingelebt“, gelegentlich getrunken und ab und an Marihuana konsumiert, wie sein Verteidiger David Station erklärte. Für kurze Zeit arbeitete S. noch bei einer anderen Supermarktkette, danach war er arbeitslos. In der Anklageschrift hieß es, der 27-Jährige habe sich bei seinem ehemaligen Arbeitgeber Netto für die Entlassung rächen wollen und deswegen beschlossen haben, die Feuer zu legen.
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Dies stritt er jedoch ab. Der Angeklagte habe sich in erster Linie vor seinen Freunden beweisen wollen, so der Verteidiger. In seinem Freundeskreis sei S. dafür bekannt gewesen, öfter mal „seine fünf Minuten“ zu haben und impulsiv zu sein. Auffällig sei es aber schon, dass S., der selbst keinen Führerschein besitzt, in der Tatnacht mit zwei weiteren Männern zu ebendiesen Märkten gefahren sei. „Müllsäcke, die man anzünden kann, gibt es schließlich überall“, stellte auch die Staatsanwaltschaft fest.
„Nichts mitbekommen“
Am Abend des 12. November traf sich der Angeklagte mit zwei Freunden, sie fuhren eine Weile ziellos umher, über Weinheim nach Laudenbach, wo er den ersten Brand legte. Dann ging es weiter zu einem Fastfood-Restaurant und schließlich nach Lautern. Dort zündete er an einer Laderampe gelagerte Pfandsäcke an – das Feuer griff innerhalb weniger Minuten auf die Umgebung über. Die beiden Autoinsassen wollen von der Absicht und den Taten des Angeklagten nichts mitbekommen haben.
Auf einem Überwachungsvideo vom Brand in Lautern ist allerdings zu sehen, dass der Fahrer, ein 23-jähriger Fürther, mit ausgeschaltetem Licht auf den Parkplatz fährt. Als der Angeklagte eilig von der Laderampe zurückkommt, wendet er zügig, sein Abblendlicht schaltet er erst auf der Straße wieder ein. Der Fahrer des Wagens war es letztlich auch, der zwei Tage nach der Tat zur Polizei ging. Die Verteidigung wies stetig auf die „erstaunlichen Erinnerungslücken“ der beiden Mitfahrer hin, die vor allem dann einsetzten, wenn es um ihre Rolle bei den Taten ging.
Mangelnde geistige Reife
S. erklärte während der Verhandlung, er habe nicht gewollt, dass der gesamte Markt abbrenne. Er habe nicht damit gerechnet, dass sein Feuer so einen großen Schaden anrichten würde. Immer wieder betonte sein Verteidiger, der Angeklagte sei „nicht der Schlauste“, was auch ein unabhängiges Gutachten zeigte. Neuropsychologe Dr. Peter Haag beschrieb den Angeklagte als zugewandt, jedoch als schwerfällig im Denken und wenig emotional.
Hinweise auf eine Persönlichkeitsstörung oder weitere Auffälligkeiten gebe es keine, die Intelligenz des Angeklagten bewertete Haag als unterdurchschnittlich. Die meiste Zeit des Verfahrens wirkte S. eher teilnahmslos.
Belastende Chatnachrichten
Während der Verhandlung zeiget der Angeklagte Reue bezüglich seiner Taten. Nicht ganz in Einklang damit waren mehrere Chatnachrichten zu bringen, die S. am Tag nach der Tat abgesetzt hatte. „Diggah, du bist crazy“, hatte einer der beiden Mitfahrer ihm getextet, woraufhin der 27-Jährige „glaube, größer hätte man nichts erreichen können“ und „Respekt, wer´s selber macht“ geantwortet hatte.
Sein Verteidiger betonte, mit diesen Nachrichten habe sich der Angeklagte nur aufspielen wollen. Die Tragweite seiner Tat sei S. erst später bewusst geworden. In erste Linie habe er als jemand, „der sich was traut“ und nicht als „Loser“ dastehen wollen. Dieses Verhalten zeige einmal mehr, dass seine geistige Reife mehr der einers Jugendlichen als eines Erwachsenen entspreche.
„Ich glaube, Sie werden manchmal einfach mitgenommen, damit etwas passiert“, sagte der Staatsanwalt in seinem Plädoyer. Ob der Angeklagte die Tat nun aus Rache begangen hat oder nicht, wurde am Ende der Verhandlung nicht ganz deutlich. Jedoch seien letztlich auf Wunsch des Angeklagten gezielt zwei Netto-Märkte angesteuert worden. Hiermit sah die Staatsanwaltschaft es als erwiesen an, dass zumindest noch ein Groll gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber bestanden haben muss.
Immerhin habe während seiner bisherigen Haft ein Denkprozess eingesetzt: Der Angeklagte hatte erklärt, die Haft tue ihm gut, da er einen strukturierten Alltag habe.
Entschuldigung bei Anwohnern
Während der gesamten Verhandlung saß S. regungslos da und antwortete nur knapp auf Fragen. Bevor sich das Gericht zurückzog, um ein Urteil zu fällen, entschuldigte er sich bei den Anwohnern im Lautertal, die er um ihre Einkaufsmöglichkeit gebracht habe, bei den Einsatzkräften, deren Gesundheit er gefährdet habe und für den hohen Sachschaden. S. sehe die Haftstrafe als eine Chance für sich, noch einmal anfangen zu können.
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