Reichenbach. Eine äußerst informative Präsentation servierte Streuobstwiesenretter Martin Schaarschmidt vom Landschaftspflegeverband Bergstraße in einer Sitzung des Reichenbacher Ortsbeirats. Dabei stellte er Projekte in der Region und speziell in Lautertal hinsichtlich des Erhalts der Vielfältigkeit der Kulturlandschaft vor.
Dass diese Arbeiten bereits Früchte tragen, belegt eine Auszeichnung für Bensheim und Lautertal in Sachen Naturschutz und Würdigung der damit verbundenen ehrenamtlichen Tätigkeit. Im Dezember erhielten die beiden Gemeinden bei der siebten Auflage des Wettbewerbs „Landschaft in Bewegung“ 10 000 Euro.
Das prämierte Projekt erstreckt sich über Gebiete von Bensheim und Lautertal. Es war über die Gemeinde Lautertal mit dem Titel: „Biodiversitätsoffensive Lautertal / Bensheim – Interkommunal für den Erhalt der Artenvielfalt in der Kulturlandschaft“ eingereicht worden. Das Preisgeld soll für weitere Naturprojekte eingesetzt werden.
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Wie Schaarschmidt weiter informierte, wurde der Landschaftspflegeverband Bergstraße im Juni 2022 in Lautertal gegründet. In dem gemeinnützigen Verein arbeiteten alle Beteiligten freiwillig und gleichberechtigt zusammen. Dadurch öffneten sich für die jeweiligen Projekte die Türen aller Beteiligten oft schneller als bei behördlichem Vorgehen. Bereits vorhandene regionale Aktivitäten und Organisationen würden in die Maßnahmen einbezogen.
Der Verein setze Impulse für eine nachhaltige Regionalentwicklung sowie umweltverträgliche Landnutzung. Er helfe, ein flächendeckendes Netz natürlicher und naturnaher Lebensräume zu schaffen, die Kulturlandschaft zu erhalten oder wieder herzustellen, sagte Schaarschmidt. Dabei entstehe für die lokale Landwirtschaft ein verlässliches Zusatzeinkommen, wenn sie die Umsetzung der Maßnahmen unterstütze. Der Verein vermittle zwischen den Partnern und helfe bei der Beschaffung von Fördermitteln.
Wie weiter zu erfahren war, sind dem Landschaftspflegeverband inzwischen 16 der 22 Kommunen des Kreises Bergstraße, sieben landwirtschaftliche Betriebe, 17 Vereine - darunter verschiedene Gruppen des Naturschutzbundes – und Verbände sowie acht Privatpersonen als fördernde Mitglieder beigetreten. Die Geschäftsstelle des Vereins ist im alten Reichenbacher Rathaus. Geschäftsführer ist Martin Schaarschmidt. Zusätzlich zur Leiterin der Geschäftsstelle Stefanie Seitz steht Projektmitarbeiterin Christina Härle als Ansprechpartnerin zur Verfügung.
Die Vielfalt in der Natur hat sich seit 1850 deutlich reduziert
Mit historischen Luftbildaufnahmen von Bensheim belegte Martin Schaarschmidt wie ursprünglich vernetzte Landschaftsgebiete zum Beispiel durch den Bau der Eisenbahn zerschnitten wurden. Straßenbau und fortschreitende Besiedlung machten den Austausch der verschiedenen Arten etwa zwischen der Rheinebene und dem Odenwald fast unmöglich.
Seit 1850 sei die Vielfalt in der Natur deutlich zurückgegangen. Noch mehr Lebensräume seien verschwunden, als die Bebauung die Bahnlinie Richtung Westen überschritten hatte. Eine 90 Jahre alte Aufnahme zeigte im Vergleich zu heute, dass zahlreiche Gärten verschwunden sind und Kleinparzellen in große landwirtschaftliche Flächen umgewandelt wurden. Aufgelassene Flächen sind überwuchert und müssten wieder freigelegt werden.
Auch für Reichenbach konnte Schaarschmidt festmachen, dass es eine enorme Siedlungserweiterung gab. Obstgärten seien zugebaut und Streuobstwiesen entweder verschwunden oder derart von Misteln befallen, dass sie kaum noch zu retten seien. Anhand eines Bildes des Graulbachtales Richtung Beedenkirchen konnte Schaarschmidt zeigen, dass das als Korridor dienende Offenland durch fortschreitenden Bewuchs versperrt werde. Die verbliebenen freien Flächen seien nur von Gras bewachsen, Blütenvielfalt sei verlorengegangen.
Auch wenn die Artenvielfalt um Reichenbach noch zufriedenstellend sei, so sei die Entwicklung negativ. Sein Verein möchte auch hier gegenseitiges Verständnis bei den Interessengruppen wecken und feststellen, welche Projekte verwirklicht und finanziert werden können.
Um die Verbuschung zurückzudrängen, könnten Beweidungsprojekte angegangen werden. Zusammen mit den Eigentümern müsse das konkretisiert werden. Bereits nach zwei bis drei Jahren könne wieder eine offene Landschaft mit einem gesunden Obstbaumbestand erreicht werden, wie Schaarschmidt mit Aufnahmen aus dem Rhein-Neckar-Kreis verdeutlichte. Dabei würden teilweise Altgrasstrukturen belassen, um Insekten einen Lebensraum zu bieten.
Alte Trockenmauern böten nach ihrer Freilegung und Restaurierung ebenfalls einen vielseitigen Lebensraum für zahlreiche Insekten und auch Tiere. Wo alte Mauern fehlten, könne man Steinhaufen anlegen, wie es bereits am Borstein geschehen sei. Ein Leitinsekt sei für ihn der Wiesenknopfbläuling, ein kleiner Schmetterling, der für seinen Fortbestand den Großen Wiesenknopf als Nektar- und/oder Raupenfutterpflanze benötigt. Sei die Wiese in einem guten ökologischen Zustand und werde nicht zu oft gemäht, so seien dieser Schmetterling und seine Futterpflanze anzutreffen. Um das zu erreichen, müsse mit den Landwirten ein Pflegevertrag abgeschlossen werden.
Neue Wiesen und Wasserstellen sollen helfen
Auch am Beispiel des restaurierten Knodener Kirchpfades konnte Schaarschmidt belegen, dass mit einigen Maßnahmen Wildwuchs beseitigt und wieder eine offenere und vielfältige Landschaft erreicht werden könne. Um Wiesen an freigelegten Stellen anlegen zu können, könne mit einem Gerät zur Ernte von Wiesensaatgut, dem „Wiesefix“, Saatgut auf Wildwiesen gewonnen werden. Mit einer rotierenden Bürste werden dabei die Grassamen eingesammelt.
Amphibien, die durch die zunehmende Trockenheit leiden, könnten mit der Anlage von Grabentümpeln oder den Einbau von Edelstahlwannen neue Laichplätze erhalten. Auch Wildtiere könnten von den Wasserstellen profitieren. Aus diesem Grund seien am Felsenmeer-Informationszentrum im Graulbach kleinere Tümpel geschaffen worden. Probleme bereite dagegen zunehmend der Waschbär, der eine Bedrohung für die Tierwelt darstelle.
Vonseiten der Zuhörer wurde eine zugewachsene Parzelle im Höllacker angesprochen, deren Wildwuchs auf die Nachbargrundstücke übergreife. Hier sicherte Schaarschmidt Unterstützung bei der Lösung des Problems zu. Eine Möglichkeit sei die Beweidung durch Ziegen, aber von diesen gebe es immer weniger in Reichenbach.
Bürgermeister Andreas Heun lobte die Arbeit des Vereins, der auch von der Gemeindevertretung unterstützt werde. Man sei froh, die Geschäftsstelle in Reichenbach zu haben, da dadurch ein „kurzer Dienstweg“ möglich sei. Die Gemeinde sei gar nicht in der Lage, all diese Arbeiten zu leisten.
Olaf Harjes regte an, den Verein als Vorlage für weitere interkommunale Zusammenarbeit zu nehmen, etwa bei der Energiepolitik. Ortsvorsteher Alfred Hogen schlug vor, sich bei einer Begehung Projekte anzusehen.
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