Gadernheim. Die evangelische Kirche in Gadernheim ist nicht nur ein ganz besonderes Schmuckstück des vorderen Odenwalds, sondern auch ein interessantes Stück Kirchengeschichte. Das wurde jedenfalls den gut 30 Gästen anschaulich, die einer Einladung der Metzendorf-Gesellschaft für Architektur und Denkmalschutz gefolgt waren.
Der Gründungsvorsitzende des Vereins und Vorgänger der aktuellen Vorsitzenden Bettina Hesse, Frank Oppermann, führte zunächst in die gestalterischen Merkmale der von Heinrich Metzendorf geplanten, malerisch auf einem Hügel gelegenen Kirche ein, die im Jahr 1913 fertiggestellt wurde. Den Stil könne man analog der Publikation „Heimatliche Bauweise“, einer regelmäßigen Beilage des großherzoglichen Gewerbeblatts, beschreiben: Der in Gadernheim gebrochene Granit wird durch Sandsteindetails wie Friesen und Flechtbandornamenten im Tympanon ergänzt. An der Fassade findet man auch formale Anspielungen an die regionale Architektur, etwa an die Blendarkaden der Königshalle in Lorsch. Auch der mit Lärchenschindeln verkleidete Giebel greift regionaltypische Bautechniken auf.
Als Bauleiter fungierte Ludwig Lengfelder aus Bensheim. Die Arbeiten am Bau führten überwiegend Handwerker aus Gadernheim und der Region aus. So kamen die Schindeln aus der Schreinerei Pfeifer in Winterkasten, die noch heute besteht.
Nach Entwürfen Heinrich Metzendorfs wurde auch die Innenausstattung der Kirche angefertigt, die Entwürfe kamen allerdings zum Teil erst in den 50er Jahren zur Ausführung. Nach mehreren Eingriffen, über die der Vorsitzende des Bauausschusses im Kirchenvorstand, Horst Pfeifer, berichtete, ist die Innenausstattung von den Kirchenbänken über die Gestaltung von Altar, Kanzel und Taufstein bis zum in der Kämpferzone den gesamten Kirchenraum umlaufenden Bibelzitat als beeindruckendes metzendorfsches Gesamtkunstwerk zu besichtigen.
Für Kirchenbänke wird eine neue Verwendung gesucht
Ein hübsches Detail der Restaurierungsgeschichte betraf das Bibelzitat im Fries nach dem Johannesevangelium: „Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“ Stand ursprünglich, wie auch heute wieder das Wort „alle“ im Zentrum, so waren die Buchstaben auf Wunsch eines Pfarrers zwischendurch so platziert worden, dass das Wort „glauben“ direkt über Kanzel und Altar zu lesen war.
Wenn nun die Kirche also fast wieder wie im Original zu erleben ist, so mussten doch vor einigen Jahren aus Platzgründen mehrere Sitzreihen entfernt werden. Nachdem die Kirchenbänke lang auf einem Gadernheimer Hof eingelagert waren, wurden sie von der Kirchengemeinde inzwischen in die Obhut der Metzendorf-Gesellschaft gegeben. Der Verein sucht nun nach einer angemessenen und denkmalgerechten Verwendung für die mit einfachen Schnitzereien versehenen Nadelholzbänke und ist offen für Vorschläge.
Die Architektur insgesamt konnte damals wie heute als „anheimelnd, bodenständig und trotzbietend“ empfunden werden. Doch beleuchtete Metzendorf-Spezialist Frank Oppermann auch einige Turbulenzen, die der Grundsteinlegung im Jahr 1912 vorausgegangen waren. Die Bevölkerung war nämlich zunächst alles andere als begeistert von Metzendorfs Entwurf. Zumindest waren die Meinungen geteilt, und es gab sehr engagierten Widerspruch einiger Gemeindemitglieder, die alternative Entwürfe von Metzendorfs Konkurrenten Wilhelm Nahrgang und von dem Darmstädter Architekten Georg Scherer in Auftrag gaben.
Möglicherweise fürchteten die ortsansässigen Handwerker zunächst, dass ihnen bei der Auftragsvergabe durch Metzendorf Handwerker von der Bergstraße vorgezogen würden, vermutete Oppermann. Er hielt es jedoch für wahrscheinlicher, dass der Entwurf aus ästhetischen Gründen auf Ablehnung stieß, da er deutlich vom damals verbreiteten neogotischen und neoromanischen Kirchenbaustil abwich.
In der Tat weicht Metzendorfs Entwurf vom üblichen Schema ab. Die Gadernheimer Kirche ist eine von nur zwei ausgeführten Sakralbauten des für seine vielen Villen bekannten Architekten – der andere war die in der äußeren Gestaltung verblüffend ähnliche, inzwischen zerstörte Heppenheimer Synagoge.
Ein außergewöhnlicher, aber kirchenkonformer Bau
Doch war die eigenwillige Form der Gadernheimer Kirche, deren Bau seit den ersten Jahren des Jahrhunderts von dem damals sich gründenden, eigenen evangelischen Kirchspiel betrieben worden war, durchaus kirchenkonform. Sie war im protestantisch geprägten deutschen Kaiserreich Ausdruck einer bewussten Abwendung von der katholisch geprägten Form des Kirchenbaus, bei der die Orientierung an Antike und Mittelalter dominierte.
Im sogenannten Wiesbadener Programm wurde unter anderem die Einheit von Kanzel, Altar und Orgel gefordert: „Die Kanzel, als derjenige Ort, an welchem Christus als geistige Speise der Gemeinde dargeboten wird, ist mindestens als dem Altar gleichwertig zu behandeln. Sie soll ihre Stelle hinter dem letzteren erhalten und mit der im Angesicht der Gemeinde anzuordnenden Orgel- und Sängerbühne organisch verbunden werden, mit Kanzel und Altar in der Mittelachse des Innenraumes, in der sich möglichst auch die Orgel und die Chorbühne befinden sollen“. Alle diese Merkmale sind in der Gadernheimer Kirche verwirklicht.
Für die Umsetzung des metzendorfschen Plans setzte sich mit großem Nachdruck der Architekt Friedrich Pützer ein. Er war Denkmalpfleger für die hessische Provinz Starkenburg und Kirchenbaumeister der Evangelischen Landeskirche in Hessen, zuständig für die Begutachtung und Korrektur von Neubauplänen für evangelische Kirchen. Der Bau wurde innerhalb nur eines Jahres nach Grundsteinlegung fertig und die Kritik verstummte.
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