Landeswohlfahrtsverband - 30 Jahre Archiv / Erinnerung an die dunkelsten Kapitel der Psychiatrie

Nichts verschweigen, nichts vergessen

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Gedenktafel am Eingang zur Vitos-Klinik in Heppenheim.

© köppner

Heppenheim. Das Archiv des Landeswohlfahrtsverbands (LWV) Hessen wurde am 1. April 30 Jahre alt. Darin ist auch die Geschichte der Vitos-Klinik in Heppenheim dokumentiert. Sie wurde vor genau 150 Jahren gegründet.

"Die Sicherung und Aufarbeitung unseres bedeutsamen historischen Erbes hat weiterhin einen hohen Stellenwert", so LWV-Landesdirektor Uwe Brückmann. Europaweit stellt das LWV-Archiv mit einer 500-jährigen Überlieferung der politisch und ethisch wichtigen Geschichte der sozialen Hilfe ein herausragendes Kulturerbe dar. Die Unterlagen gehen bis in das frühe 16. Jahrhundert zurück und reichen derzeit bis in die 1980er Jahre.

Schwerpunkte bilden die hessischen Hohen Hospitäler (heute Vitos Haina, Kurhessen und Riedstadt), die Psychiatriegeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, die Euthanasie-Verbrechen der Nationalsozialisten in hessischen Anstalten sowie die Geschichte der Erziehungsheime des LWV nach 1945. Im Laufe von 30 Jahren entstand ein Aktenbestand von 6000 laufenden Metern, 4000 Bauplänen, 8000 Fotografien und 20 000 Büchern.

Wertvoller historischer Fundus

Leiterin des Archivs ist die Historikerin Professorin Christina Vanja. Unter ihrer wissenschaftlichen Leitung werden historisch, juristisch oder baugeschichtlich relevante Dokumente des LWV, seiner Rechtsvorgänger und seiner Einrichtungen betreut. Grundlage der Arbeit ist die Archivsatzung des LWV, die auf dem Hessischen Archivgesetz basiert. Die Archivalien befinden sich in Kassel und einigen Außenstellen.

"Wir sind dankbar, dass die politisch Verantwortlichen des LWV Anfang der 1980er Jahre erkannten, wie wertvoll der historische Fundus war, der bis dahin in Altregistraturen 'schlummerte'. Insbesondere die Aufarbeitung der NS-Verbrechen in den vom LWV 1953 übernommenen Einrichtungen war von großer Bedeutung", betont LWV-Landesdirektor Brückmann.

Heute erinnern neben der zentralen Gedenkstätte Hadamar hessenweit zwölf Gedenkorte an die Leiden der Opfer. Derzeit sind es jährlich 700 bis 800 Personen und Institutionen, die nach Angehörigen suchen, die in der NS-Zeit umgekommen sind, oder Unterlagen für Anträge zum Fonds "Heimerziehung 1949 bis 1975" benötigen. Gedenkinitiativen aus ganz Deutschland nutzen das Archiv. Seine Exponate helfen bei der Gestaltung von Ausstellungen. Im Lauf der Zeit sind im Archiv Forschungsarbeiten entstanden. Viele Studien wurden in der von Archiv und Gedenkstätte Hadamar herausgegebenen historischen Schriftenreihe publiziert.

Die "Landes-Irrenanstalt" Heppenheim wurde im Jahr 1866 durch das Land Hessen-Darmstadt gegründet. Die Konzeption als Reformanstalt geht auf den "Nestor der hessischen Psychiatrie", Georg Ludwig, zurück, der erster Direktor der neuen Einrichtung wurde. Nach ihm ist die Ludwigstraße (Bundesstraße 3) benannt, die am Postknoten beginnt und bis zum südlichen Ortsausgang von Heppenheim führt. Dort stehen die historischen Gebäude, die bis zum Umzug der Vitos-Klinik in den Neubau an der Viernheimer Straße genutzt wurden.

Die Einrichtung fungierte 1941 als Sammelanstalt für jüdische Patienten aus verschiedenen Fürsorgeeinrichtungen in Hessen und Baden, bevor diese von dort in eine Tötungsanstalt abtransportiert und ermordet wurden. Die Hälfte der Patienten der "Heil- und Pflegeanstalt Heppenheim" wurde 1941 im Rahmen der Aktion "T4" im mittelhessischen Hadamar ermordet. Die übrigen in Heppenheim verbliebenen Patienten wurden in andere Einrichtungen verlegt, um Platz für ein Kriegsgefangenenlazarett sowie ein Ausweichkrankenhaus zu schaffen. Eine Gedenkstätte erinnert an die Opfer des Nationalsozialismus.

Wie Zeitzeugen berichteten, wurden die Gebäude im Zweiten Weltkrieg auch als Lager für russische Kriegsgefangene genutzt, die misshandelt und zu Tode gequält wurden.

"Wir gedenken der Opfer des nationalsozialistischen Krankenmordes", steht auf der kreisrunden Gedenktafel, die 1995 vor dem Hauptgebäude an der Ludwigstraße aufgestellt wurde. "Auch aus unserem Krankenhaus wurden Frauen und Männer zwangsweise in andere Einrichtungen gebracht, dort vernachlässigt, gequält und getötet. Auch aus der Reihe der uns anvertrauten Menschen hat man viele angeblich Erbkranke gegen ihren Willen sterilisiert", heißt es in der Inschrift.

Was in Heppenheim geschah

Auch in Heppenheim wurde systematisch die materielle Ausstattung so verschlechtert, dass Menschen vorzeitig starben. 1940 begann in Hessen der unter der Bezeichnung "Euthanasie" bekannt gewordene Massenmord an mehr als 10 000 Kranken und geistig Behinderten. Im Februar 1941 wurde eine Sammelstelle für jüdische Patientinnen und Patienten in der Heil- und Pflegeanstalt Heppenheim eingerichtet.

"Möge diese Tafel für immer an dieses entsetzliche Unrecht erinnern und uns auffordern, uns gegen jede Entwicklung zu wehren, die wieder in eine solche Richtung gehen könnte", ist in der Eingangshalle der neuen Vitos-Klinik zu lesen. Die Klinikleitung mit Professor Thomas Rechlin legt großen Wert darauf, dass die Erinnerungen an die dunkelsten Kapitel in der Geschichte der Psychiatrie nicht verschwiegen oder vergessen werden. Die Gedenkstätte in der neuen Vitos-Klinik mit einem Spruch des jüdischen Religionsphilosophen Martin Buber zu überschreiben - er lebte von 1916 bis 1938 in Heppenheim -, geht auf Rechlins Initiative zurück. ai

Von Heppenheim aus in den Tod

Mehr als 100 Juden aus Baden und Hessen, darunter 19 Heppenheimer Kranke, wurden in der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur von hier in den Tod deportiert.

Von Februar bis April 1941 wurden 134 Frauen und 153 Männer von Heppenheim aus in die "Euthanasie"- Zwischenanstalten Eichberg, Weilmünster und Scheuern verlegt. Fast alle wurden kurz darauf in der Tötungsanstalt Hadamar ermordet, weil die Rassenideologie der damaligen Zeit sie für "lebensunwert" hielt.

Im Sommer 1941 wurde das Krankenhaus in ein Lazarett für Kriegsgefangene umgewandelt. Insbesondere die russischen Soldaten erhielten schlechte Ernährung und unzureichende Pflege. Dies führte bei vielen zu qualvollem Leiden und vorzeitigem Tod. ai

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