Heppenheim. So mancher einsame Wanderer in früheren Zeiten dürfte es wohl am eigenen Leib verspürt haben: Ein Huschen, nur aus dem Augenwinkel wahrgenommen, eine Berührung wie aus dem Nichts, flirrende Lichter und körperlose Gestalten in den finsteren Gassen, die den vorwitzigen Flaneur fast zu Tode erschreckt haben mussten. Unheimliche Begegnungen, die in Gespenstergeschichten mündeten, die gerne an langen Winterabenden in der warmen Stube weitererzählt wurden und fortan lebendig geblieben sind.
Reichhaltiger Fundus
Auch Heppenheim hat einen reichhaltigen Fundus an Spuk und Schabernack, der zudem seit 15 Jahren die historische Altstadtkulisse verzaubert. Wenn mit der einsetzenden Dämmerung die von Albert Völkl aus Trendelburg geschaffenen Scherenschnitte an 50 Standorten aufleuchten, geleiten sie die Nachtschwärmer von heute auf eine stimmungsvolle Reise in das Reich der Sagen.
Der Laternenweg, 2004 zum Hessentag eröffnet und inzwischen auf über 150 Motive aus ganz Hessen angewachsen, ist eine Attraktion, die bei den Führungen immer auf großen Zulauf stößt. So auch am Samstag, als sich über 30 Gäste, Erwachsene wie Kinder und Jugendliche, erwartungsvoll zum Start um 22 Uhr am Rathaus versammelten. Die Laternenführerinnen Annette Berbner-Jakob und Christa Molitor waren schon eingetroffen, mittelalterlich gewandet in Umhang und Barett. Petroleumlampe und Trittleiter, die nötigen Utensilien für den Rundgang, übernahmen hilfreiche Besucher.
Und los ging es, Annette Berbner-Jakob mit dem Tamburin vorneweg, zum ersten Halt in der Kellereigasse unter dem Bild der „Weißen Frau“. Sie soll eine Burggräfin gewesen sein, die ihren Treueschwur gebrochen hat und seitdem nachts wehklagend umherirrt, um denjenigen zu finden, der sie erlösen wird.
70 Geschichten in Versform
Die Sage ist eine der bislang 70 Geschichten der Laternenführer, die Stefan Behr, Initiator des Laternenwegs, Pia Keßler-Schül, Andrea Falk und Ludger Schürmann in Verse übertragen haben. Weitere Erzählungen kommen ständig hinzu, ebenso zusätzliche Motive an den Laternen, denn noch sind einige Projektionsflächen frei.
Wilde Flucht der Wilddiebe
Eine der neueren Erzählungen findet sich samt zwei Scherenschnitten an der Schlossschule. 2016 zum damaligen Saisonstart der Laternenführungen im Mai von Mitgliedern des Erbacher Heimat- und Verkehrsvereins eröffnet, geht es dort um die Sage „Der Irrwisch und die mutigen Wilpertsknapper“: Drei Wilddiebe, die beim verbotenen Jagen im Wald dem Spuk begegnet sein sollen und statt Reißaus zu nehmen, einen Schuss auf die Erscheinung abgeben. Das ist ihnen schlecht bekommen: „Es kimmt, es kimmt“, gaben sie Fersengeld. Die Illustrationen zeigen zum einen die wilde Flucht, zum anderen den Schützen, wie er schreckgeplagt unter seiner Bettdecke hervorlugt. Und die Moral von der Geschicht’: „Ihr solltet Mut von Tollkühnheit trennen, dann müsst ihr nicht um euer Leben rennen.“
Auch das Bombach-Mordche, das am Eckweg sein Unwesen trieb und mit Vorliebe Spaziergänger mit gezücktem Dolch erschreckte, gehört wie die „Weiße Frau“ zu den auf ewig Verdammten. Doch auch von unentdeckten Schätzen wie den „Zwölf silbernen Aposteln“ der Starkenburgkapelle wird berichtet. Die Sage vom „Schloss im Berg“ erzählt vom Sohn eines Kirschhäuser Lichtermachers, dem unter dem Siegel der Verschwiegenheit die Geheimtür im Berghang geöffnet und seine Ware gegen reichen Lohn abgekauft wird – so lange, bis er das Geheimnis enthüllt.
Der Beschützer der Starkenburg
Die im Jahr 1065 erbaute Starkenburg hat in der Tat den Heppenheimer Sagenschatz um etliche Überlieferungen bereichert, wie die Mär von Melampus, dem riesigen vierbeinigen Beschützer der Feste auf dem Schlossberg, der in den Wirren des Dreißigjährigen Krieges sogar sein Leben ließ: „Mutig, unnachgiebig und verwegen, stellt er sich dem Feind entgegen. Doch schon Tage später, wird berichtet, wurde er wieder im Wald gesichtet.“ jn
Termine
Laternenführungen gibt es außer zum Weinmarkt jeden Samstag von Mai bis September.
Treffpunkt ist um 22 Uhr am Rathaus, Voranmeldungen sind nicht nötig.
Führungen für Kinder sind auch im Programm.
Winterliche Geschichten werden in den Rauhnächten vom 26. bis 31. Dezember ab 19 Uhr erzählt.
Sonderführungen können das ganze Jahr über gebucht werden bei der Tourist-Information. jn
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