Gesang

Heppenheimer Chor singt gegen Sprachprobleme

Das Angebot speziell für Aphasiker ist in Hessen eine Besonderheit. Das Singen soll die Sprechzentren von Betroffenen ankurbeln.

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mam/ü
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Zu sehen sind die Teilnehmer mit Musikschulleiter Thomas Markowic und Chorleiterin Ulrike Sättler (beide hinten). © Dagmar Jährling

Heppenheim. Der neuste Chor der Musikschule Heppenheim ist in der Region und in Hessen etwas Besonderes. Nach Wissen von Musikschulleiter Thomas Markowic gibt es einen Chor speziell für Aphasiker in Hessen bisher nur in Frankfurt.

Unter Aphasie versteht man Probleme beim Sprechen, Verstehen, Lesen und Schreiben. Die häufigste Ursache ist ein Schlaganfall, eine Gehirnblutung oder eine andere Schädigung des Gehirns. Das Denken ist nicht eingeschränkt, aber die Betroffenen haben Probleme, dies in Worte zu fassen.

Eine therapeutische Wirkung

Die individuelle Ausprägung ist sehr unterschiedlich. „Versteckte Fähigkeiten sind durch Singen leichter abrufbar“, weiß Markovic. Das wirke sich auch positiv auf die Sprache aus. Musik habe therapeutische Wirkungen.

Anlass sich mit dem Thema zu beschäftigen, gab im Sommer ein Gespräch mit Anne Thoß, der Mutter einer früheren Trompetenschülerin von Markowic. Sie engagiert sich in der Aphasikergruppe Bergstraße, die sich regelmäßig in Heppenheim trifft. Anne Thoß hatte von der positiven Wirkung von Aphasikerchören gehört.

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„Sie hat von einem Projekt erzählt, das ich noch nicht auf dem Schirm hatte“, sagt Markowic. Die Idee sei gewesen, das an der Musikschule auszuprobieren. Er habe Bürgermeister Rainer Burelbach darauf angesprochen, der sofort das Okay gegeben habe.

„So kam das Ganze ins Rollen“, erinnert sich der Musikschulleiter. Burelbach berichtete jüngst in der Stadtverordnetenversammlung von dem Projekt.

Durch die Aphasikergruppe bestand ein Netzwerk an Betroffenen, mit ähnlichem Ausgangspunkt. Bei seinen Nachforschungen erfuhr Markowic, dass es in der Region nichts Vergleichbares gibt. „Es gibt vielleicht einzelne, die in einem Chor mitsingen“, sagt er. Das sei spannend. Die Stiftung Deutsche Schlaganfallhilfe listet bundesweit nur sechs solcher Chöre, in Bonn, Berlin, Frankfurt und Erfurt und zwei in München, für junge Aphasiker und für Ältere.

Besser singen als sprechen

Gehirnforscher verweisen darauf, dass Sprechen und Singen von unterschiedlichen Gehirnzentren gesteuert wird. Bekannt ist das von Stotterern. Wer kaum einen flüssigen Satz herausbringt, kann trotzdem oft problemlos singen oder Gedichte rezitieren.

Ein ähnlicher Effekt wird bei den „AphaSingers“, dem Aphasikerchor in Frankfurt beobachtet, der seit mehr als sieben Jahren besteht. Für die Sprachbildung ist laut Experten vor allem die linke Hirnhälfte zuständig. Beim Rhythmus dominiert dagegen die rechte Hirnhälfte. Durch das Langzeitgedächtnis können zudem einst gelernte Lieder abgerufen werden.

Das will sich auch das Team der Musikschule zunutze machen. Die nächste Frage war, wer einen solchen Chor leiten könnte. „Es sollte ja kein Chor auf Leistungsniveau werden“, sagt Markowic.

Es sei darum gegangen, jemand zu finden, „der mit dem Chor umgehen, richtigen Input geben und auf Einzelne eingehen kann“, erläutert der Musikschulleiter. Nötig seien nicht nur künstlerische, sondern auch pädagogisch-therapeutische Ansätze.

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Gefunden wurde Ulrike Sättler, die in der Musikschule bereits Rhythmik unterrichtet. „Das hat toll gepasst“, betont Markowic. Sie habe zwar noch keine Erfahrung als Chorleiterin, habe sich aber mit viel Engagement und Unterstützung der Kollegen die Grundlagen erarbeitet. Außerdem habe die Musikschule ihr Unterricht ermöglicht, um das handwerkliche Grundgerüst zu legen. Nach langer Vorbereitung hat das erste Treffen stattgefunden. „Bei einem guten Start sind alle happy. Wenn es kein guter Start ist, hat keiner was davon“, betont Markowic.

Wenig später stand bereits der zweite Termin an. Derzeit nehmen acht bis neun Frauen und Männer teil, im Alter über 40 bis über 50 Jahren.

Erst mal sei man mit Menschen aus dem vorhandenen Netzwerk gestartet, doch der Chor ist im neuen Jahr offen für weitere Sängerinnen und Sänger.

Sprechzentren ankurbeln als Ziel

Vorerfahrungen sind nicht nötig. Gesungen werde alles vom Schlager, über Oldies, bis zu Pop. In dieser Woche standen Weihnachtslieder auf dem Programm. Es gehe darum, in den Erinnerungen zu graben, sagt Markowic.

Das Singen solle Anreize bieten, die Sprechzentren anzukurbeln. Die Musikschule biete dafür einen geschützten Raum, um sich wohlzufühlen. „Wenn es jedem ein Stück Verbesserung der Lebensqualität bietet, ist das Ziel mehr als erreicht“, betont Markowic. mam/ü

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