Heppenheim. Iris Stromberger, die neue Intendantin der Heppenheimer Festspiele, und die Verantwortlichen des Weinmarktvereins können aufatmen. „Wir sind durch die neuen archäologischen Ausgrabungen zwar eine knappe Woche in Verzug geraten. Für die Ausrichtung der Festspiele und des Weinmarkts ist aber weiter alles im grünen Bereich“, teilt Erste Stadträtin und Baudezernentin Christine Bender (SPD) am Freitag auf Nachfrage der Redaktion mit.
Vor eineinhalb Wochen hatte Bender im Bau-, Umwelt- und Stadtentwicklungsausschuss berichtet, man sei bei den Tiefbauarbeiten zur Errichtung des Schachts für den neuen Aufzug an der Ostseite des Gebäudeensembles abermals auf „historisches Material“ gestoßen, das archäologisch untersucht werden müsse. Selbst die größten Optimisten gerieten ins Zweifeln, ob der ohnehin schon eng getaktete Zeitplan – der Weinmarkt soll am 24. Juni eröffnet werden – eingehalten werden kann. Beide geplanten Großveranstaltungen standen gar kurzzeitig infrage.
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Schon vor etwas mehr als einem Jahr waren die Arbeiten für die Umgestaltung des Amtshofs in ein modernes Kulturzentrum ins Stocken geraten, nachdem unter anderem Teile einer Stadtmauer freigelegt worden waren. In unmittelbarer Nähe eines der großen Fenster des Ausstellungsraumes des Museums stieß man zudem auf Überreste eines alten Treppenturms. Und noch einiges mehr hatten die herbeigerufenen Archäologen Ende Januar 2021 entdeckt: Messergriffe aus Eisen und Knochen etwa, Knöpfe aus Bronze, eine Musketenkugel aus Blei wurden aus den Zwischenräumen des Pflasters gekratzt, Pfeifenstiele, einiges an Baukeramik, aber nur kleine Scherben an Feinkeramik.
Vergleichbare Kleinteile wurden diesmal zwar nicht gefunden, doch müsse nach den neuesten Erkenntnissen die architektonische Geschichte des Amtshofs womöglich noch einmal überarbeitet werden, sagt Bender.
Wie vermutet, habe es sich bei den aktuellen Fundstücken zunächst um Schutt gehandelt, der im Zuge der vorherigen Sanierungs- und Umbaumaßnahmen im Amtshof wahrscheinlich überbaut worden sei, so Bender. Darunter jedoch hätten sich Teile einer Mauer befunden, „die nach ersten Erkenntnissen aus dem späten Mittelalter stammen dürfte“. Die Mauerteile seien mit großer Wahrscheinlichkeit Reste des einstigen Burggrafengebäudes.
Auf der Ostseite des Amtshofs befand sich laut Landesamt für Denkmalpflege ursprünglich das sogenannte Burggrafenhaus – „ein hoher, mindestens dreigeschossiger Bau, der vermutlich nach dem Übergang der Bergstraße an die Kurpfalz, vielleicht 1576 entstand“. In seiner massiven Erdgeschosshalle hätten einst die herrschaftlichen Weinpressen gestanden, in den zwei oder drei Fachwerkgeschossen darüber die Wohngemächer von Burggraf und Oberamtmann. „Der Bau wurde durch einen vor die Fassade gesetzten Wendeltreppenturm erschlossen und besaß außerdem eine Galerie in Höhe des ersten Obergeschosses“, heißt es auf der Internetseite des Landesamtes.
In einer engeren Definition bezeichnet der Begriff „Galerie“ einen in einem Obergeschoss befindlichen Laufgang, „der an einer seiner Langseiten zu einem größeren Raum hin geöffnet ist. Dies kann beispielsweise über eine balkonartige Konstruktion oder mithilfe von Arkaden realisiert sein“, wie es beispielsweise in Wilfried Kochs „Kleiner Baugeschichte“ heißt.
Die nun gefundenen Mauerreste lassen laut Erster Stadträtin womöglich tatsächlich auf eine Balkonkonstruktion schließen, „denn es ist wahrscheinlich, dass die Halle im Erdgeschoss ein Stück eingerückt war und die Fachwerkgeschosse wie ein kleines Vordach darüber ragten.“ Niemand habe im Vorfeld der Arbeiten damit gerechnet, die Mauer überhaupt zu finden, so Bender – „von diesen Erkenntnissen ganz zu schweigen“. Umso größer ist nun freilich die Freude darüber.
Doch damit noch nicht genug. „Die Baustelle ist voller Überraschungen“, sagt Bender und verweist auf den Fund weiterer Mauerstücke, „die nochmals einen Tick älter sein dürften“. Zur Erinnerung: Sukzessiv entstanden ist der Amtshof vermutlich nach dem verheerenden Stadtbrand von 1369 anstelle einer älteren Wohnhausbebauung.
Da es sich bei beiden Funden jedoch nur um kleine Reste gehandelt habe und das Gros beider Mauern wohl schon vor längerer Zeit abgebrochen worden sei, „konnten wir die neu gefundenen Mauerteile nun ebenfalls abbrechen, nachdem sie fachkundig freigelegt und dokumentiert wurden“, so Christine Bender.
Am Freitagnachmittag gingen die Arbeiten zur Errichtung des Aufzugschachtes dann auch schon nahezu unbehelligt weiter. „Zwei Drittel des Schachts sind bereits ausgehoben, jetzt ist das letzte Drittel an der Reihe“, sagt die Stellvertreterin von Bürgermeister Rainer Burelbach (CDU). Die Verantwortlichen von Weinmarkt und Festspielen dürften inständig darauf hoffen, dass die Arbeiter von weiteren Überraschungsfunden verschont bleiben. fran/ü
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