Heppenheim. Not macht erfinderisch. Weil aufgrund von Hamsterkäufen Toilettenpapier in vielen Supermärkten kaum zu bekommen ist, haben sich manche Nichthamster einen Plan B zurechtgelegt: Sie kaufen Küchenrollen, Feuchttücher oder Papiertaschentücher, um nicht in eine Bredouille zu geraten. Doch vor solchen Alternativen wird immer wieder gewarnt. Denn spült man etwas anderes als Toilettenpapier Richtung Kanalisation, kann das zu Problemen führen.
Und das tut es derzeit auch in der Heppenheimer Kläranlage. Die Mitarbeiter dort fänden nämlich derzeit vermehrt sowohl Feuchttücher als auch reißfeste Küchentücher vor, wie einer Mitteilung der Ersten Stadträtin Christine Bender zu entnehmen ist. Das führe dazu, dass die Pumpen verstopfen, die das Abwasser zur Kläranlage befördern. Die Mitarbeiter müssten diese deshalb aufwendig ausbauen und reinigen.
Die Entsorgung solcher reißfester Papiere in der Toilette stellt auch die Rechenanlage der Einrichtung vor Herausforderungen: Sie filtert normalerweise grobe Partikel aus dem Abwasser, auch ihr bereiten die Faserstoffe Probleme. „Diese Stoffe gehören nicht in die Kanalisation, sondern sind über den Hausmüll zu entsorgen, was nebenbei auch schon immer für Tampons und Damenbinden galt“, so der Appell. Es sollte klar sein, dass Toilettenpapier speziell dafür ausgelegt sei, sich im Wasser aufzulösen, während Feucht- oder Haushaltstücher ihre feste Struktur im Wasser behielten.
Auch Hausleitungen betroffen
Im Übrigen ist die unsachgemäße Nutzung nicht nur für die Kläranlage problematisch. Die Verantwortlichen weisen darauf hin, dass die Papiere auch die Leitungen im eigenen Haus oder der Wohnung verstopfen könnten – und diese wieder herauszuholen, sei aufwendig. „Darauf würde doch jeder von uns gerne verzichten.“
Die Betreiber der Kläranlage hoffen, dass die Bewohner der Kreisstadt künftig darauf verzichten, auf dem stillen Örtchen etwas anderes als Toilettenpapier zu verwenden. Denn im Gegensatz zu Toilettenpapier enthalten die genannten Alternativen teilweise Plastikfasern, die sich im Wasser nicht auflösen können. Sollte jemand kein Toilettenpapier zur Hand haben, bitten die Betreiber von Kläranlagen darum, die Ersatzprodukte auf gar keinen Fall über die Toilette zu entsorgen. Alternativ könnten diese in einem gut verschlossenen Müllbeutel in die Restmülltonne geworfen werden.
Die Heppenheimer Kläranlage ist für einen Einwohnerwert (EGW) von 80 000 ausgelegt, Mitte 2019 sprach Erste Stadträtin Christine Bender von einer Belastung von rund 40 000 EGW. Für die derzeitige Situation liegen noch keine Zahlen vor. Mit dem Einwohnerwert lässt sich die Belastung für eine Kläranlage abschätzen.
Die Kläranlage jenseits der Autobahn wurde im Jahr 1958 gebaut und verfügte anfangs nur über eine mechanische Reinigung. Im Jahr 1971 wurde die Kläranlage zum ersten Mal erweitert, 1974 kamen ein Belebungsbecken und eine Nachklärung hinzu, im Jahr darauf ein weiteres Belebungsbecken, eine Zwischenklärung und der erste Faulturm. Das Belebtschlammverfahren ist ein Verfahren zur biologischen Abwasserreinigung. Dabei wird das Abwasser durch die Stoffwechsel-Aktivität von Mikrooorganismen – dem Belebtschlamm – weitestgehend von organischen Verunreinigungen befreit.
Weiter modernisiert wurde die Kläranlage 1984: Aus der Zwischenklärung wurde ein weiteres Belebungsbecken. Zusätzliche wurde die biologische Reinigung der Abwässer um ein Denitrifikationsbecken erweitert, dort wird dem Gemisch aus Abwasser und Belebtschlamm unter Rühren nitrathaltiges Kreislaufwasser aus dem Nitrifikationsbecken zugegeben. Das Nitrat wird abgespalten und abgeschieden.
2001 und 2004 erfolgte die letzte große Erweiterung, der Umbau zum Sequencing-Batch-Reactor-Verfahren (SBR). Dabei handelt es sich um eine Variante des konventionellen Belebtschlammverfahrens.
Ein Besuch der Heppenheimer Kläranlage ist nichts für empfindliche Nasen: Besonders im Rechenzentrum stinken die Abwässer förmlich zum Himmel. Rechenzentrum hat in diesem Fall übrigens nichts mit Computern und IT zu tun. Hier geht es buchstäblich um Rechen, die das Abwasser von Grobstoffen befreien – wie eben zum Beispiel Resten von Toilettenpapier, Küchenrolle oder Essensresten. rid
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