Heppenheim. Wehe dem, der am Donnerstag vor Rosenmontag und Faschingsdienstag unvorsichtigerweise mit dem besten Schlips zur Arbeit geht. An Weiberfastnacht ein geradezu lebensgefährliches Unterfangen – für die Krawatte. Zwei, drei Schnitte und ab ist das gute Stück, wandert in die Trophäensammlung der närrischen Frauen, die an diesem Tag unterwegs sind. Der schlaue Mann baut vor und sucht den ältesten Binder hervor.
In Heppenheim sind es die Hambacher Veggelsbecher, die um 9.11 Uhr ihren Zug durch die Stadt begannen und eifrig Schlipse stutzten. Station Nummer 1 war einmal mehr das Rathaus, das die ganz in schwarz gekleideten Weibsen heimsuchten. Wer unter den Masken steckt, das wird nicht verraten. Nur Chefin Andrea Ochs-Kleber, Miss Veggelsbach, auch kurz AOK genannt, zeigt ihr Gesicht und leitet die schlipsmordende Truppe an.
Nachdem die diesmal wegen Krankheit stark dezimierten Veggelsbecher den Rathausschlüssel in ihre Gewalt gebracht haben, wurden dem Bürgermeister ordentlich die Leviten gelesen, obwohl er ja eigentlich nicht viel für das Tempo-30-Tempo-50-Wirrwarr im Städtchen kann. Lobend erwähnt wurde, dass ein Bus jetzt auch nach Hambach fährt. Aber nur bis 22 Uhr. „Und da gehen mer noch net heim“, so Miss Veggelsbach.
Im Landratsamt gab´s mit Christian Engelhardt, der Vizelandrätin Angelika Beckenbach – den beiden Obernarren im Hause, da beide echte Fastnachter sind – und vielen Mitarbeitern erst einmal eine Polonaise. Durch die Fußgängerzone ging es schließlich unter erstaunten, amüsierten, aber mitunter auch erschrockenen Blicken zur Volksbank. Eine Retourkutsche der Veggelsbecher in Richtung Schirmherr Robin, der Münz-Magier. Der ist bekanntlich bei der Sparkasse und führt den Fastnachtsumzug an. Doch er hatte am Donnerstag keine Zeit für die Weiber aus Hambach. Ein Unding, befanden die und gingen schnurstracks zur Konkurrenz. Denn eigentlich ist es seit ewigen Zeiten Tradition, den Sitz des Schirmherren zu stürmen.
Fester Bestandteil der Hambacher Fastnacht
„Robin, der Münz-Magier is in Köln uff de Fastnacht. Ober er unser Fasnacht bewirbt – nur ein Verdacht. Ich will dann am Sunndag mal sehen, wie viele Kölner Jecken an unsrer Umzugsstrecke stehen“, reimte Andrea Ochs-Kleber. Und der Führungsriege der Volksbank machte sie einen Vorschlag: „Ja und die Dividende, die kennte vielleicht wieder steige, vun de Zinse ganz zu schweige. Elf Prozent, das schlag ich vor. Na gut, mal sehen, vielleicht wird‘s woahr.“
Das mit den Zinsen war nicht verhandelbar, dafür gab‘s Sekt für alle, bevor es weiterging mit dem Stadtbus zur Winzer eG. Die Volksbank-Mitarbeiter sind übrigens spätestens seit der Fusion mit Mainz im Jahr 2023 erprobte Fastnachter, denn beim Betriebsfest sangen keine Geringeren als Margit Sponheimer und die Mainzer Hofsänger.
Die Veggelsbecher sind seit dem 8. Februar 1948 fester Bestandteil des Hambacher und Heppenheimer Fastnachtstreibens. Das war der Tag, an dem eine unbekannte Maske im Rebstocksaal auftauchte und allerlei Schabernack trieb. Bis heute weiß man nicht, wer in dem Kostüm steckte. Doch schon am nächsten Tag fand die Maske Nachahmer – und war fortan nicht mehr wegzudenken.
Und so feiern die Veggelsbecher in diesem Jahr ein Jubiläum: Sieben mal elf Jahre gibt es sie mittlerweile. Bis heute ist es ein loser, aber funktionierenden Zusammenschluss von Frauen geblieben, ein Verein wurde nie gegründet. Man trägt Oma-Gesicht-Masken, schwarze abgelegte Kleider, dazu Spitzenunterwäsche der Marke „Ourewäller Halblange“. Anna Helfert und Sophie Schuster waren die ersten Nachahmer. Edith Gremm und Katharina Ochs achteten Ende der 1970er Jahre auf Originalität von Kleidung und Maske.
Erste Miss Veggelsbach wurde Fanny Brückner in den 1950er Jahren, sie hatte das Amt bis 1982 inne. Dann folgte für vier Jahre Margot Beeh. Seit 1986 hält Andrea Ochs-Kleber die Fäden in der Hand. In den 1950er und speziell in den 60er Jahren gab es sogar in Hambach einen eigenen Fastnachtsumzug. Seitdem es den Heppenheimer Umzug gibt, also seit 1962, sind die Veggelsbecher fast immer dabei. Zum 50. Jubiläum waren es über 60 Frauen. 1973 mischte man erstmals beim Lorscher Umzug mit, 1975 war man in Mainz beim Rosenmontagsumzug dabei. In der Kampagne 2002/03 übernahmen die Veggelsbecher die Schirmherrschaft über den Heppenheimer Umzug.
Das Amt des ersten Veggelsbecher Bojemoaschders war in den 50er Jahren Franz Helfert. Von 1974 bis 2000 hatte August Ochs mit Stellvertreter Karl Staffa dieses Amt inne, unterbrochen von ein paar Monaten anno 1986, in denen Uwe Renzland ein kurzes Intermezzo gab. In der Kampagne 2000/2001 übergab Ochs die Amtskette an Rudi Röder. rid/ü
URL dieses Artikels:
https://www.bergstraesser-anzeiger.de/orte/heppenheim_artikel,-heppenheim-hambachs-naerrische-weiber-sorgen-fuer-wirbel-in-heppenheim-_arid,2289199.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.bergstraesser-anzeiger.de/orte/heppenheim.html