Heppenheim. Nach und nach hat es sich gefüllt, das Haus am Maiberg: Seit Januar hat die neu gegründete VisioPart GmbH das ehemalige Tagungshaus von der katholischen Kirche gemietet und betreut dort unbegleitete minderjährige Flüchtlinge – UMAs, wie es im Amtsdeutsch heißt. Derzeit wohnen 19 Geflüchtete ab einem Alter von 15 Jahren am Maiberg. Sie kommen aus Syrien, Afghanistan und der Türkei.
Tobias Kleiner, pädagogischer Leiter des Hauses, zieht eine zufriedene erste Zwischenbilanz: „Es läuft alles konfliktfrei. Natürlich gibt es hin und wieder die klassischen Diskussionen, etwa ums Essen, um Handyladekabel und solche Dinge. So wie es sie bei jeder Jugendgruppe gibt.“
Mittlerweile haben sich einige der Jugendlichen Vereinen angeschlossen, die meisten spielen Fußball in Heppenheim oder Lorsch, einer hat sich für das Schwimmen entschieden. Man stehe in Kontakt mit den Sportcoaches des Kreises und habe sich auch vorgenommen, noch vor dem Sommer einen Schwimmkurs für die Bewohner anzubieten, möglichst einen offenen Kurs, damit die Jugendlichen nicht nur unter sich bleiben.
Mittlerweile gehen auch alle in die Schule. Das zu organisieren, sei keine einfache Aufgabe gewesen, so Kleiner. Die Schulen im Kreis seien überlastet. Platz gefunden haben die Heranwachsenden an der Heppenheimer Martin-Buber-Schule sowie an der Karl-Kübel-Schule und der Metzendorfschule in Bensheim. Zusätzlich besuchen sie auch Sprachkurse. „Wir merken Fortschritte. Mit einigen kann man sich schon ganz gut auf Deutsch unterhalten“, freut sich der pädagogische Leiter.
Die Voraussetzungen beim Einzug waren ganz unterschiedlich: Einige sprachen etwas Deutsch, andere ein wenig Englisch, manche kannten bis dato nur ihre Muttersprache, auch Analphabeten seien unter den Bewohnern. 17 Angestellte, darunter zwei Hauswirtschafterinnen, kümmern sich um die Jugendlichen. Von Vorteil ist, dass eine der Mitarbeiterinnen Dari und Farsi spricht, eine andere Türkisch. Und Türkisch können, bedingt durch die Fluchtroute, viele der Heranwachsenden zumindest ein wenig. Die Verständigung auf Arabisch laufe meist über Übersetzungsprogramme. Darüber hinaus ist man in Kontakt mit Sandy Döbert von der Stadt Heppenheim, die bei Bedarf einen ihrer Integrationslotsen auf den Weg schickt.
Jeder Angestellte habe zwei „Bezugskinder“, die ihm zugeordnet sind. Diesen könne man dadurch mehr Aufmerksamkeit widmen. „Wir geben ihnen das Gefühl, gesehen zu werden und nicht einer von vielen zu sein.“
Kochen und Schnee schippen
Mittlerweile sind die jungen Geflüchteten angekommen in ihrem neuen Zuhause. Das habe seine Zeit gebraucht. „Jetzt werden sie offener. Es musste erst Vertrauen entstehen“, erklärt Kleiner. Einige engagieren sich bei der Gartenarbeit. Für den Sommer wollen alle gemeinsam eine Veranda bauen. Auch beim Kochen helfen die Jungs. Andere seien bereits auf dem Weg in einen Minijob, um ein bisschen zusätzliches Taschengeld zu verdienen.
„Mitunter hat es was von Jugendherbergsromantik“, lacht Kleiner. Um aber gleichzeitig klar zu machen, dass hinter jedem Jugendlichen, ein Schicksal mit teilweise schrecklichen Erlebnissen, stehe: „Zum großen Teil haben sie traumatische Fluchterfahrungen gemacht. Inwieweit, das kann man bisher nur mutmaßen. Manche überspielen das besser, andere weniger gut. Mit der Zeit ploppt das mehr auf. Sie werden offener und erzählen.“
Wie sieht es aus mit psychologischer Aufarbeitung? Man sei im engen Kontakt mit dem psychosozialen Zentrum für Geflüchtete von Caritas und DRK. „Da bekommt man relativ zügig Hilfe. Aber das ist natürlich keine Psychotherapie, wie sie eigentlich notwendig wäre.“ Im Haus könne man den Jugendlichen zumindest einen Platz bieten, an dem sie sich wohl und sicher fühlen. „Wir merken, wenn jemand eine Aggression entwickelt oder in Gedanken an die Familie tief traurig ist, und können sie auffangen. Viele vermissen ihre Eltern, kämpfen mit den Tränen.“ Immer mit im Boot sind das Jugendamt und die Vormunde der jungen Geflüchteten. Die Zusammenarbeit klappt gut und ist unkompliziert.
Gibt es Probleme mit den Nachbarn auf dem Maiberg? Bisher nicht, sagt Kleiner. Einmal habe sich jemand beschwert, weil eine Essensverpackung in der Nähe des Hauses lag. Man habe sie einfach weggeräumt. Positive Resonanz gab es, als beim ersten stärkeren Schneefall alle gemeinsam morgens um 6 Uhr Schnee geschippt haben.
Je nach Alter müssen die Geflüchteten bis spätestens 22 Uhr daheim sein. „Das funktioniert gut. Natürlich kommt es vor, dass der ein oder andere mal ein paar Minuten zu spät kommt oder mal einer heimlich aus dem Fenster seines Zimmers raucht. Aber das passiert auch bei jeder Klassenfahrt ab der 10. Klasse. Jeder Jugendliche testet seine Grenzen aus, aber alles ist bisher im Rahmen geblieben, es gab keinerlei Übergriffe.“
Derzeit sucht man gemeinsam mit der Flüchtlingshilfe gebrauchte Fahrräder, damit die Heranwachsende die Strecke zum Bahnhof oder zu den Schulen und Vereinen schneller und individueller zurücklegen zu können. Darüber hinaus wünscht man sich ausrangierte Fitnessgeräte, damit sich abends alle auspowern können – wichtig für den Aggressions- und Impulsabbau, weiß der Pädagoge. Darüber hinaus sucht VisioPart weiterhin pädagogische Fachkräfte. rid/ü
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