ober-hambach. Betriebsames Gewusel auf dem Gelände der Odenwaldschule in Ober-Hambach (OSO): Vor dem Bürogebäude schneiden gerade drei Jungen weiße Stoffbahnen zurecht und schippen Steine; drinnen putzen drei Mädchen Scheiben und Türen. Überall sind kleine Gruppen von Schülern und Mitarbeitern mit Vorbereitungen beschäftigt.
Bis zu 1500 Gäste erwartet
Ein Zirkuszelt für die Jubiläumsveranstaltungen zum 100. Geburtstag in dieser Woche ist aufgebaut; es wurde von Altschüler André Sarrasani gesponsert. Bis zu 1500 Gäste werden erwartet. In dem wohl schwersten Jahr ihrer hundertjährigen Geschichte versucht die reformpädagogische Gesamtschule eine Balance zu finden zwischen Vergangenheitsbewältigung und dem Blick in die Zukunft.
Ausgerechnet hier, im idyllischen Ober-Hambacher Tal, in einer Schule, die dem Grundsatz des Gründers Paul Geheeb "Werde, der du bist" verpflichtet ist, haben mehrere Lehrer, allen voran der ehemalige Schulleiter Gerold Becker, vor allem in den siebziger und achtziger Jahren massiv Grenzen überschritten und Schüler missbraucht (wir haben berichtet). Mehr als 50 Opfer haben sich gemeldet.
Die fassungslose Schulleiterin Margarita Kaufmann, erst seit Oktober 2007 im Amt, sprach von einem regelrechten System des Missbrauchs. Die meisten Verfahren sind mittlerweile wegen Verjährung eingestellt. Betroffene Altschüler waren an Kaufmann herangetreten, um zu verhindern, dass die Taten wie 1999, als die Vorfälle erstmals an die Öffentlichkeit kamen, als bedauerliche Einzelfälle bagatellisiert und unter den Tisch gekehrt werden.
Nach dem Rücktritt des alten Vorstands des Trägervereins ist seit Ende Mai ein personeller Neuanfang unter Leitung des neuen Vorsitzenden Michael Frenzel gemacht. Eine Änderung der Strukturen mit einer neuen Satzung und einer Trennung von Schulleitung und Trägerverein ist in Arbeit.
Die Aufarbeitung der Vorfälle wird wahrscheinlich noch einige Zeit dauern. Viele Betroffene können erst heute, Jahrzehnte später, darüber reden. Viele wenden sich jetzt an ihre alte Schule. "Wir gehen ganz sensibel mit den Betroffenen um", sagt Pressesprecherin Gertrud Ohling-von Haken.
Vortrag und Podiumsdiskussion
Dass die Odenwaldschule mit einem Jahrzehnt Verzögerung nun Verantwortung übernehmen will, wird auch an dem Programm für die Jubiläumsfeier deutlich: Nach der öffentlichen Ideenschmiede "Jugend denkt Bildung" am heutigen Mittwoch (7.), in der aktuelle Schüler ihre Wünsche an eine ideale Schule darlegen, ist der gesamte Donnerstagvormittag (8.) dem Thema sexueller Missbrauch gewidmet. Dem Vortrag von Professor Thomas E. Schläpfer von der Universitätsklinik Bonn folgt eine Podiumsdiskussion mit vier Experten.
Bundesbildungsministerin kommt
Bei einem Hearing unter dem Motto "Wahrheit" am Freitagabend (9.) können sich Betroffene und Menschen aus dem Umfeld öffentlich äußern. Einen Festakt wird es am Freitagmorgen geben. Dazu hat sich Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) angekündigt. Im Rahmenprogramm gibt es bis Sonntag (11.) offene Werkstätten und Labore, Theateraufführungen, Filme, Führungen und eine Soirée mit Aufführungen der Schüler am Freitagabend (9.).
Es ist ein idyllischer Platz in der Nähe des Laborgebäudes und der Freilichtbühne, den sich Altschüler Daniel Brenner für seine Stahl-Skulptur ausgesucht hat. Sie heißt "Keimen und Wachsen". "Das ist auch mein Wunsch an die Odenwaldschule für die nächsten hundert Jahre", betont Brenner, der von 1982 bis 1991 an der Schule war.
Die Skulptur hat er mit Hilfe des Metallbauers Martial Herbst und Schülern aus der OSO-Schlosserei in etwas mehr als einer Woche errichtet.
Der Entwurf geht auf Zeichnungen seines 1984 gestorbenen Vaters Willus Brenner zurück. Ermöglicht wurde der Bau, für den bis zu 960 Kilogramm schwere Stahlplatten verwendet wurden, durch die Spende eines weiteren Altschülers.
Das Werk besteht aus drei floral wirkenden Stahlelementen in einem Betonfundament. Auf der linken Seite sei ein neu austreibender Keimling voller Vitalität zu sehen, erläutert der Künstler. Die Mitte symbolisiere die OSO: ein großer hundertjähriger Baum, dem die Krone abhanden gekommen sei. Auf der rechten, etwas abgesetzten Seite setze eine verstümmelte Hand mit nur vier Fingern ein Stopp-Zeichen. Dies stehe für die Mahnung, künftig Grenzen einzuhalten. Die Skulptur soll Mittelpunkt eines Orts der Stille und des Gedenkens werden, für alle, denen an der OSO Unrecht widerfahren ist.
Ort der Stille und des Gedenkens
Entstanden ist die Idee für ein Kunstprojekt in einem Internetforum, in dem Altschüler seit Bekanntwerden des Skandals Kontakt halten. Dort gebe es eine "wahnsinnige Solidarität und Hilfsbereitschaft", lobt Brenner. Die Schule wünschte sich einen Ort der Stille. So wurden beide Ideen kombiniert. "Die Kunst soll Menschen trösten", sagt der Altschüler. "Es ist mein Beitrag zur Genesung der Odenwaldschule". Nach der Neubesetzung des Trägervereins ist er "sehr zuversichtlich, dass es eine Zukunft für die Schule gibt".
Gemeinsam mit Martial Herbst hat Brenner bereits etliche Skulpturen nach Motiven seines Vaters verwirklicht und im Rathaus von Untergruppenbach (Kreis Heilbronn) ausgestellt.
Eingeweiht werden soll das Werk in einem kleinen Kreis mit einer speziellen Zeremonie. mam
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