Eine Gasse und ihr Deckname

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Die Heppenheimer Bachgasse im Laufe der Jahrhunderte.

© Neher/OH

Der Protest hielt sich in Grenzen, als 1967 Bagger anrückten, um den Thurn- und Taxis'schen Posthof dem Erdboden gleichzumachen. Das entlang der Darmstädter Straße (B 3) verlaufende und in die Bachgasse hineinragende Gehöft war ab 1594 über Jahrhunderte nicht nur Anlaufstelle für Reisende, sondern auch Umschlagplatz für Handelsgüter und Sammelstation für die Beförderung von Briefen. Bereits 1845, im Jahr vor Heppenheims Anschluss ans Schienennetz der Main-Neckar-Bahn, kam der Kutschenverkehr zum Erliegen. Der Posthof wurde von da an nur noch landwirtschaftlich genutzt, später teils auch gewerblich.

Inzwischen sind seit dem Abriss 47 Jahre ins Land gezogen. An die Stelle des Fachwerkensembles trat ein sieben Stockwerke hoher Zweckbau, der nach den Vorstellungen der damaligen Stadtväter offenbar den Aufbruch in die Moderne symbolisieren sollte. Aus heutiger Sicht handelte es sich um einen der größten, wenn nicht sogar den größten städtebaulichen Sündenfall überhaupt.

Ein Opfer des Zeitgeistes

Für Klaus "Phil" Neher von der Geschichtswerkstatt der Altstadtfreunde lässt sich am Beispiel des Posthofes der Wandel der Bachgasse besonders deutlich ablesen. Als Jugendlicher hat der pensionierte Pädagoge noch miterlebt, wie eine große Mehrheit den Parlamentsbeschluss von 1967 befürwortete. Tenor: "Weg mit dem oald Gelerch." Der Thurn- und Taxis'sche Hof sei dem Zeitgeist zum Opfer gefallen, so Neher. Daraus müsse man Lehren ziehen und schon Jugendliche für die Bewahrung historischer Bausubstanz sensibilisieren. Erste Kontakte mit dem Starkenburg-Gymnasium sind bereits geknüpft.

Einen Ansatzpunkt dafür, wie die Generation der Computerfreaks in die Aufarbeitung geschichtlicher Entwicklungen eingebunden werden kann, liefert Neher mit der von ihm bearbeiteten Fotostrecke über Veränderungen in der Bachgasse selbst. Heppenheimer, die vor einer Woche das Altstadtfreunde-Herbstfest im Marstall besuchten, verharrten vor der in einem Riesenposter zusammengefassten Arbeit und versuchten, die Gebäude richtig zuzuordnen. Am regen Gedankenaustausch wurde deutlich, dass die Bachgasse wie keine andere Straße in Heppenheim lokale Identität stiftet. Die engagierte Diskussion um die Metzendorf-Immobilie (Baujahr 1907) steht ebenfalls dafür. Die ältesten noch erhaltenen Häuser datieren auf die Jahre 1578 und 1610 und stehen vor der Einmündung in den Graben, postalisch korrekt: Friedrichstraße 8 und 10.

Von der Friedrichstraße freilich spricht kein Heppenheimer. Die Bachgasse ist seit ihrer unter diesem Namen bekannten Ersterwähnung 1843 im Volksmund die Bachgass' geblieben. Daran vermochte auch ihre Umwandlung in eine Fußgängerzone (1974) nichts ändern. Genauso einschneidend war die Veränderung, die der Straßenzug nach einem Großfeuer 1887 erfuhr, das 15 Häuser in Schutt und Asche legte.

Mit fremden Federn schmücken will sich Klaus Neher nicht. Die entscheidende Vorarbeit zu der Dokumentation leisteten, wie er dazu anmerkt, zwei Architekturstudenten in Darmstadt, als sie 1975 für ihre Studienarbeit "Die Entwicklung des Straßenraums im 19. und 20. Jahrhundert" die Geschichte der Bachgasse heranzogen. Informationen dazu lieferte Heimatforscher Hans Lorenz. Als Dank für die Unterstützung überließen ihm die Studenten Kopien ihrer nach großem Rechercheaufwand erstellten Pläne.

Lorenz ließ die Arbeit nachträglich von dem mit ihm befreundeten Kunstmaler Hans Kohl kolorieren und legte sie im Archiv ab, wo sie bis nach seinem Tod allerdings fast 40 Jahre lang schlummerte. Unbeschadet diese Zeit überstanden hatten die Kopien nicht. Das Papier wellte sich, vergilbte und vergraute. Jetzt musste ein Fachmann ran. Christel Sosic, die Tochter von Lorenz, wandte sich an Klaus Neher - und lief bei ihm offene Türen ein.

Zeit und Muße dazu fand der Heppenheimer allerdings erst nach seiner Pensionierung. In zwei Jahren investierte Neher mehr als 200 Stunden, um die Arbeit der Architekturstudenten optisch aufzufrischen, in vielen Details sogar zu verbessern. Das Werk führt ab 1800 bis 1975 in fünf Zeitabschnitten die Veränderungen vor Augen, denen die Bachgasse auf ihrer Nordseite von der Posthalterei bis zum ehemaligen Gasthaus "Zum Ritter" sowie im Süden vom Graben bis zur B 3 unterworfen war. Bald sollen die Pläne auch online gestellt werden.

Nahaufnahme

Klaus "Phil" Neher

Klaus Neher würde sich nichts sehnlicher wünschen, als dass sich in Zukunft wieder mehr Jugendliche für Heimatgeschichte interessieren - auch vor dem Hintergrund, dass Recherchearbeit keine staubtrockene Angelegenheit sein müsse, sondern dank elektronischer Medien äußerst spannend gestaltet werden könne. Wie das in der Praxis geschieht, kann kaum jemand besser als Neher selbst vermitteln.

Bis zu seiner Pensionierung war Neher als Lehrer an der berufsbildenden Gutenbergschule in Frankfurt tätig, unterrichtete dort in den Fächern Fotografie, Farbenlehre, elektronische Bildbearbeitung sowie in Text- und Seitengestaltung. Der 66 Jahre alte Heppenheimer ist am Rande der Altstadt (Foto Neher) aufgewachsen. Die Verbundenheit mit der Kreisstadt wurde ihm, wenn man so will, praktisch in die Wiege gelegt.

Klaus "Phil" Neher ist verheiratet, Vater zweier erwachsener Söhne und lebt seit drei Jahren im Ruhestand, der dank vieler Hobbys gelegentlich schon mal im Unruhestand mündet. Dass er gerne weiterhilft, wenn sein Fachwissen gefragt ist, beweist er mit seinem Engagement in der von den Altstadtfreunden neugegründeten Geschichtswerkstatt. Zweiter Vorsitzender Richard Lulay sagt über ihn: "Phil ist ein absoluter Gewinn für unseren Verein." fk/Bild: OH

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