Heppenheim. Der Integrationspreis des hessischen Handwerks, vor Kurzem erstmals vergeben, würdigt Betriebe, die zwei gesellschaftlich relevante Aufgaben zugleich angehen: Sie wirken dem Fachkräftemangel entgegen und tragen zur Integration Geflüchteter bei. So wie die Friseur-Meisterin und Laden-Inhaberin Fatma Oker aus Heppenheim. Neben Handwerksbetrieben aus Marburg und Wiesbaden erhielt sie einen von insgesamt drei Preisen. Sie war überrascht, ausgewählt worden zu sein, sieht sich aber auch in ihrer Arbeit bestätigt.
Im Gespräch wird deutlich, dass Oker ihren Beruf liebt und sich für ihre Kundschaft Zeit nimmt. Und dass sie Menschen mit Migrationshintergrund, die noch ihren Platz suchen, gern dabei hilft, diesen zu finden.
„Jeder soll aber seine Chance auch nutzen“, sagt Oker und erwartet von Auszubildenden wie Angestellten, dass sie die Arbeit ernstnehmen und im Idealfall lieben. In einer sich durch Überalterung und Migration stark verändernden Gesellschaft hält sie, die im schwäbischen Bietigheim geborene Tochter türkischer Gastarbeiter, gleichsam preußische Tugenden hoch: „Bisschen Ordnung, Respekt und Disziplin hat noch niemandem geschadet.“
Von der Pike auf, mit 16, hat sie 1985 bei Altmeister Rippel in Heppenheim den Beruf erlernt, dem sie bis heute aus Überzeugung nachgeht. Inhaberin ist Oker seit 2007, als sie den Laden ihrer damaligen Chefin übernahm. Zehn Jahre später erfolgte der Umzug an die Ludwigstraße. Als Ausbilderin hat sie rund 17 junge Menschen zum Abschluss geführt. Bis auf vielleicht einen oder zwei Lehrlinge hätten den auch alle geschafft, was für alle Beteiligten ein Erfolg ist. Manche haben sich später selbstständig gemacht. Andere wissen, was sie geleistet haben und was sie darstellen.
Unter ihren Angestellten ist aktuell ein Syrer, mit dem sie nur Deutsch spricht. Wenn es daran bei einem Auszubildenden hapert, vermittelt sie Deutsch-Nachhilfe, damit die schriftlichen und mündlichen Prüfungen kein unüberwindbares Hindernis werden.
6500 Verträge mit Geflüchteten
Die Präsidentin der Arbeitsgemeinschaft der Hessischen Handwerkskammern, Susanne Haus, hob die Rolle des Handwerks bei der Verleihung als Integrationsmotor hervor: „Allein in den Jahren 2015 bis 2022 wurden in Hessen insgesamt über 6500 neue Ausbildungsverträge mit Menschen abgeschlossen, die aus den acht vorrangigen Fluchtländern stammen. Im Handwerk zählt nicht, wo man herkommt, sondern wo man hinwill.“
Letzteres ist auch ein Prinzip Fatma Okers, die wie geschildert Erwartungen hat, aber erst einmal jedem zutraut, diese erfüllen zu können.
Freilich ist die Friseur-Landschaft heute eine ganz andere als früher, in der für Oker prägenden Zeit. An Läden scheint es keinen Mangel zu geben – im Gegenteil. „Die schießen wie Pilze aus dem Boden“, sagt die klassisch ausgebildete und ausbildende Friseurin und meint nicht zuletzt die vielen Barbiere. Streng genommen dürften die eigentlich nur rasieren, erklärt Michael Keßler von der Kreishandwerkerschaft und Friseur-Innung, den Oker während des Gesprächs spontan anruft und der ihr herzlich zum Preis gratuliert.
Zwischendurch streckt eine Kundin ihre Hand in den Raum, um den zuvor fehlenden Euro zu bezahlen. Sie hatte kein Kleingeld dabei gehabt. Fatma Oker bedankt sich, hätte den Euro aber gern erlassen. Dieser Moment hat jedoch mit dem Respekt zu tun, den sie ausstrahlt, einfordert und weitergibt. mbl/ü
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