Einhausen. Wenn Sebastian Sachse einmal in der Woche in die Unterkunft kommt, um seinen Sprachkurs abzuhalten, hat er meistens ein Kuscheltier dabei. „Das hüpft dann durch den Raum, denn damit kann man sehr gut deutsche Begriffe wie unter dem Tisch oder auf dem Schrank erklären“, berichtet er.
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Der 43-jährige Finanz-Controller und dreifache Familienvater heißt nicht nur Sachse, sondern stammt ursprünglich auch aus Sachsen. Schon damals, während seines Studiums an der Technischen Universität Chemnitz, habe er polnische Kommilitonen „integriert“, wie er augenzwinkernd berichtet. Die hatten zwar bereits acht Jahre Hochdeutsch gelernt, verstanden aber kein Wort Sächsisch.
Engagement begann 2015
Heute kommen seine Schüler aus dem Iran, der Türkei und Afghanistan, sind zwischen 20 und 40 Jahre alt und sprechen zunächst kein Wort Deutsch. „Einer kann immer Englisch“, berichtet er, kommuniziert werde mit Händen und Füßen. Und dann ist da ja auch noch das Kuscheltier.
Begonnen hat Sachse sein Engagement 2015, als im Zuge der damaligen Flüchtlingswelle das Netzwerk Flüchtlingshilfe Einhausen ins Leben gerufen wurde. Die meisten der Engagierten seien selbst früher oder später nach Einhausen zugezogen, erzählen die fünf Ehrenamtlichen, die sich an diesem Vormittag zu einer Besprechung treffen.
Die meisten von ihnen sind Rentner, denn sich für geflüchtete Menschen einzusetzen, könne je nach Aufgabe sehr viel Zeit in Anspruch nehmen. Doch auch Berufstätige gehören zu dem Kreis von insgesamt etwa 20 Personen, der über eine Whats-App-Gruppe schnell und einfach miteinander kommuniziert. Kurzfristige Absprachen sind oft nötig, zum Beispiel, wenn sich mehrere Personen um ein und dieselbe Familie kümmern.
Hilfe nur punktuell möglich
Hilfe sei nicht mehr flächendeckend, sondern derzeit nur noch punktuell möglich, bedauert Christoph Roth, der das Netzwerk koordiniert. 2015 hätten sich in der Einhäuser Flüchtlingshilfe bis zu 40 Personen engagiert. Nach der Corona-Pandemie sei jedoch die Hälfte nicht mehr zurückgekehrt. Manche engagieren sich nur sporadisch, wie es die Berufstätigkeit und das Privatleben zulassen.
Jeder der an diesem Tag anwesenden Ehrenamtlichen hat innerhalb der Flüchtlingshilfe sein spezielles Gebiet. Roth und seine Frau setzen sich sehr für eine neunköpfige Familie ein, deren Vater in Afghanistan zu den Ortskräften der Bundeswehr gehörte und die daher ein sofortiges Bleiberecht in Deutschland erhielt. Die sieben Kinder sind zwischen fünf und 18 Jahre alt. Roths helfen bei den Hausaufgaben und in schulischen Angelegenheiten, damit die Kinder ihren Platz in der deutschen Gesellschaft finden. „Sie sind sehr dankbar und fleißig, und es ist schön zu sehen, wie sie sich entwickeln und vorankommen“, sagt er.
Roths besuchen die Familie oft zu Hause
Flüchtlinge in Einhausen
In Einhausen leben nach Auskunft der Gemeinde derzeit insgesamt etwa 100 Geflüchtete. Hierbei sei zu unterscheiden zwischen anerkannten Flüchtlingen, die in privaten Wohnverhältnissen untergebracht sind, und den vom Kreis durch Direktzuweisungen zugeteilten Flüchtlingen, die in Wohngebäuden der Gemeinde untergebracht sind. Von ihnen leben in Einhausen derzeit 34. Sie stammen großteils aus Afghanistan, aber auch der Türkei und dem Iran. Die 2015 nach Einhausen Gekommenen sind nach Aussage des Netzwerks Flüchtlingshilfe weitgehend integriert. jak
und erfahren dabei einen weiteren bereichernden Aspekt der Arbeit mit Geflüchteten: „Man nimmt teil an der Kultur. Bei Afghanen und Syrern ist es eigentlich immer so, dass man eingeladen wird, dass es Tee gibt und etwas zu essen“, berichtet der 66-Jährige. Die Familie sei „zu Freunden geworden“.
Auch seine Kollegin Gisela Storck hat schon das „scharfe afghanische Essen“ bei der Familie probiert. Die 78-Jährige ist ebenfalls seit 2015 dabei und engagiert sich auch für die vor den Taliban Geflohenen. „Ist jemand da, der die Zwillinge für den Kindergarten anmeldet?“, habe es im April 2022 nach dem Rückzug der Deutschen im August 2021 aus Afghanistan geheißen, und sie habe sich der Aufgabe angenommen. Nach einem halben Jahr habe sie Erfolg gehabt. Das sei ein gutes Gefühl.
„Zu viel unnötiger Lernstoff“
Doch derzeit hadert sie vor allem mit den Regelungen für die Sprach- und Integrationskurse. Es dauere oft Monate, bis neu Angekommene einen Platz bekämen, dann werde ihnen zuviel unnötiger Lernstoff in zu kurzer Zeit abverlangt. Auch der afghanische Vater habe einen solchen Kurs besucht. Nach einem halben Jahr mit täglich vier Stunden Unterricht hätten nur sechs der 25 Teilnehmer die Prüfung für Deutsch auf mittlerem Niveau bestanden. Sie zeigt die drei dicken Hefte. Eines davon beinhalte einen politischen Teil mit 600 Fragen, etwa zum deutschen Wahlsystem: „Das wissen viele Deutsche nicht.“ Man solle lieber sehen, „dass die Leute in Brot und Arbeit kommen und dort ihr Deutsch weiter verbessern“, ist ihre Meinung.
Netzwerk Flüchtlingshilfe als Bindeglied zur Gemeinde
Die afghanische Mutter habe einen Alphabetisierungskurs an der Volkshochschule in Lorsch besucht, der nach den Sommerferien aus Personalmangel nicht weitergeführt worden sei. „Sie kommt jetzt jeden Tag zu mir. Wir machen weiter, damit das Ganze nicht verloren geht“, berichtet die umtriebige Seniorin. Ihre Kollegin Ingrid Haeberle macht sie darauf aufmerksam, dass auch die Caritas in Bensheim Alphabetisierungskurse anbietet. Vielleicht könne die Mutter dort weitermachen.
Neben dem intensiven Kümmern um einzelne Familien in einer Art Paten-System sind die im Netzwerk Flüchtlingshilfe Engagierten das Bindeglied zur Gemeinde Einhausen und auch in die Bevölkerung hinein. So sei sie von einer Nachbarin angesprochen worden, berichtet Storck, als der Bewohner einer Unterkunft abends nach 22 Uhr im Freien laut mit dem Handy telefonierte. „Ich bin dann rübergegangen und habe das geklärt.“ Auch wenn zum Beispiel nachts oder am Wochenende der Strom in einer der Unterkünfte ausfällt, erreiche eine Whats-App-Nachricht zunächst das Netzwerk Flüchtlingshilfe, die dann Kontakt zur Gemeinde aufnehme oder versuche, das Problem zunächst auf eigene Faust zu lösen, berichtet Roth.
Lob vom Bürgermeister
Bürgermeister Helmut Glanzner schätzt die Arbeit des Netzwerks Flüchtlingshilfe sehr. Sie sei eine große Erleichterung für die Gemeinde Einhausen, berichtet er auf Nachfrage. Er sagt: „Aufgrund der hohen Zahl an Flüchtlingen ist eine Integration nach wie vor eine schwierige Aufgabe. Hierbei konnte das Netzwerk Flüchtlingshilfe bisher eine wichtige Rolle übernehmen. Wir sind sehr dankbar für das großartige ehrenamtliche Engagement.“
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