Ehrenamt

In der Einhäuser Bücherzelle gibt es immer etwas zu entdecken

In ehrenamtlicher Arbeit wird die Bücherzelle kontrolliert und in Stand gehalten.

Von 
Jörg Keller
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Barbara Schumacher freute sich beim Ortstermin an der Bücherzelle neben dem Hallenbad, dass unter den „Neuankömmlingen“ auch wieder gut erhaltene Kinderbücher waren. Exemplare, die inhaltlich total veraltet oder in einem schlechten Zustand sind, landen hingegen in einer der beiden orangefarbenen Kisten und später im Papiercontainer. © Thomas Neu

Einhausen. Ein Blick in ein Buch lohnt sich häufig. Doch manchmal sind es nicht spannende Kriminalgeschichten oder geistreiche Gedanken, die am meisten aufmerken lassen, sondern alte Lesezeichen. Barbara Schumacher kann davon ein Lied singen. Die Ideengeberin zu den beiden öffentlichen Bücherschränken in Einhausen kümmert sich regelmäßig um den Zustand und den literarischen Inhalt der umfunktionierten Telefonzellen.

Briefe und Bilder gefunden

Und findet dabei so Einiges, was von den Bücherspendern zwischen den Seiten vergessen wurde. Ganze Briefe waren schon dabei oder Passbilder. Einmal habe sogar jemand versucht, die Bücherzelle als Kontaktbörse zu nutzen. Auf einem beigefügten Zettel stand eine Telefonnummer mit der klaren Aufforderung: „Ruf mich an!“

Nicht ohne Grund kontrollieren Barbara Schumacher und weitere Freiwillige regelmäßig, was so alles in den Regalen abgestellt wird. Einen Verein oder ein offizielles Ehrenamt für diese Aufgabe gibt es nicht. Es handelt sich um bürgerschaftliches Engagement. Neben Barbara Schumacher schaut beispielsweise auch Stefanie Seitz häufig mal nach dem Rechten.

Und das ist auch notwendig. Denn nicht alles, was in den Bücherzellen landet, gehört dort auch hin. Unangemessenes wird im Zweifelsfall entsorgt. So standen einmal alte Vhs-Kassetten mit Pornovideos in den Regalen. Doch eine so gravierende missbräuchliche Nutzung ist dann glücklicherweise doch die absolute Ausnahme.

Literatur mit mehr oder weniger erotischen Inhalten ist allerdings häufiger Mal zu finden. Beim Ortstermin mit dieser Zeitung stößt Barbara Schumacher bei der Durchsicht beispielsweise auf ein dünnes Büchlein mit dem Titel „Was meine Eltern über Sex wissen sollten“. Kurzerhand sortiert sie es im obersten Fach ein, das zumindest für die kleineren Kinder auf dem benachbarten Hallenbadspielplatz ohne Trittleiter wohl nicht zu erreichen ist.

Ein Buch mitnehmen, ein anderes einstellen

Den Anstoß zu den beiden in Einhausen existierenden öffentlichen Bücherschränken gab im Jahr 2016 ein Antrag der CDU.

Der Vorschlag, dafür ausrangierte Telefonzellen zu nutzen, kam im damaligen Sport-, Kultur- und Umweltausschuss gut an.

Gedacht hatte man eigentlich an eine postgelbe Telefonzelle. Doch die Klassiker waren schon damals nicht mehr zu bekommen.

Selbst die Anschaffung von zwei silber-magenta-farbenen Exemplaren erwies sich als schwierig. Bestellt werden konnten diese nur in einem Zentrallager in Berlin.

Im Herbst 2017 konnten die beiden Telefonzellen in der Hauptstadt abgeholt werden. Es mussten noch Fundamente gemauert werden. Im Juli 2018 wurden die Zellen neben dem Hallenbad und am Weschnitzdamm in Höhe der Großen Teilung aufgestellt.

Eine Schreinerei fertigte passende Holzregale, die aufgrund des hohen Gewichts der Bücherlast später verstärkt wurden.

Mehrere Ehrenamtliche kümmern sich um die Bücherschränke.

Eigentlich sollen sich die Tauschbörsen selbst organisieren. Einfache Regel: Wer sich ein Buch nimmt, sollte möglichst ein anderes einstellen. kel

Bilder- und Kinderbücher sind hingegen ganz unten im Regal zu finden. In der mittleren Ebene platziert Barbara Schumacher mit Vorliebe Literatur, die gerne von Senioren gelesen wird. „Da sind die Bücher auch für Menschen mit Gehhilfe gut zu erreichen“, sagt sie.

Was in dem öffentlichen Regal ebenfalls nichts zu suchen hat, sind Medien mit offensichtlich propagandistischen Inhalten. Also Werbendes für extreme politische oder religiöse Weltanschauungen.

Insgesamt machten solche inhaltlich problematischen Werke jedoch einen geringen Teil aus. Weitaus häufiger sortiert Barbara Schumacher Bücher aus, die vergammelt, verklebt oder vom Thema total veraltet sind. Etwa ein vergilbtes Exemplar, auf dessen zerrissenem Einband der Titel „Die deutschen Volksbräuche“ steht. Es landet ebenso in einer der beiden großen orangefarbenen Kiste wie beispielsweise Schulbücher aus der Zeit vor der Rechtschreibreform.

Krimis und Abi-Prüfungen

In der Bücherzelle am Hallenbad fand sich beim Ortsbesuch eine bunte Mischung an Autoren und Stilrichtungen für junge und alte Leseratten: Krimifreunde können beispielsweise „Die Jury“ von John Grisham lesen. Von Dieter Hildebrand findet sich „Was bleibt mir übrig“. Der amerikanische Schriftsteller John Irving ist mit „Zirkuskind“ vertreten, der kolumbianischen Literaturnobelpreisträger Gabriel García Márquez mit „Die Liebe in Zeiten der Cholera“.

Informieren kann man sich aber auch über Themen wie „Beschaffungsmarketing“ und darüber, wie man „Schlank im Schlaf“ werden kann. Wer Etwas im Brockhaus nachschlagen möchte, kann dazu ebenfalls die Bücherzelle aufsuchen: Allerdings sollte es sich um einen Begriff mit den Anfangsbuchstaben „C“ bis „DEN“ handeln, denn nur dieser Band ist vorhanden. Sechs Bände gibt es hingegen an gesammelten Werken von Wilhelm Busch.

Gymnasiasten, die kurz vor den Abiprüfungen noch intensiv lernen möchten, finden drei – anscheinend bislang komplett ungelesene – Büchlein mit Abiturwissen zu den Fächern Deutsch und Mathematik.

Ob der Vorbesitzer das Abitur dennoch bestanden hat, wird wohl nicht in Erfahrung zu bringen sein. kel

Nach dem Kontrollgang sind die Aussortierkisten zumeist voll. Barbara Schumacher entsorgt den Inhalt dann ordnungsgemäß in einem dafür vorgesehenen Papiercontainer. „Uralte beschädigte Bücher müssen auf dem Weg dorthin nicht den Umweg über unsere Bücherzellen nehmen“, appelliert sie an die Einhäuser, hier nicht ihr Altpapier zu entsorgen.

Trotz dieses Aderlasses besteht offensichtlich keine Gefahr, dass der Nachschub ausgeht. Im Gegenteil. In den Regalbrettern sind die Bücher in zwei Reihen hintereinander aufgestellt, damit alles hineinpasst. Kurz vor Weihnachten war die Zelle am Hallenbad mit Kisten voller Literatur fast halb ausgefüllt worden. Dass sich eine andere Person später in der Freizeit um das Ein- und Aussortieren kümmern muss, war dem „Spender“ wohl nicht bewusst.

Doch nicht alles, was in die Jahre gekommen ist, muss weggeworfen werden. Beim Ortstermin fanden sich beispielsweise in dem Regal am Hallenbad bestens erhaltene gesammelte Werke von Wilhelm Busch. Und auch komplette Karl-May-Ausgaben wurden hier schon eingestellt, und – hoffentlich – von einem Liebhaber des Winnetou-Autors mitgenommen.

Dagegen ist auch nichts einzuwenden. Zur Rede gestellt hat Barbara Schumacher vor geraumer Zeit jedoch einen Zeitgenossen, der an der „Zelle“ an der Großen Teilung mit seinem Smartphone reihenweise Bücher einscannte. Vermutlich, um zu überprüfen, für wie viel Geld man die Exemplare online verkaufen kann. Profit machen soll mit dem Tauschangebot allerdings niemand.

Eigenverantwortung erwünscht

Zu viel Kontrolle wünscht sich Barbara Schumacher jedoch auch nicht. Dass die Nutzung für Leser und Spender weitgehend unreglementiert funktioniert, sei der besondere Reiz des Einhäuser Modells. „Ich möchte, dass die Menschen eigenverantwortlich damit umgehen“, sagt sie. Und bislang habe das auch relativ gut geklappt.

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red
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Auch Vorfälle von Vandalismus hätten sich bislang glücklicherweise in Grenzen gehalten, so Barbara Schumacher. Natürlich verschonten einige Schmierfinken auch die früheren Telefonzellen nicht mit ihren Graffitis. Die meisten gesprayten Hässlichkeiten ließen sich jedoch wieder entfernen.

In der vergangenen Silvesternacht wurde in der am Hallenbad stehenden Bücherzelle ein Böller gezündet, wodurch eines der Bücherregale angekokelt wurde. Schlimmeres passierte allerdings zum Glück nicht.

Immer Glasreiniger dabei

Dreck, auch mit natürlicher Ursache, lässt sich allerdings nicht vermeiden. Bei ihren regelmäßigen Besuchen hat Barbara Schumacher auch immer Glasreiniger für die Scheiben und einen speziellen Handfeger dabei, mit dem sie Blätter und anderen Kehricht auch aus den schmalen Spalten zwischen Regal und Scheibe entfernen kann.

Beim Ortsbesuch hatte sich auch eine Schnecke in das für sie fremde Häuschen verirrt. Barbara Schumacher entließ sie wieder in die Freiheit.

Redaktion Redakteur, Ressorts Lorsch, Einhausen und Region

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