Einhausen. „Das haben wir so noch nicht gesehen“, sagt Kurt Müller beim Blick auf die Schwarz-weiß-Fotografie auf der Leinwand. Zu erkennen ist darauf die Einhäuser Hauptstraße mit einem Schutthaufen. Auf diesem thront ein kleiner mobiler Kran. Was dort in Trümmern liegt, war einmal das alte Rathaus von Groß-Hausen. 1968 wurde es abgerissen.
Auch die frühere Schule nördlich der Weschnitz gibt es nicht mehr. Dort steht seit Jahrzehnten der einst als Altenwohnheim konzipierte Wohnkomplex. Alte Aufnahmen zeigen den Bereich vor und nach dem Abriss des Schulgebäudes.
Zu sehen waren die Bilder erstmals öffentlich beim Stammtisch des Vereins für Heimatgeschichte. Nach fast drei Jahren Pandemiepause konnten sich Mitglieder und Gäste wieder zum Plausch über Einhäuser Geschichte und Geschichtchen im Evangelischen Gemeindehaus treffen. Rund ein Dutzend Interessierte waren gekommen, um sich gemeinsam Bilder und Dokumente anzusehen, die der Verein in den letzten Monaten erhalten hat.
Und das sind einige, wie Kurt Müller berichten konnte. Liesel Kullack, Manfred Diel, Walter Schumacher und Roswitha Brunnengräber haben den Einhäuser Geschichtsforschern alte Fotografien, Urkunden und Aufzeichnungen zukommen lassen. Für den Stammtisch hatte Kurt Müller 143 davon in digitalisierter Form mitgebracht und projizierte diese von seinem Laptop auf die Leinwand.
Zu erkennen war dabei unter anderem, dass in den 1960er und 1970er Jahren die Bagger auch südlich der Weschnitz zugange waren. In der Ortsmitte wurden die Gebäude rund um das Fachwerkhaus, in dem heute die Bücherei zu finden ist, abgerissen. Es wurde Platz benötigt für das Rathaus und das ehemalige Sparkassengebäude (heute Eiscafé). Angesagt war damals die Stilrichtung des Brutalismus.
Dazu zählte wohl auch ein quadratischer Betonbrunnen neben dem Rathaus. Doch den gibt’s auch schon lange nicht mehr. Über den Abrissgrund gab’s beim Stammtisch verschiedene Meinungen. Das Plätschergeräusch habe seinerzeit die Rathausmitarbeiter gestört, wurde gemutmaßt. Reimund Strauch, langjähriger Kommunalpolitiker, erinnerte sich jedoch, dass der Brunnen defekt war. Auch über die Ästhetik gab es verschiedene Ansichten. Kurt Müller könnte mit dem Brunnen „durchaus leben. Man hätte ihn halt pflegen müssen.“ Andere Gäste beim Stammtisch waren jedoch der Ansicht: „Der wäre heute noch immer hässlich.“
Als schön empfanden die Anwesenden hingegen die Ansicht der katholischen Kirche St. Michael vor ihrer Erweiterung Mitte der 1950er Jahre. Ein weiteres Bild zeigte das Gotteshaus auch mit offener Front während der Umbauphase.
Einen anderen Blick hatten die Menschen im vergangenen Jahrhundert im wörtlichen wie übertragenen Sinn auf die Weschnitz. Hochwasserschutz war nach den regelmäßigen Überschwemmungen früherer Zeiten oberstes und alleiniges Gebot bei der Umgestaltung. Bilder zeigen das Flüsschen kurz nach der Tieferlegung. Dass die Weschnitz dennoch bis fast zur Deichkante anschwellen kann, verdeutlichte ein anderes Bild. Noch erstaunlicher mag es manchem angesichts der aktuellen Klimaentwicklung erscheinen, dass der Fluss auf dem winterlichen Bild teilweise zugefroren ist. Bilder gab es auch von der Schule auf der Südseite in verschiedenen Entwicklungsphasen, vor und nach der Errichtung des damaligen Neubaus. Die Mehrzweckhalle gab es seinerzeit noch nicht – weder die alte noch die erst 2020 fertiggestellte.
Ein anderes Foto zeigt eine alte Ansicht des sogenannten Volksbankgebäude, in dem das Geldinstitut heute allerdings nur noch SB-Automaten betreibt. Die Schalterhalle steht leer. Ein Investor und Bauherr hat das Gebäude erworben. Die weitere Nutzung ist noch unklar. Schon in früheren Zeiten diente das Haus für die verschiedensten Zwecke: zunächst als Zigarrenfabrik, dann als Kindergarten und Schwesternwohnheim.
Eine Zigarrenfabrik stand einst auch in der Ludwigstraße, neben dem Tanzsaal der früheren Gaststätte „Zum Römer“. Ein Foto zeigt die noch intakte Häuserzeile, die bei einem Fliegerangriff in der Endphase der Zweiten Weltkriegs, am 26. März 1945, teilweise zerstört wurde, wie Kurt Müller erläuterte.
Gesichter sind schwer zuzuordnen
Nicht zu allen Aufnahmen konnte der Referent genaue Angaben machen. Einige Bilder, die dem Verein für Heimatgeschichte überlassen wurden, zeigen nämlich Gruppenfotos. Darauf zu sehen sind mutmaßlich Schulklassen oder auch Konfirmations-Jahrgänge. Genau zuzuordnen sind die Bilder nicht. Und auch die älteren Besucher des Stammtischs erkannten auf den schätzungsweise um das Jahr 1900 aufgenommenen Bildern natürlich niemanden mehr. Erstaunt zeigte sich ein Besucher darüber, dass auf einem Foto alle Kinder einer Schulklasse „den gleichen ernsten Gesichtsausdruck“ haben. „Da herrschte Zucht und Ordnung“, lautete ein Erklärungsversuch.
Bei verblichenen Farbfotos fiel da die Zuordnung weitaus leichter. „Klar, das ist der Heckers Fritz“, hieß es da etwa. Eigentlich handelte es sich um Friedrich Hölzel, unter dessen Vorfahren wohl Mitstreiter des Freiheitskämpfers Friedrich Hecker waren, erläuterte Kurt Müller. So sei der Einhäuser einst zu seinem Spitznamen gekommen. Ein anderes Bild zeigte eine frühere Aufführung der Laienspielschar Einhausen – unter anderem mit einem sehr jungen Jacky Degen und der heutigen VzEdT-Vorsitzenden Christiane Hiemenz.
Abfotografiert hatte Kurt Müller zwei Originale, die der Verein jetzt im Archiv verwahrt. Eine Urkunde und ein Büchlein des früheren Bürgermeisters Merkel in dem er die in Einhausen angepflanzten Obstsorten auflistete.
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