Bensheim. Seit mehr als 30 Jahren bietet der Verein Frauenhaus Bergstraße von Gewalt betroffenen Frauen Schutz im Frauenhaus. Statistisch betrachtet, tötet alle drei Tage ein Mann in Deutschland eine Frau – diese strafrelevante Tat kann jede Frau treffen, egal welches Alter sie hat oder welchen sozialen Hintergrund, heißt es in einer Pressemitteilung des Vereins Frauenhaus. Ein freies Zimmer im Frauenhaus trägt dazu bei, dass Frauen eine Chance haben, dieser häuslichen Gewalt zu entkommen, es bietet Schutz – aber nur auf Zeit. Doch was als Schutzunterkunft gedacht ist, werde leider zu oft zur Dauerunterkunft.
Der angespannte Wohnungsmarkt ist ein Feld, auf dem das Motto „Survival of the Fittest“ (Überleben der Stärksten) herrscht. Die Politik habe Entscheidungen getroffen, die dazu geführt haben, dass geförderter, sozialer Wohnraum in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich abgebaut wurde.
Viel weniger Sozialwohnungen
Der Bestand an Sozialwohnungen in Hessen ist in den vergangenen Jahren geschrumpft, weil mehr Wohnungen aus der Sozialbindung fielen als neue entstanden. Ende des Jahres 2020 gab es in Hessen noch 79 720 Sozialwohnungen. Ende 2018 waren es 80 300, rund 5170 weniger als ein Jahr zuvor. Anfang der 1990er Jahre gab es in Hessen nach Zahlen der Wohnungswirtschaft noch etwa 200 000 Sozialwohnungen. Seit dem hat sich deren Zahl mehr als halbiert.
Der Mangel an bezahlbaren Wohnungen für Alleinstehende und größeren Wohnungen für Familien mit mehreren Kindern wirke sich auch auf Frauen massiv aus, die nach dem Frauenhausaufenthalt ihr Leben eigenständig gestalten möchten.
Seit fast zwei Jahren lebt Tara C. mit ihrer Tochter im Frauenhaus. Sie öffnet die Immobilien-App auf ihrem Handy und scrollt durch die Nachrichten, die sie an Wohnungsanbieter verschickt hat. „Seit März bestimmt tausend“, sagt sie. Zusätzlich hat sie sich auf Zeitungsanzeigen gemeldet und sich persönlich bei Wohnungsbaugesellschaften vorgestellt. Herausgekommen sind bis jetzt magere sieben Besichtigungstermine. Und keiner brachte den ersehnten Mietvertrag. Manche Vermieter sagten es ganz unverhohlen: „Eine Frau aus Afghanistan mit Kind und ohne Job – keine Chance“, erzählt die 26-Jährige.
Dass in vielen Fällen die Miete vom Jobcenter übernommen wird, helfe da wenig, denn das könne Vermieter meist nicht überzeugen. Das Jobcenter Bergstraße übernimmt beispielsweise für Wohnungen in Bensheim, Heppenheim, Zwingenberg und Lorsch Kosten für Miete und kalte Nebenkosten in Höhe von 674,87 für eine Frau mit einem Kind. Eine alleinerziehende Mutter findet häufig für diesen Betrag jedoch lange keine Wohnung mit der nötigen Infrastruktur.
Wenn die Frauen nach einer Zeit der Stabilisierung wieder eigenständig leben möchten, ist die erfolgreiche Wohnungssuche ein sehr wichtiger Baustein, um die Zukunft für sich und ihre Kinder zu gestalten, berichtet der Verein.
Die Wohnsituation im Frauenhaus sei nicht so, dass freiwillig eine längere Verweildauer angestrebt würde: Wenig Privatsphäre, Gemeinschaftsbäder und -küchen, kleine Familienzimmer, wenig Platz für die Kinder – all das lässt mit der Zeit die Nerven blank liegen.
Für das Jahr 2020 sah beispielsweise die Verweildauer im Frauenhaus Bergstraße folgendermaßen aus: Bis zu einer Woche hielten sich fünf Frauen und zwei Kinder im Frauenhaus auf, bis zu drei Monaten waren es 16 Frauen und elf Kinder, bis zu sechs Monaten jeweils zwölf Frauen und Kinder, bis zu einem Jahr acht Frauen und 13 Kinder. Länger als ein Jahr verbrachten vier Frauen und zwei Kinder in der Einrichtung.
„Durch die prekäre Situation auf dem Wohnungsmarkt bleiben die Frauen länger als gewollt im Frauenhaus, sie blockieren so immer auch ungewollt den Platz für andere Frauen in Not“, heißt es von Seiten des Vereins.
Im Jahr 2020 mussten 69 Frauen mit 71 Kindern vom Frauenhaus Bergstraße abgewiesen werden, weil die meisten Zimmer dauerhaft belegt waren. Glücklicherweise fanden im gleichen Jahr immerhin 13 Frauen bei Privatanbietern eine neue Wohnung. Nur drei Wohnungen konnten über die Stadt Bensheim vermittelt werden.
Die wohnungssuchenden Frauen reagieren laut Verein auch auf Maklerangebote, bekommen aber in der Regel keine Rückmeldung auf ihre Anfragen. Positiv sei sicher, dass nun im Verein Frauenhaus Bergstraße durch die personelle Aufstockung in Form einer Geschäftsstellenleitung das Thema mit mehr Öffentlichkeitsarbeit bearbeitet werden könne. Die ehrenamtliche Arbeit des Vorstands und die knapp bemessenen Fachpersonal-Ressourcen reichten dafür nicht.
Gesucht werden weiterhin dringend private Wohnungsangebote jeder Art. So könnten Vermieter einer Familie einen Neustart ermöglichen und einen Baustein für eine gewaltfreie Zukunft legen. Kontakt per Mail (geschaeftsstelle@frauenhaus-bergstrasse.de) oder Telefon 06251/ 8560314. red
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