Woche junger Schauspielerinnen und Schauspieler

"Werwolfkommandos": Beklemmende Doku-Performance in Bensheim

Beklemmende Doku-Performance über rechte Täter in Strafprozessen. Es zeigt die Macht von Sprache im Gerichtssaal.

Von 
Thomas Tritsch
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Die Inszenierung „Werwolfkommandos“ offenbarte im Parktheater spannende Parallelen von Gerichts- und Theatersaal. © Ernst Lotz

Bensheim. Das Stück ist eine der Ausnahmen, die Dagmar Borrmann, Juryvorsitzende der Woche junger Schauspielerinnen und Schauspieler, bei der Vorauswahl so sehr vermisst hat. Doch „Werwolfkommandos“ hat alles, was in der deutschen Gegenwart politisch relevant ist: Es geht um die juristische Verhandlung rechten Terrors, um die Macht der Worte und die sprachliche Deutungshoheit vor dem Gesetz.

Die Inszenierung offenbart zudem spannende Parallelen von Gerichts- und Theatersaal bezüglich der Abgrenzung von Handlungs- und Publikumsebene. Das vorletzte Stück des Bensheimer Theaterfestivals waren einhundert intensive Minuten: szenisch pulsierend, darstellerisch brillant und dramaturgisch fesselnd.

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Über ein Jahr lang haben Regisseurin Marie Schwesinger und ihr Team aus Julia Just und Fabiola Eidloth Gerichtsprozesse gegen rechte Straftäter besucht, sie protokolliert und mit Experten, Journalisten, Juristen und Betroffenen gesprochen. Das Hauptaugenmerk lag auf zwei Prozessen am Frankfurter Oberlandesgericht: der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke und der Angriff auf Ahmed I. sowie gegen den Bundeswehroffizier Franco A. Die meisten Verhandlungstage waren sie persönlich anwesend.

Das Publikum erlebte eine eindringliche szenische Collage

Auf der Bühne zitieren Nicolai Gonther, Florian Mania, Anabel Möbius und Rosanna Ruo aus Vernehmungen, Zeugenaussagen und Prozessdokumenten. Das Publikum im Parktheater erlebte eine eindringliche szenische Collage, die trotz ihrer Komplexität und faktischen Fülle niemals den Faden verliert. Die Darsteller wechseln ständig ihre Rollen und Perspektiven, interagieren mit Bildern, eingespielten Nachrichten- und Originaltönen sowie Zeitungsschlagzeilen und Kommentaren. Diese personelle Rotation passt perfekt zur bruchstückhaften Texthaftigkeit der Inszenierung.

Der Zuschauer wird von den Theatermachern an die Hand und in den Gerichtssaal mit hineingenommen. Die persönliche Perspektive der Beobachter ist in das Spiel eingebunden und klar kenntlich gemacht. Damit lebt die Inszenierung sowohl von einer authentischen Tiefe wie auch von einer objektiven Distanz, die eine politische Beobachtung und Einordnung erst möglich macht. Viele Passagen basieren auf Berichten und Erinnerungsprotokollen – vor allem jene Prozessteile, bei denen die Richter keine Erlaubnis zum Mitschreiben erteilt hatten.

Sprache als fünfter Protagonist auf der Bühne

Das Stück verhandelt aber nicht nur die Schwere von Schuld, sondern wirft auch die Frage auf zur Deutungshoheit über Diskurse und die Qualität von Begriffen im juristischen wie im alltäglichen Kontext. Und immer wieder äußern die Darsteller ihre Verwunderung darüber, dass die Angeklagten als Einzeltäter behandelt werden, als hätten sie ohne jede Vernetzung in der rechtsextremen Szene handeln können: „Wie plant man einen Terrorakt – allein?“

Die Sprache ist der fünfte Protagonist auf dieser dunklen Bühne (Kostüme und Ausstattung: Marion Schindler), die durch schwenkbare Pulte, einzelne Spots und herabhängende Mikrofonen eine nüchterne wie gespenstische Atmosphäre offenbart. Zahllose Blätter symbolisieren die wortreichen Prozesse und Divergenz der Aussagen. Je mehr Sätze in dieser Performance artikuliert werden, desto gewaltiger und hypnotischer wirken die Pausen, Wiederholungen und kleinen Auslassungen in den fragmentarischen Bühnenmonologen, die immer wieder miteinander kollidieren und das Publikum gleichsam zu einer intellektuellen Auseinandersetzung mit dem Thema zwingen.

In einigen Momenten kann dem Zuschauer übel werden

Deutlich wird dabei vor allem, welche Fragen beziehungsweise Antworten in den Prozessen fehlen oder welche – aus Sicht der Beobachter – relevanten Aspekte überhaupt nicht oder nur am Rande thematisiert werden. Die faktische Kontinuität des rechten Terrors vom Naziregime bis in die Gegenwart – vom rechtsmotivierten Mord am liberalen Politiker Walter Rathenau im Jahr 1922 bis zu den NSU-Prozessen ab 2013 – steht nicht zur Debatte. Wohl aber die Art und Weise, wie das Rechtssystem mit diesem Gespenst umgeht und an welchen Stellen das Gesetz an seine Grenzen gelangt.

Der Gerichtssaal wird zu einer Bühne, auf der bei aller Konzentration auf Sachverhalte durchaus auch Theater gespielt wird. Gleichzeitig heißt es, man wolle den Tätern keine Bühne, kein öffentliches Forum bieten. Auch aus diesem Spannungsfeld bezieht das Stück seine politische und gesellschaftliche Relevanz. Die vielfach Täter-fokussierte Sprache wird durch die Beobachter auf eine analytische Ebene gehoben oder durch ironische Brechungen kommentiert und kritisiert.

In einigen Momenten kann dem Zuschauer übel werden, wenn er vernimmt, wie das Recht den Rechten scheinbar aus der Hand frisst und das Vokabular dem Verrottungsprozess in den Köpfen hinterherrennt.

Das „Dritte Reich“ ist wahrlich präsent in diesen Prozessen

Der Titel des Theaterabends bezieht sich auf das Plädoyer der Bundesstaatsanwaltschaft im Prozess gegen Stephan Ernst, in dem der Begriff „Werwolfkommando“ gefallen ist: Die Untergrundorganisation, die Heinrich Himmler am Ende des Zweiten Weltkriegs gegründet hatte, um Guerillaaktionen gegen die Alliierten und gegen „Feinde des Vaterlands“ zu verüben. Durch die Verwendung des Begriffs im Kontext des Mordes an Walter Lübcke wird das Attentat in eine Chronologie des rechten Terrors eingeordnet.

Und das „Dritte Reich“ ist wahrlich präsent bei diesen Prozessen. Was so alltäglich formell beginnt, was Schwesinger in den Frankfurter Gerichtssälen notiert hat, entwickelt sich zu einer langen Liste an rechtsextrem motivierten Straftaten, die dem Lübcke-Mörder Stephan Ernst vorgehalten werden.

Dass er eine „Zyklon-B“-Dose (das Giftgas des Nazi-Massenmords) als Stifthalter auf dem Tisch seines Mitangeklagten Markus H. stehen hat, ist durch die Verdichtung des Theaters fast noch schwerer zu ertragen als während der langen Prozesstage, die in die Inszenierung eingeflossen sind und dieser bemerkenswerten Aufarbeitung ihr Fundament geliefert haben.

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Das Stück lässt den Zuschauer nicht von der Leine. Choralartige Textflächen werden durch Soundcollagen aus Pressestatements flankiert, klare Sprache geht in Rauschen über, die abstrakten Geräusche in Klang und in einen Rhythmus, der wiederum neue Räume öffnet. Eine Inszenierung, die immer wieder – auch als finale Botschaft – die gesamtgesellschaftliche Herausforderung betont, Rechtsextremismus konsequent zu begegnen. Auch in der Sprache, denn Kommunikation schafft Wirklichkeit und Sprache formt das Denken.

Die Theatermacherinnen haben im Gerichtssaal beobachtet, wie Sätze fallen und wie sie im Moment ihrer Artikulation wirken. Mit ihrem Stück „Werwolfkommandos“ haben sie die Hoheit des Gerichtssaals respektiert, sich aber auch über den juristisch-gesetzlichen Rahmen hinweggesetzt, um eine gesellschaftliche Wahrheit klar und deutlich auszusprechen.

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