Karl-Kübel-Schule

„German Dream": Werte-Dialog sorgt für neue Denkanstöße

Die Bildungsinitiative „German Dream“ diskutierte mit Zwölftklässlern über Werte und Privilegien

Von 
Frederik Koch
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Moderatorin Layla Bürk (5.v.r.) und Wertebotschafterin Bahdja Maria Fix (3.v.r.) von „German Dream“ führten beim Werte-Dialog Gespräche mit Schülerinnen und Schülern der zwölften Klassen an der Karl-Kübel-Schule. © Thomas Zelinger

Bensheim. Es ist ein Donnerstagmorgen in einem Klassenraum der Karl-Kübel-Schule in Bensheim. Zwei zwölfte Klassen haben an diesem Tag die Gelegenheit, an einem besonderen Format teilzunehmen: den Werte-Dialogen der Bildungsinitiative „German Dream“. Die Berliner Organisation setzt sich seit Jahren für gesellschaftlichen Zusammenhalt, Chancengerechtigkeit und die Vermittlung demokratischer Werte ein. Ihr Ziel ist ambitioniert: Einmal in jeder Schule in Deutschland gewesen zu sein. In Bensheim leiteten Moderatorin Layla Bürk und Wertebotschafterin Bahdja Maria Fix die Gespräche.

Schon der Einstieg zeigt, dass es keine gewöhnliche Unterrichtsstunde werden würde. Die beiden Frauen stellen sich vor, erklären, dass sie einen geschützten Raum schaffen möchten, und dass persönliche Dinge, die im Laufe des Dialogs geteilt werden, den Raum nicht verlassen sollen. „Der Werte-Dialog wird so, wie ihr ihn gestaltet“, sagt Bürk und fordert die Jugendlichen auf, sich aktiv einzubringen.

Die erste Frage an die Runde lautet, wer sich ehrenamtlich engagiert. Zwei Schülerinnen und Schüler melden sich. Einer berichtet von der Freiwilligen Feuerwehr, eine andere von ihrer Arbeit in der Schülervertretung. Bürk nutzt die Gelegenheit, um zu betonen, wie sehr Ehrenamt das Zusammenleben in Vielfalt stärkt und wie wichtig es für eine Gesellschaft ist, dass Menschen Verantwortung füreinander übernehmen.

Im Mittelpunkt steht anschließend ein Werte-Ranking, das die Jugendlichen bereits im Vorfeld erstellt haben. Sie sollten aus einer Liste zehn Werte auswählen, diese gegeneinander abwägen und am Ende ihre persönliche Top drei bestimmen. Nun sind die Schülerinnen und Schüler gefragt, ihre Ergebnisse vorzustellen. Genannt werden Begriffe wie Achtsamkeit, Tradition und Wohlstand, aber auch Freiheit, Gleichberechtigung, Unabhängigkeit, Gesundheit, Familie, Religion und Respekt.

An diesem Punkt beginnt eine intensive Diskussion. „Respekt muss man sich verdienen“, meint ein Schüler. „Ich bin nur nett, wenn andere auch nett zu mir sind.“ Sofort widersprechen andere. Respekt müsse ein Grundsatz sein, auf dem das Zusammenleben beruhe, unabhängig vom Verhalten, heißt es. Auch der Gedanke, dass man nie wisse, welche Umstände eine Person gerade prägen, wird in den Raum gestellt. Daraus entsteht eine lebhafte Debatte darüber, ob Respekt bedingungslos sein sollte oder ob er von Verhalten abhängt. Die Referentinnen fragen immer wieder nach, regen zum Nachdenken an und lassen Raum für unterschiedliche Sichtweisen.

Besonders eindrucksvoll wird es, als Wertebotschafterin Bahdja Maria Fix ihre persönliche Geschichte erzählt. Ihre drei wichtigsten Werte sind Respekt, Chancengleichheit und Integrität. Sie berichtet von einer Kindheit voller Gewalt und Beschimpfungen, von einem abgebrochenen Bildungsweg, harter Arbeit und vielen Rückschlägen. Schließlich schafft sie den Neuanfang, absolviert eine Ausbildung zur Bürokauffrau, schließt sehr gut ab und erhält sogar ein Stipendium. Heute lebt sie in Mannheim, berät Unternehmen, führt Coachings und Meditationen durch und arbeitet mit Schulen. „Ich habe keinen typischen Lebenslauf, und das wurde mir oft zum Nachteil ausgelegt“, sagt sie. „Aber gerade deshalb will ich etwas im System verändern.“ Ihre Worte hinterlassen Eindruck, im Raum ist es für einen Moment ganz still.

Im Anschluss geht es darum, welche Privilegien die Jugendlichen selbst haben. „Eine gute Schule“, sagt einer. „Ein sicheres Zuhause“, meint eine andere. Auch Bildung, in Deutschland aufwachsen zu dürfen oder eine doppelte Staatsbürgerschaft werden genannt. Fix macht deutlich, dass diese Dinge nicht selbstverständlich sind und von Beginn an Chancen prägen. Daran knüpft die Frage an, welche beruflichen Pläne die Schülerinnen und Schüler haben. Einige nennen konkrete Vorstellungen wie Bauingenieurwesen, BWL, Wirtschaftsinformatik oder Investmentbanking, andere sind sich noch unsicher. Bahdja Maria Fix ermutigt sie, dass es nicht schlimm sei, keinen geraden Lebenslauf vorweisen zu können, und dass man seine Ziele auch auf Umwegen erreichen könne.

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Jörg Keller
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Die Diskussion weitet sich schließlich auf Demokratie und Mitbestimmung aus. Um das greifbar zu machen, berichten die Jugendlichen von ihrer Abschlussfahrt, bei der die Lehrerin das Ziel festgelegt hatte, ohne dass die Klasse wirklich mitreden konnte. Sofort sprudeln Ideen, wie man mehr Mitsprache hätte organisieren können. Auch die Referentinnen bringen Anregungen ein und betonen, dass Demokratie nicht nur etwas ist, das im Bundestag stattfindet, sondern bereits im Kleinen beginnt – in der Schule, im Verein oder sogar in der Familie. Später wagen sich die Jugendlichen an eine größere Frage: Sollten Volksentscheide in Deutschland eingeführt werden? Vorteile und Risiken werden abgewogen, und auch hier zeigt sich, dass die jungen Menschen bereit sind, über komplexe gesellschaftliche Themen nachzudenken.

Am Ende jedes Werte-Dialogs gibt es eine Feedbackrunde. Viele Schülerinnen und Schüler berichten, dass sie neue Denkanstöße mitnehmen, einige sagen, sie hätten durch die Diskussion ein besseres Verständnis für unterschiedliche Perspektiven gewonnen. Zum Abschluss liest Layla Bürk Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes vor, in dem das Diskriminierungsverbot festgeschrieben ist. Ein stiller Moment, der die Gespräche abrundet.

Nur einen Tag später, am Freitag, wurde „German Dream“ mit dem Karl-Kübel-Preis ausgezeichnet. Die Initiative erhält die Auszeichnung für ihren Einsatz, gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken und demokratische Werte zu vermitteln. Für die Jugendlichen in Bensheim war der Preis zwar noch Zukunftsmusik, doch schon ihre Begegnung mit den Werte-Dialogen hat gezeigt, dass Werte nicht nur in Büchern stehen – sondern in Diskussionen lebendig werden und eine Klasse für ein paar Stunden enger zusammenbringen können.

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