Bensheim. Beim Begriff „Weihnachtsjazz“ grummelt es in Mägen von Puristen oft bedenklich. Denn seifig swingendes Glockengerassel und verkaufsfördernd pathetischer Lametta-Kitsch à la „Santa Baby“ mit reichlich Christbaumkugel-Klingeling ist nicht jedermanns Idee von Jazz. Umso besser, dass Manuel Krass andere Pfade einschlägt: Das adventliche Konzert mit dem Pianisten und Arrangeur aus Saarbrücken hat mit Zuckerguss und Sahnefüllung schwer gegeizt.
Gemeinsam mit der wunderbar klaren Stimme der Sängerin Barbara Barth und den akzentuierten Sounds des Posaunisten Jonas Jung entführte er das Publikum des Jubiläumskonzerts dezent in weihnachtliche Gefilde. Das Ergebnis: überall Sterne, auch ohne Holzhammer.
Für die Dekonstruktion musikalischer Strukturen und die Neukomposition von Melodien ist der Musiker schon lange bekannt. Das hat Krass bereits mit Jazz-Standards und klassischen Werken überaus hörenswert bewältigt. Im Bensheimer Jazzkeller servierte er mit seinem Trio deutsche und amerikanische Weihnachtslieder in kammermusikalischer Dichte und puristischer Form.
Beispielhaft wurde die künstlerische Qualität des Konzerts gleich zu Beginn bei „Maria durch ein Dornwald ging“: Das Adventslied mit Wurzeln im 16. Jahrhundert wurde von Barbara Barth mit einer glashellen Kopfstimme intoniert, die kristallene Reinheit und Brillanz zeigt. Der Gesang ist nicht eingebettet in Piano und Posaune, sondern thront über den Instrumenten, mit denen sie wunderbare Klangkombinationen erschafft, die im intimen PiPaPo-Keller in jeden Winkel vorgedrungen sind.
Immer wieder tastet sich die Sängerin in neue Klangräume vor und schafft es mühelos, selbst fragilste Kompositionen mit ihrem warmen Scatgesang stimmig auszuformulieren. Von hellen Höhen bis in feurige Tiefen reicht die Bandbreite der in Köln lebenden Saarländerin, aus deren zierlicher Gestalt eine Menge Energie und Empathie ausströmt.
2018 hatte die Diplom-Psychologin im Duo mit Manuel Krass das Album „In Spheres“ mit elektronischen Sounds veröffentlicht. Die Experimentierfreudigkeit, Wandlungsfähigkeit und Offenheit für jegliche Art musikalischer Einflüsse offenbarte sich auch in Bensheim: vom geistlichen „Es ist ein Ros’ entsprungen“ bis zu „Joy To The World“ mit Zitaten aus dem Oratorium „Messiah“ von Georg Friedrich Händel reichte das Spektrum an diesem leisen und sehr konzentrierten Abend im Jazzkeller.
Selbst der US-amerikanische „Christmas Song (Chestnuts Roasting On An Open Fire)“ kam völlig ohne Glitzer und Kaminfeuerromantik aus. Wunderbar unprätentiös arrangiert von Manuel Krass, der auch „Jingle Bells“ als flotte Swingnummer aus dem pappigen Tiefschnee befreit hat.
Mit „Let It Snow“ und „Kommet Ihr Hirten“ ging es nach der Pause weiter, immer pointiert begleitet von Jonas Jungs klarer Posaune: weich, aber konturiert, und ebenso schnörkellos wie biegsam, warm und rund. Die präzise Ansprache und der kräftige Klang harmonierten toll mit dem E-Piano des Bandleaders und der pausenlos faszinierenden Stimme von Barbara Barth. Ihre Interpretation von „Stille Nacht“ hätte nicht berührender ausfallen können. Ohne feierliches Ergriffensein oder übersteigerten Gefühlsausdruck, dafür in einer eleganten Brillanz und stillen Wucht über den funkelnd perlenden Pianoläufen von Manuel Krass.
Nach „The Most Wonderful Time Of The Year“ ging der Abend mit dem ebenfalls US-amerikanischen Stück „Have Yourself a Merry Little Christmas“ in den Zugabeteil. Ein weihnachtliches Konzert der Sonderklasse, expressiv, lyrisch und ausdrucksstark. Voller fragiler Momente und hoher Emotionalität. Feiner Jahresabschluss im Bensheimer Jazzkeller.
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