Vornerum-Theater

Sex-Entzug für den Frieden in Bensheim

Mit der Inszenierung „Lysistrata“ sorgt die Theatergruppe für einen sehr lustigen und kurzweiligen Abend im PiPaPo-Keller.

Von 
Eva Bambach
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Das Stück „Lysistrata“ des Vornerum-Theaters feierte am Wochenende Premiere im PiPaPo-Kellertheater. © Thomas Zelinger

Bensheim. Ganz oder gar nicht – wer „Lysistrata“ inszenieren möchte, tut gut daran, sich mit Haut und Haar auf den derben Ton der antiken Vorlage einzulassen. Als gute Entscheidung erweist sich das auch bei der Inszenierung des Stoffs durch das Bensheimer Vornerum-Theater, das mit dem Stück in der Bearbeitung von Rebekka Kricheldorf am Wochenende als Gastspiel im Pipapo-Keller Premiere hatte.

Das Ensemble griff unter der Regie von Raphael Kassner nicht nur im Text, sondern auch in den Kostümen die überdeutliche Darstellung der sexuellen Thematik bis an die männliche Schmerzgrenze auf. Ergebnis war eine sehr, sehr lustige und kurzweilige, rund eineinhalbstündige Aufführung ohne Pause. Mit wahrer Lust stürzten sich die Darsteller in die schier unerschöpflichen Bestände der obszönen und vulgären Wörter in der deutschen Sprache.

Der Kampf der Geschlechter

Bei aller Drastik nicht in den Hintergrund gedrängt wurde dabei die universelle und auch nach zweieinhalb Jahrtausenden leider noch aktuelle Problematik. Da geht es einerseits um Krieg und Frieden zwischen den Völkern, aber auch um den Kampf der Geschlechter, in dem den Frauen so lange Verstand und Kompetenz abgesprochen werden, bis sie den Männern das Gegenteil beweisen.

Der Plot: Seit vielen Jahren kämpfen die Männer Athens geradezu gewohnheitsmäßig gegen die aus Sparta, ein end- und sinnloses Töten und Verstümmeln. Unter Führung der Titelheldin verbünden sich die Frauen Athens und Spartas, um durch sexuelle Verweigerung den Frieden zu erzwingen. Sie besetzen außerdem die Zentrale der Macht – in der antiken Vorlage ist es die Akropolis, in der Umsetzung des Vornerum-Ensembles ein Propagandasender, der von den Mächtigen zur Manipulation genutzt wird, indem zum Beispiel nicht die zerfetzten Kinder der Realität gezeigt werden, sondern weichgespülte Erfolgsnachrichten.

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Also weg mit dieser Art von Lügenpresse, denn, so verbreiten es die Frauen fortan per „Weltfrieden-TV“: „Die Wahrheit ist den Menschen zumutbar“. Sie verschanzen sich in der Medienzentrale und bestärken sich gegenseitig in ihrem Vorsatz, sich den Männern so lang zu verweigern, bis diese den Frieden schwören. Doch nicht alle Frauen bleiben stark, schließlich quält der sexuelle Verzicht ja beide Seiten gleichermaßen. Aber am Ende führt der Liebesentzug tatsächlich zum Erfolg. Die Männer unterschreiben, immer noch schwanzgesteuert, den Friedensvertrag, doch verstanden haben sie eigentlich nichts.

Glänzend verballhornte Sprache

Ein hübscher Einfall ist die Verteilung der Länder anhand eines Bensheimer Stadtplans – die schon leicht angesäuselten Staatspräsidenten tauschen großzügig Fetzen davon aus: fruchtbares Ackerland, Strand und kulturelle Stätten und sogar den Badesee. Die Frauen aber sind froh, denn „glücklich weiterleben ist besser als sinnlos sterben“.

So einfach die von Aristophanes geschaffene Handlung im Grunde angelegt ist, so viele Facetten bietet sie den Darstellern. Ein Running Gag ist die glänzend verballhornte Sprache der Lampito (Hannah Ulbricht) als Vertreterin der Frauen aus dem feindlichen Lager, die zum Beispiel die allgemeine Strategie zusammenfasst („Peace e muy importante que penetrazione“, „io tuo mio besto“), bevor alle Frauen sich zum Schwur an der Bar in Stimmung bringen und der von Lysistrata (Ulrike Hartnagel) fantasievoll gereimten, ausführlichen Handlungsanweisung zum Verzicht folgen.

Der klugen Lysistrata zur Seite gestellt ist die grell aufgemachte Kalonike (Gabriele Ermen), die ebenso unverblümt wie liebenswert zur Sprache bringt, was weibliches sexuelles Begehren ist. Auch die anderen Frauen Athens, Hermione (Claudia Engelhardt), Myrrhine (Kerstin Weck), Kritylla (Tanja Boxberger) und Nikodike (Petra Grafenhorst) machten die unterschiedlichen Sichtweisen der Frauen plastisch, die zwar am gleichen Strang ziehen wollen, aber doch ganz individuell darunter leiden. Als Chorführerinnen überzeugten darüber hinaus Maren Bulmahn und Waltrudis Silomon-Pflug.

Von der Liebesqual der Männer

Die Liebesqual der Männer verkörperte glaubwürdig verzweifelt Jörg Walther als Kinesias, der von seiner Frau Myrrhine endlich scheinbar doch erhört, in Wahrheit aber nur immer weiter auf die Folter gespannt wird, bis er „unterfickt“ zurückbleibt und sich mit dem Botschafter des Feindes Erleichterung verschafft – in dieser Not hilft man sich gegenseitig, anstatt sich umzubringen.

Christian Funk ist ein wunderbar aalglatter „Präsident der Unsrigen“ und Verteidigungsminister, als Moderator agiert Gerry Fuchs, der dem Publikum außerdem einen gehörigen Schrecken einjagte, als er als Polizist von außen die Kellertreppe herunter stürmte und damit den mittels Video-Einspielung in die Bensheimer Innenstadt verlegten Show-down zwischen dem Chor der Männer und dem der Frauen wieder mit dem Bühnengeschehen verknüpfte: Ein Kampf mit Fackeln bewaffneter, unbelehrbarer Veteranen war das, gegen eine Gruppe alter Frauen, die sich mit aus der Lauter geschöpftem Wasser ausgerüstet hatten.

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Beide Seiten stehen sich in nichts nach, wenn es gilt, gewaltpropagierende Parolen auszutauschen. „Ich reiße euch die Lunge raus mit meinen dritten Zähnen“, brüllt eine Frau, während die Männer schreien „Los, zünden wir ihnen die Haare an“.

Den Chorführer spielt Daniel Ulbricht, der im Anschluss noch in einigen intimeren, wenn auch zunächst nicht weniger hasserfüllten Szenen mit der Chorführerin der Athenerinnen glänzt: „Ein Mann muss nach Mann riechen,“ huldigt er unverbesserlich dem Macho-Gehabe. Enttäuscht von den anderen Männern – „alle warfen sie hin das Handtuch und ins Korn die Flinte“ – zählt für ihn nur das Plattmachen des Feindes. Am Ende tanzt aber auch er mit den anderen im goldenen Jackett zu Tom Jones’ „Sex Bomb“.

Ein begeistertes Publikum und mehrere Bravorufe quittierten die Leistung des Ensembles, dem ein wahres Heer an Unterstützern bei den Videoaufnahmen, bei Licht, Ton, Soufflage und Werbung zur Seite gestanden hatte.

Weitere Aufführungen sind am kommenden Freitag, 10., und Samstag, 11. November, jeweils um 20 Uhr sowie am Sonntag (13.) um 18 Uhr. Vorverkauf über die Tourist-Information Bensheim, Telefon 06251/8696101.

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