Bensheim. Das Vornerum-Theater ist bekannt für außergewöhnliche Spielorte. Unter anderem im Parkhaus des Kaufhauses Ganz und im ausgeweideten Neumarktcenter war die Truppe schon zu sehen. Diesmal jedoch zieht es die 15 Schauspieler um Regisseur Raphael Kassner in das PiPaPo-Theater, wo an den ersten beiden Wochenenden im November die Komödie „Lysistrata“ von Aristophanes als Gastspiel zu erleben sein wird.
Im Stück geht es um den Kampf der Frauen Athens und Spartas gegen die Kriegslust der Männer. Während Athener und Spartaner sich gegenseitig umbringen, verbünden sich die Frauen beider Staaten, um den Frieden zu erzwingen. Unter Führung Lysistratas besetzen sie nicht nur die Akropolis, sondern sie greifen noch zu einem anderen sehr wirkungsvollen Druckmittel, auch wenn das für sie herben persönlichen Verzicht bedeutet. Und sie gewinnen!
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Der seit der Antike ungebrochene Reiz des Stücks liegt nicht nur in seinem originellen Ansatz, sondern auch in den unverblümten sexuellen Pointen, die zum Beispiel vor mehr als 100 Jahren den englischen Illustrator Aubrey Beardsley zu pornografischen Illustrationen anregte, die weltweit Verbreitung fanden.
Grundlage für die Bensheimer Inszenierung ist die Bearbeitung des Stoffs durch die mehrfach ausgezeichnete deutsche Bühnenautorin Rebekka Kricheldorf. Ihr Text ist einerseits eng an der rund zweieinhalb Jahrtausende alten Vorlage orientiert, auch was den dezidiert derben Ton des Aristophanes betrifft, mitunter wörtlich. Andererseits holt die Autorin die Handlung in die Gegenwart und in unsere medial geprägte Welt. Geht es zum Beispiel bei Aristophanes kriegsentscheidend um die Konfiszierung der Staatskasse auf der Akropolis, so gilt es in der aktuellen Version, die Meinungshoheit zu erringen – garniert mit Anspielungen wie etwa dem Namen des Nachrichtensenders „Fuchs-News“.
Die Entscheidung des Ensembles für dieses Stück, die schon vor gut einem Jahr fiel, hatte einerseits ganz spielpraktische Gründe: Es bietet überdurchschnittlich viele Frauenrollen und kommt damit der Zusammensetzung der Vornerum-Gruppe sehr entgegen. Mit Blick auf die beeindruckende Inszenierung der Odyssee im vergangenen Jahr hatte sich das Ensemble auch ein Stück gewünscht, bei dem die Schauspieler feste Rollen übernehmen, die nicht im Verlauf des Stücks wechseln.
Wichtig war aber auch der aktuelle Bezug: Der damals schon seit einigen Monaten tobende Ukraine-Krieg verlieh dem pazifistischen Ansatz des Aristophanes besondere Relevanz. „Theater soll ja nicht nur weltenthoben sein“, unterstrich der in Darmstadt lebende Regisseur und Theaterpädagoge Raphael Kassner diesen Aspekt am Rande der Proben, bei denen der Bergsträßer Anzeiger zu Gast war.
Regelmäßig geprobt wird schon seit Februar dieses Jahres, derzeit aber besonders intensiv. Bis zur Premiere am Freitag sind noch jeden Abend Proben angesetzt. Was aus Zuschauerperspektive ganz mühelos zu erleben ist, macht den Schauspielern zuvor mitunter großes Kopfzerbrechen. Schließlich muss das Ausziehen einer Bluse zum Beispiel genau so lang dauern, wie die dazugehörige Textpassage, nicht länger – aber auch keinesfalls kürzer.
Timing ist ein wichtiger Aspekt
Da kann es schon sein, dass noch mal ein zusätzlicher Verschluss nötig ist. Gar nicht so einfach ist auch die Gestaltung der Dialoge auf der Bühne: Einerseits sollen sie als Gespräch der handelnden Personen plausibel sein, andererseits aber auch das Publikum in der Argumentation mitnehmen. Oder: Wie können fünf Frauen eine Bühne gleichzeitig betreten und zwischendurch die Handlung so in Fluss halten, dass sie nicht wartend erstarren, bis alle da sind? Überhaupt ist Timing ein ganz wichtiger Aspekt. Es muss immer genügend Reaktionszeit bleiben – mit den Worten des Regisseurs: „Ihr dürft den Text nicht wie im Buch aufeinander klappern lassen. Und ihr dürft auch gern mal mit dem Körper agieren!“
Gespielt wird „Lysistrata“ in der Inszenierung des Vornerum-Theaters am 3., 4. und 5. November sowie am 10., 11. und 12. November. Vorstellungsbeginn ist freitags und samstags um 20 Uhr, sonntags schon um 18 Uhr. Die Aufführung wird jeweils voraussichtlich eine gute Stunde dauern.
Info: Karten im Vorverkauf gibt es bei der Tourist-Information Bensheim, Hauptstraße 53.
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