Riva-Verein

Streiflichter der italienischen Renaissance

Vortrag des Historikers Jürgen Charnitzky / Epoche prägte Europas Weg in die Moderne

Von 
Peter J. Zeyer
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Beim Freundeskreis Riva hielt Jürgen Charnitzky einen Vortrag über die italienische Renaissance, deren Kernraum die Toskana (im Bild Florenz) war. © dpa

Bensheim. Eine ganze Epoche in der Kürze eines Vortrags darzustellen, ist eine Herausforderung, an der man scheitern kann. Dass die Mitglieder und Gäste des Deutsch-Italienischen Freundeskreises Bensheim-Riva del Garda stattdessen kulturell und intellektuell gefordert und bereichert wurden, lag an zwei Ursachen: An Ilga Vis, die einmal mehr ein gutes Händchen mit der Themenwahl „Streiflichter zur italienischen Renaissance“ hatte und zum anderen am Referenten Jürgen Charnitzky, der es verstand, Kunst, Kultur, Wirtschaft und Politik dieser Epoche, welche die abendländische Kulturgeschichte und Europas Weg in die Moderne wesentlich geprägt hat, fesselnd darzustellen.

Charnitzky, der Erster Vorsitzender des Deutsch-Italienischen Freundeskreises der Metropolregion Rhein-Neckar ist, hat nach dem Studium der Anglistik und Geschichte in Heidelberg und London sowie nach einem längeren Rom-Aufenthalt als Stipendiat des Deutschen Historischen Instituts über die Schulpolitik des faschistischen Regimes in Italien promoviert.

Er war an den Universitäten Heidelberg, Mannheim und an der Università della Calabria als Dozent für neuere Geschichte tätig und hat am Goethe-Gymnasium in Bensheim die Fächer Englisch, Geschichte und Italienisch unterrichtet.

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Von
Micaela Taroni
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Nach einer Einführung zu Begriff und Wesen der Renaissance hob Charnitzky die „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“ im kulturellen Wandlungsprozess vom Mittelalter zur Neuzeit hervor, der mit Begriffen wie Realismus, Rationalität, Säkularisierung und Individualismus charakterisiert werden kann. Ausgangspunkt für viele Neuerungen bildete die Rückbesinnung auf das Wissen der griechisch-römischen Antike. Eine wichtige Rolle bei dessen Vermittlung spielten die humanistischen Gelehrten des 15. und 16. Jahrhunderts, die durch ihre Übersetzungen und Studien der griechisch-römischen Literatur und Philosophie der individuellen, vernunftgeleiteten, sich von religiöser Bevormundung befreienden Leistung wachsende Bedeutung verliehen.

Mit ihren Schriften und kritischen Abhandlungen, die durch die Auswanderung vieler griechischer Gelehrter nach Italien und in den lateinischen Westen im Zuge der osmanischen Eroberung Konstantinopels 1453 spürbaren Zuwachs erhielten und durch die Erfindung des Buchdrucks seit der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts rasche Verbreitung fanden, haben sie die geistigen Grundlagen der Renaissancekultur geschaffen und sind zu Wegbereitern der europäischen Aufklärung geworden.

Dass die Renaissance ihren Ursprung in Italien hat, hängt mit der im Vergleich zum restlichen Europa stärkeren Verbreitung und Größe der miteinander konkurrierenden italienischen Städte und ihrer zunehmend ausdifferenzierten Gewerbestruktur zusammen.

Der durch Bankgeschäfte, Handel und Produktion auf der einen, durch kriegerische Eroberung und/oder geschickte Heirats- und Bündnispolitik auf der anderen Seite errungene Wohlstand und Machtstatus wurde nach innen wie außen durch die Errichtung repräsentativer Bauten, die Ausschmückung öffentlicher wie privater Räume mit Denkmälern, Skulpturen, Fresken oder Gemälden demonstriert, wie Charnitzky an einigen Beispielen veranschaulichte.

Politische Propaganda, Geltungsdrang, Frömmigkeit oder einfach nur Vergnügen an Kunstwerken waren weitere Motive für die Vergabe von Aufträgen an bildende Künstler.

Ausgehend von Italien hat die Kultur der Renaissance weite Teile des europäischen Festlands und der britischen Hauptinsel erfasst, mit zeitlich differenten Phasen und Ausprägungen, so dass durchaus von Renaissancen im Plural gesprochen werden kann. Dem entspricht, dass in der neueren Forschung die Renaissance weniger als einheitliche Periode oder großes „Gesamtereignis“ der europäischen Geschichte gesehen wird, sondern als vielschichtige, mit Nachbarkulturen wie dem Islam, Byzanz oder jüdischen Gemeinden koexistierende und interagierende kulturelle Bewegung.

Toskana bildete den Kernraum

Zusammen mit dem Veneto, dem Kirchenstaat und der Lombardei bildete die Toskana den Kernraum der italienischen Renaissance. Mit zehn Prozent der italienischen Bevölkerung stellte sie 26 Prozent der kreativen Elite des Landes. Florenz, ihr politisches und kulturelles Zentrum, wurde erst mit Beginn des 16. Jahrhunderts von Rom abgelöst, das noch in der Mitte des 15. Jahrhunderts in weiten Teilen einem Ruinenfeld glich, durch das Räuberbanden und Viehherden zogen und das von den mit Raubrittern verglichenen Privatarmeen sich gegenseitig befehdender Adelsfamilien beherrscht wurde.

Unter Papst Julius II. (1503-1513) begann dann jene große Unternehmung, die die Gegend um den Vatikan über ein Jahrhundert lang in eine gigantische Baustelle verwandelte und die größten Künstler der Renaissance beschäftigte: der Abriss der baufällig gewordenen alten St. Peter-Kirche und der Bau der größten Kirche der Christenheit mit dem neuen Petersdom.

Charnitzky ließ seinen spannenden, mit zahlreichen Bildquellen illustrierten Vortrag mit einer eingehenden Analyse von Raffaels Wandgemälde „Die Schule von Athen“ in der Stanza della Segnatura im Vatikan, das wie kein anderes Kunstwerk dieser Zeit die Geburt der Renaissancekultur aus dem Schoß der Antike zum Ausdruck bringt, ausklingen.

Den Dank des Vorsitzenden Rolf Richter an Ilga Vis und den Referenten bekräftigte das zahlreiche Publikum mit langem, herzlichem Applaus. Peter J. Zeyer

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