Hochstädten. Ohne Übertreibung muss man neidlos anerkennen: Die Stadtteildokumentation Hochstädten hat es wieder einmal geschafft, eine ebenso informative wie äußerst unterhaltsame Ausstellung rund um das Dorfleben von früher bis heute auf die Beine zu stellen.
Von der Rehkitzrettung mittels Drohne, vom Urlaub auf dem Campingplatz und dem privaten Anbau von Tabak bis hin zum Melibokusturm, dem ehemaligen Kiesbruch des Baustoffhändlers Klein und der „TransBetxi-Rallye“ der „Steintulpen Hochstädten“ reichte das bunte Kaleidoskop lokaler Themen. Und es gab auf den zahlreichen Schautafeln mit Originalfotos, alten Postkarten und Aquarellen noch viel mehr zu sehen, zu lesen und zu staunen.
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Allein der Besucherandrang zur Eröffnung der Ausstellung sprach Bände. Neben zahlreichen Hochstädter Bürgerinnen und Bürger, Fraktions- und Vereinsvertretern – und natürlich vielen Campern – waren Stadtverordnetenvorsteherin Christine Deppert, Stadtrat Hans Seibert, Stadtverordnete Sibylle Becker, Ehrenortsvorsteher Bernd Rettig , Ortsvorsteherin Sabine Hinterkeuser-Freye, Thomas Herborn, Leiter des Eigenbetriebs Stadtkultur, und Heidi Adam, Vorsitzende der AG Geschichts- und Heimatvereine Bergstraße, ins Hochstädter Haus gekommen.
Im Fiat 500 auf Reisen
Ganz klar im Mittelpunkt stand die bis dato ziemlich unbekannte beziehungsweise längst vergessene Geschichte vom verhinderten Campingplatz im Hochstädter Tal. Titel: Hochstädten goes Camping. Claudia Sosniak, Leiterin der Arbeitsgemeinschaft Stadtteildokumentation, und ihr Team hatten zu dem Thema fleißig recherchiert, Informationen zusammengetragen und die Hochstädter dazu aufgerufen, Bilder von ihrem Urlaub im Zelt und Wohnwagen zur Verfügung zu stellen. Und die Resonanz war enorm.
Alle waren sie in den 1950er Jahren und danach mit Kind und Kegel auf Campingplätzen in Europa unterwegs, wie etwa die Familien Bock-Münck, Kary, Sosniak, Pfeifer, Schmitt, Simon, Becker, Schittenhelm und viele andere mehr. Sogar im Fiat 500 mit Anhänger ging es auf Reisen.
Camping blieb Wunschdenken
Allerdings blieb der Mitte der Fünfziger geplante Campingplatz in der Gemarkung „Die Roßbach“ im Mühltal, nahe Fürstenlager, Schloss Auerbach und Melibokusturm, lediglich ein Wunschdenken. Obwohl es bereits Verkaufsverhandlungen mit den Eigentümern des 18 000 Quadratmeter großen Geländes, der Familie Eiselstein, gab und Magistrat und Stadtparlament eingebunden waren.
„Aber die Akte im Stadtarchiv Bensheim endet abrupt. Die Befragung von Zeitzeugen brachte keine neuen Erkenntnisse über das Projekt“, wie Claudia Sosniak in ihrer Einführungsrede bedauerte. Das Thema Camping in Hochstädten war damit vom Tisch.
Ebenso interessant wie die Erläuterungen und Erinnerungsfotos begeisterter Camper waren die Informationen zum Tabakanbau in Hochstädten nach dem Zweiten Weltkrieg. Auf die Schliche gekommen war die Arbeitsgemeinschaft dem kuriosen Thema durch ein Dokument, eine Liste mit 19 Namen. Wie es sich herausstellte, waren es allesamt Hochstädter Tabak-Kleinanpflanzer, die 1946 zum Hausgebrauch – nach vorheriger Anmeldung beim Zollamt – die Pflänzchen für die heiß begehrten Kippen im eigenen Garten hegten, pflegten und großzogen. Ein Artikel in der Silberdistel von 1985 von dem Auerbacher Wilhelm Heil hatte die Lösung des Rätsels gebracht.
Kein Vergleich mit Lorscher Anbau
Zigaretten waren auf dem Schwarzmarkt schließlich begehrt und der Geldwert einer Zigarette betrug im Oktober 1946 zwischen 2,50 bis zehn Reichsmark, das entspricht etwa heutigen zehn bis 39 Euro. Keineswegs aber, so fuhr Sosniak fort, war der Anbau im Dorf mit den Lorscher Tabakanbau vergleichbar. Vielmehr wurde den Bauern als „Tabak-Kleinpflanzern“ in Hessen ab 1946 der Anbau von Tabakpflanzen auf dem Grundbesitz für sich und ihren Haushaltsangehörigen genehmigt.
Maximal 200 Pflanzen durften es auf eigene Rechnung sein. Charlotte Rumetsch-Scheffler hatte sich intensiv mit der Geschichte des Tabakanbaus in Deutschland und Europa beschäftigt.
Danke sagte Claudia Sosniak dem Tabakmuseum Lorsch für die Leihgabe einer Nachbildung einer Tabakpflanze. Danke sagte die AG-Vorsitzende auch der Familie Kegelmann für zwei Modelle des Melibokusturms. Die wechselvolle Vita des Besuchermagnets und Wahrzeichens an der Bergstraße, mit dem Bau 1772, dem Turm-Einsturz fünf Wochen nach Einweihung, Wiederaufbau innerhalb weniger Wochen, der Sprengung 1945, der Gründung eines Vereins zur Förderung des Wiederaufbaus und Unterhaltung des Turms im Jahr 1966 und den früheren Grenzstreitigkeiten konnten die Besucher auf einigen der Schautafeln exakt nachvollziehen. Zu sehen war auch das heutige Bauwerk im Baustil des Brutalismus, das eher einer Säule denn einem Turm gleicht.
Dazu gab es weitere Informationen von Claudia Sosniak, so etwa dass sich Ende des 18. Jahrhunderts nicht nur viele Ausflügler, Burschenschaften und Mitglieder in dem Gästebuch mit Einträgen zum „freiheitlichen Streben“ auf dem Turm verewigten, sondern etwas später auch der Student Carl Ludwig Sand, der am 23. März 1819 den russischen Generalkonsul Friedrich Ferdinand von Kotzebue in Mannheim ermordet hat. Seine Inschrift wurde am linken Pfosten der unteren Eingangstür entdeckt.
Heimat für verschiedene Tiere
Zum ehemaligen Kiesbruch in Hochstädten hatte Gerhard Sanden von der Stadtteildokumentation wichtige Informationen gesammelt und dazu mit Hochstädter Bürgern wie beispielsweise Sigrid Esinger, Ernst Delp und Karl Jährling gesprochen und mit dem Nabu Kontakt aufgenommen.
Den ersten Betrieb hatte der Baustoffhändler Klein eröffnet, später übernahm die Firma Mitteldorf den Kiesbruch, danach die Firma Seemann. Allerdings war die Kiesgrube nicht nur ein Arbeitsplatz, sondern Anwohnern der Felsbergstraße durch ständige Lärmbelästigungen ein Dorn im Auge. 2002 wurde die Anlage geschlossen. Eine Verfüllung konnte allerdings nicht durchgeführt werden, da sich mittlerweile viele Tiere niedergelassen haben, darunter ein Uhupaar, Gelbbauchunken, Ödlandschrecken und weitere Kleintiere.
Und was darf bei einer Ausstellung der Stadtteildokumentation Hochstädten nicht fehlen? Richtig, Fotos und Infos zum Jahresgeschehen. Als „echte Campingkinder“ outeten sich abschließend Stadtverordnetenvorsteherin Deppert und Ortsvorsteherin Hinterkeuser-Freye, die dem gesamten AG-Team ihren Respekt für die tolle Ausstellung zollten. Bei Schnittchen mit Leberwurst, Schmalz und Humus gab es für die Besucher noch jede Menge Redebedarf, „wie es einmal war“.
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