Bensheim. Weniger Tempo, mehr Sicherheit: Mit der Änderung der Straßenverkehrsordnung im vergangenen Herbst hat sich der Handlungsspielraum für die Kommunen erweitert. Seit dem 11. Oktober 2024 dürfen Städte und Gemeinden Tempo 30 nicht mehr nur unmittelbar vor Schulen, sondern auch auf den Zuwegen anordnen. Ebenso wurde der zulässige Abstand zwischen zwei Geschwindigkeitsabschnitten von 300 auf 500 Meter erhöht, wodurch bestehende Lücken geschlossen werden können. Damit sollen Unfallrisiken verringert, der Fuß- und Radverkehr besser geschützt und Anwohner vom Verkehrslärm entlastet werden. Auch in Bensheim hat diese Neuregelung bereits konkrete Folgen, wie sich an den ersten neu eingerichteten Tempo-30-Strecken zeigt.
Was die StVO-Novelle für Bensheim bedeutet
In der Rheinstraße gilt inzwischen Tempo 30 rund um den Zebrastreifen vor der Kita Fuldastraße. Auch in der Friedhofstraße hat die Stadt die Geschwindigkeit reduziert, nachdem dort drei Fußgängerüberwege für Diskussionen gesorgt hatten. Besonders der Übergang direkt am Friedhofsausgang, der aus Richtung Zell und Gronau erst spät einzusehen ist, war ein Anlass, die Regelung anzupassen. Bereits 2022 hatten Anwohner an dieser Stelle für eine Temporeduzierung demonstriert. Auch an der Löwenherzschule im Bereich Kirchbergstraße und Darmstädter Straße wurde die Geschwindigkeit herabgesetzt.
Die Grundschule liegt an einer stark befahrenen Kreuzung, die für Kinder bislang als besonders unübersichtlich galt. Ein weiterer Schwerpunkt liegt in der Europa-Allee, wo gleich mehrere Schulwege und Zebrastreifen Anlass für eine Ausweitung auf Tempo 30 waren. In allen Fällen stand die Sicherheit von Kindern und anderen schutzbedürftigen Verkehrsteilnehmern im Vordergrund. Das unterstrichen auch die Ortsvorsteher in den betroffenen Stadtteilen. „Die Sicherheit unserer Kinder hat oberste Priorität“, erklärte etwa Ingrid Schich-Kiefer, Ortsvorsteherin von Bensheim-West.
Weitere Straßen stehen auf der Prüfliste
Parallel zu diesen ersten Maßnahmen hatte die FWG in der Stadtverordnetenversammlung eine Anfrage gestellt. Sie wollte wissen, welche weiteren Bereiche im Stadtgebiet von der Neuregelung profitieren könnten und ob bereits weitere Planungen bestehen. Das Team Straßenverkehr im Rathaus hat Stellung genommen und dabei sowohl den aktuellen Stand als auch künftige Schritte erläutert. Nach Angaben der Verwaltung laufen derzeit detaillierte Prüfungen in der Platanenallee, rund um die Stadtbibliothek, sowie in der Grieselstraße und der Jägersburger Straße in Langwaden. Dort soll untersucht werden, ob die rechtlichen Voraussetzungen für Tempo 30 gegeben sind. Gleichzeitig weist die Behörde darauf hin, dass jede Anordnung auf einer gerichtsfesten Begründung basieren müsse. Die Novelle erweitere zwar den Spielraum, entbinde die Kommunen aber nicht von einer strengen Einzelfallprüfung.
Ein besonders sensibles Thema bleibt der Berliner Ring im Abschnitt zwischen Karl-Kübel-Schule, Finanzamt und Zoll. Schon mehrfach war dort über eine Geschwindigkeitsreduzierung diskutiert worden. Auch die FWG hatte diesen Bereich in ihrer Anfrage erneut angesprochen. Nach Einschätzung der Verwaltung ist hier jedoch kein rechtlicher Spielraum vorhanden. In der Antwort heißt es, dass „keine über das allgemeine Risiko hinausgehenden Gefahren festzustellen“ seien. Damit lasse sich eine Reduzierung auf Tempo 30 nicht begründen. Auch die Novelle habe an dieser Einschätzung nichts geändert.
Die zuständige Dezernentin Nicole Rauber-Jung verwies im vergangenen Januar darauf, dass die Prüfungen Zeit in Anspruch nehmen. Zum einen seien detaillierte Analysen notwendig, zum anderen müssten Abstimmungen mit anderen Behörden erfolgen. Zudem erschwere das Fehlen aktualisierter Verwaltungsvorschriften zur StVO eine rechtssichere Umsetzung. „Auch wenn ich mir mehr Handlungsspielraum für die Kommunen gewünscht hätte, können wir trotzdem das angehen, was machbar ist“, erklärte die Erste Stadträtin.
Zwischen Anwohnerwünschen und rechtlichen Grenzen der Verwaltung
Mit den ersten umgesetzten Maßnahmen und weiteren laufenden Prüfungen ist das Thema Tempo 30 in Bensheim so präsent wie seit Jahren nicht mehr. Die StVO-Novelle hat dazu geführt, dass Anwohnerwünsche und politische Forderungen nun verstärkt auf ihre rechtliche Umsetzbarkeit hin überprüft werden. Nicht jeder Wunsch wird dabei Realität werden, doch die Verwaltung betont, dass sie die Verkehrssicherheit im gesamten Stadtgebiet im Blick behalte.
Begleitet wird die Debatte durch das Projekt „Mobiles Bensheim 2040“. Unter Federführung des Teams Stadtplanung erarbeitet die Stadt ein umfassendes Mobilitätskonzept, das die Bürgerinnen und Bürger aktiv einbezieht. In einer Online-Umfrage, die bis November 2024 lief, konnten Interessierte Problemstellen markieren und Vorschläge einbringen. Auch hier spielt die Frage nach Tempo-30-Zonen eine wichtige Rolle, denn die Erwartungen in der Bevölkerung sind hoch.
Fest steht, dass mit den neuen gesetzlichen Spielräumen und der gestiegenen Aufmerksamkeit für Verkehrssicherheit die Möglichkeit besteht, dass in den kommenden Monaten weitere Veränderungen im Bensheimer Stadtbild zu sehen sind. Einige neue Schilder wurden dieses Jahr schon montiert, andere werden wahrscheinlich folgen. Die Diskussion darüber, wo in Zukunft langsamer gefahren wird, dürfte die Stadt aber noch länger begleiten.
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