Bensheim. Vier Studioalben hatte Wishbone Ash Ende 1973 schon veröffentlicht, war fast nonstop seit Bandgründung auf Tour gewesen. Da lag es nahe, diese Energie auf der Bühne auch auf Vinyl zu pressen. So entstand „Live Dates“, nach Angaben der Band ihre kommerziell erfolgreichste Scheibe. Kein Wunder, wenn man die dort vertretenen Songs betrachtet. Jetzt gab es sie, 50 Jahre später, wieder im Musiktheater Rex zu hören.
Allerdings gibt es aus der früheren Zeit nur noch einen, der schon damals die Töne auf der Gitarre spielte: Andy Powell. Der 73-Jährige zeigt sich so fit wie eh und je. Die Spielfreude ist ihm deutlich anzumerken. Dass er nach dem Abgang von Bassist und Sänger Martin Turner auch den Leadgesang übernahm, war aber vielleicht nicht die beste Entscheidung. Denn da ist eindeutig noch Luft nach oben. Die Stimme ist bei der Gruppe aber nur das eine. Das andere, ungleich wichtigere Merkmal sind die „Twin Guitars“, die zwei gleichberechtigten Leadgitarren. Wishbone Ash erfand sie zwar nicht, perfektionierte aber diese Spielart Anfang der 70er Jahre geradezu. Wo damals Ted Turner (nicht verwandt mit Martin) ebenfalls in die Saiten griff, tut das heute Mark Abrahams ebenso filigran.
Viele Besucher im Rex
Gleich fünf Songs gibt es vom Meilenstein-Album „Argus“ zu hören. Das erschien vor 52 Jahren und war beim letztjährigen Gastspiel der Band in voller Länge Thema. Dass gut- und handgemachte Rockmusik immer noch ihre Fans – und davon viele – findet, zeigt der erneut sehr gute Besuch im Rex. Zwar mögen es ein paar Gäste weniger als letztes Jahr gewesen, aber das dürfte dem Winterwetter geschuldet sein.
„The King will come“, „Warrior“ und „Throw down the sword“ sind nach dem Intro drei Stücke zu Beginn, die zeigen, warum Wishbone Ash damals als Vorreiter der Szene galt. Die eingängigen Klänge der Briten haben auch mehr als fünf Jahrzehnte später noch nichts von ihrer Faszination verloren. Der eine oder andere ältere Besucher dürfte die Argus-Songs schon damals auf einem Konzert gehört haben.
Das dritte Studioalbum der britischen Hard-, Progressive- und Folkrocker ist Höhepunkt des Bandschaffens und zeigt das Quartett auf der Höhe seiner musikalischen Kreativität. Fans und Kritiker sehen in der Scheibe das beste Album der Gruppe in ihrer inzwischen 55-jährigen Geschichte. Der Einsatz der beiden Leadgitarren trägt dazu bei. Sie waren stilprägend und fanden Nachahmer wie etwa die Heavy-Metal-Ikonen von Iron Maiden.
Dazu kommt auf „Argus“ eine ziemlich perfekte Harmonie von bluesig angehauchten Songs, härterem Rock, progressivem Touch, aber auch leichten Folkelementen. Das Ganze so eingängig, dass es einfach ein Erfolg werden musste. Der hielt noch ein Studioalbum länger an. „Wishbone Four“, von dem „Ballad oft he Beacon“ und „Rock’n’Roll widow“ zu hören sind, setzte den Höhenflug fort.
Doch die Geschichte von Wishbone Ash ist wie die anderen Rockgruppen der 70er-Jahre von vielen Besetzungswechseln geprägt. Schon 1974, nach dem Erscheinen der Live-Scheibe, gab’s den ersten. Ted Turner stieg aus. Martin Turner folgte 1980. Die Reunion von 1987 sollte nicht lange halten. Andy Powell erstritt sich 2013 das Recht, allein unter dem alten Bandnamen auftreten zu können. Und lässt so die Zuschauer selig in Erinnerungen schwelgen.
Melodische Gitarrentöne
Die klassischen klaren, warmen, melodischen Gitarrentöne sind seit fünfeinhalb Jahrzehnten das Markenzeichen der Band. Sie allein reichen aus. Wenn Powell seine Flying-V-Gitarre bearbeitet und Abrahams, auch mal mit Slide-Giutar-Tönen, einstimmt, ist der Jubel groß. Dafür haben die Fans weite Wege auf sich genommen. Da darf der Gesang in den oberen Tönen schon mal wegkippen. Das wird verziehen. Bassist Bob Skeat, mit seinen 26 Bandjahren das Mitglied mit der zweitmeisten Erfahrung, macht seinem Vorgänger alle Ehre. Seinen Bass spielt er oft wie eine dritte Gitarre – ganz nach dem Vorbild Turners. „Sometime World“ und „Blowin’ free“ werden ebenfalls nach den ersten Tönen mit viel Vorschussapplaus bedacht.
Harte Riffs, schnelle Breaks, aber auch melodiöse Gitarren: Wishbone Ash zaubert dem Publikum ein seliges Lächeln ins Gesicht, wenn es an seine Jugend zurückdenkt. „The Pilgrim“ geht noch ein Stück weiter zurück zur zweiten Platte „Pilgrimage“. Das Instrumental besticht mit seinen einprägsamen Tönen.
Und natürlich darf „Phoenix“ nicht fehlen. Ein Klassiker der Twin Guitars aus grauer Anfangszeit 1970. 14 Minuten lang gibt ein Ton den anderen: eine hervorragende Basis für lautstarke geforderte und gewährte Zugaben.
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