Bensheim. Es dauert eine knappe halbe Stunde, bis ein rockiger Ruck durchs Publikum geht. Die Schweizer Band China agiert zwar bis dahin schon gefällig und kann die aufgrund des Wetters etwas überschaubare Fanzahl begeistert, aber der letzte Kick fehlt. Der kommt in Gestalt des verspäteten Sängers Werner „Hardy“ Hartmeier auf die Bühne. Er hat das richtige Rampensau-Gen und bringt Stimmung in die Bude.
China? Da denkt der nicht Rockkundige zuerst an das asiatische Land oder ans Porzellan. Denn die Rockband segelt womöglich außer bei Eingeweihten etwas unter dem Radar. Was sicherlich auch daran liegt, dass die Schweizer ihre Hoch-Zeit Ende der 80er/Anfang der 90er Jahre hatten. Dazu gab es – wie bei dem Genre oft vorkommend – viele Besetzungswechsel.
Auch bei der Band Gotthard aktiv
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Mit der letzten Reunion 2019 steht fast wieder die Originalbesetzung aus der Anfangszeit auf der Bühne. Zwei von dieser sind auch bei einer anderen, ungleich bekannteren eidgenössischen Rockinstitution aktiv: Gotthard. Bassist Marc Lynn gründete sie 1990 sogar mit, Gitarrist Freddy „Laurence“ Scherer stieg dort als Ersatz für Mandy Meyer 2004 ein.
Wie die bekannteren Kollegen stehen die Schweizer Chinesen für einen treibenden, manchmal rifflastigen, aber immer melodiösen Hardrock. Der begeistert immer noch viele Fans aus den Anfangstagen, so dass zu normalen Wetterverhältnissen ungleich mehr Besucher im Musiktheater Rex gekommen wären. So aber sagten ungefähr leider genauso viele Besucher wegen des Eisregens ab wie sich letztlich noch in der alten Güterhalle einfanden.
Die aber erlebten eine bestens aufgelegte Endfünfziger-Herrentruppe, deren Altersschnitt nur Neuzugang Tosi Tosone am Schlagzeug senkte. Denn auch der zweite Gitarrist Claudio Matteo ist seit den Anfangsjahren dabei. Der Fünfer freut sich darüber, dass sich die Leute überhaupt aus dem Haus getraut haben und angesichts ihrer überschaubaren Zahl die Band kräftig abfeiern.
Deren Songmaterial konzentriert sich an diesem Abend auf die ersten beiden Scheiben. „Sign in the sky“ bedeutete 1990 den Durchbruch, der sich allerdings bald wieder durch mehrere Besetzungswechsel verflüchtigte. Allein von dieser Platte gab es fünf Stücke zu hören – wie auch vom selbstbetitelten Debütalbum „China“.
„Dead Lights“ oder „Animal Victim“ sind klassischer knackiger Hardrock, gepaart mit dem melodischen Stampfer „Shout it out“. Die Fans zeigen sich schon zu Beginn gut bei Stimme, als Scherer – am Anfang noch Frontmann-Ersatz und Gitarrist in Personalunion – zum Mitsingen auffordert. Er gibt sich bei den Soli mit Matteo die Klinke in die Hand.
„Wir zelebrieren die 80er Jahre“, verspricht er in seinem singenden Schwyzerdütsch, „und gehen nirgendwo anders hin“. Damit treffen die alten Haudegen den Nerv des Publikums. Das hat scheinbar auch noch einige Kassettenrekorder zu Hause. Denn einschlägige Bandaufnahmen des Hitalbums „Sign in the sky“, von ihm im Keller ausgegraben, waren ruckzuck verkauft.
Das Stück ist gleichzeitig das erste Highlight des Konzerts. Es ist ein Klassiker mit Hitcharakter, teilweise mit zwei Leadgitarren gespielt, hart, aber ohne ins Geschrubbe auszuarten. Als dann noch Hartmeier dazustößt, geht die Post in „Rock City“ ab. Zu fünft hat die Gruppe deutlich mehr Power. Der Frontmann hat seine Fans im Griff.
Mit seiner typischen rauen Shouterstimme rockt er das folgende „You got me going“. Das erste China-Album wurde in Deutschland aufgenommen, erinnert sich die Band gern. „Back to you“ ist daraus der einzige nicht selbst geschriebene Song. Fernando von Arb, Gitarrist bei Krokus, griff damals der jungen Truppe unter die Arme. Der vierstimmige Gesang ist absolut Mainstream tauglich.
Heimelige Atmosphäre
Marc Lynn, mit Gotthard sonst die ganz großen Hallen gewohnt, genießt die heimelige Atmosphäre im Rex. „Das ist wie eine private Grillparty mit den liebsten Gästen“, lobt er. Jede Rockband, die etwas auf sich hält, hat eine Ballade im Set. Bei China ist das „So long“. Wo in den 80ern die Feuerzeuge angegangen wären, sind es heute die Handy-Taschenlampen. Zum Schluss hin wird es mit „In the middle of the night“ noch einmal heftiger – aber das braucht es natürlich auch, damit die Fans eine Zugabe fordern. Die gibt es logischerweise – unter anderem mit dem Klassiker „Proud Mary“ von Creedence Clearwater Revival.
Das Konzert macht Luft auf mehr – hoffentlich dann ohne Eisregen und mit mehr Besuchern.
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