Bensheim. Wie sich Bensheim in den kommenden Jahrzehnten räumlich entwickeln soll, gehört derzeit zu den zentralen politischen Fragen der Stadt. Anlass ist die Fortschreibung des Regionalplans Südhessen, den das Regierungspräsidium Darmstadt erarbeitet und der den planerischen Rahmen für die Region bis etwa 2045 vorgibt. Für Bensheim bedeutet dieses Planwerk die Festlegung von Spielräumen für Wohnungsbau, Gewerbe, Freiraumschutz und Infrastruktur, aber auch klare Grenzen, insbesondere im Hinblick auf Klima- und Umweltbelange. Entsprechend kontrovers wurde das Thema in der Stadtverordnetenversammlung am Donnerstagabend diskutiert.
Bereits die jüngste Sitzung des Bau-, Umwelt- und Planungsausschusses hat gezeigt, wie unterschiedlich die Fraktionen diese Zukunftsfragen bewerten. Die Koalition aus CDU, SPD und FDP betonte, die Stadt müsse sich auch unter den neuen, enger definierten Flächenkontingenten weiterhin entwickeln können. Grüne und BfB stellten dem die Sorge vor zusätzlicher Versiegelung entgegen und warnten vor einer schleichenden Aufgabe des landschaftlichen und städtebaulichen Charakters Bensheims. Peter Leisemann (FWG) brachte es auf die grundsätzliche Dimension: Es gehe darum, wie Bensheim sich selbst verstehe – als Stadt, die ihren Charme bewahren wolle, oder als Ort, der in großem Stil Flächen für neue Bebauung bereitstellt. Auch die Frage, wie der zusätzliche Verkehr aufgenommen werden könne, spielte eine Rolle.
Engere Vorgaben und neue Flächenrahmen für Bensheim
Erster Stadtrat Frank Daum stellte im Ausschuss die Größenordnungen in den Kontext des bisherigen Plans. Der geltende Regionalplan weist rund 53 Hektar Siedlungsfläche aus, von denen jedoch nur etwa 45 Hektar tatsächlich umgesetzt wurden. Der neue Entwurf sieht jedoch für Bensheim nur noch 22 Hektar vor. Auch im Gewerbebereich ist eine spürbare Einschränkung vorgesehen. Statt der bislang möglichen 57 Hektar sollen künftig nur noch 15 Hektar ausgewiesen werden. Bensheim strebt jedoch eine Erhöhung auf 20 Hektar an, da nicht alle bestehenden Gewerbeflächen weiterentwickelt werden können. Von einer flächendeckenden Bebauung könne trotzdem keine Rede sein, betonte Daum beim Bauausschuss, denn viele ausgewiesene Bereiche müssten nicht neu versiegelt werden, sondern würden lediglich neu genutzt. Das gelte etwa für das Thermoplastik-Areal an der Nibelungenstraße.
Ein Leitgedanke des neuen Plans lautet „Innenentwicklung vor Außenentwicklung“. Brachflächen, Baulücken und untergenutzte Areale sollen vorrangig genutzt werden, bevor neue Baugebiete am Siedlungsrand entstehen. Für Bensheim sieht der Entwurf beispielsweise Wohnbaupotenziale am Berliner Ring in Richtung Zwingenberg sowie im Bereich des Tegut-Kreisels vor. Insgesamt könnte die Stadt auf dieser Basis etwa tausend zusätzliche Einwohner aufnehmen. Die endgültige Verabschiedung des neuen Regionalplans wird allerdings voraussichtlich erst 2028 erfolgen. Bis dahin können Kommunen und Bürger Stellungnahmen einreichen.
Streit über Chancen und Risiken der Entlastungskommune
Welche Konsequenzen die neuen Rahmenbedingungen für Bensheim haben sollen, darüber gingen in der Stadtverordnetenversammlung die Meinungen jedoch deutlich auseinander. Birgit Rinke (Grüne) eröffnete die Aussprache und machte deutlich, dass ihre Fraktion die Änderungswünsche der Stadt zum Regionalplan kritisch sieht. Vorrangflächen für Landwirtschaft und Klima dürften nicht herabgestuft werden, da sie wichtige Frischluftschneisen und CO₂-Senken seien. Die Ausweisung als Entlastungskommune lehnten die Grünen ab, weil sie darin keine Entlastung des Wohnungsmarkts, sondern zusätzliche Versiegelung sähen. Innenentwicklung müsse Priorität haben. Neue Siedlungsflächen gefährdeten wertvolle Landschaftsräume wie das Naturschutzgebiet Tongruben im südlichen Teil der Stadt.
Ulrike Vogt-Saggau (BfB) schloss sich der Kritik an und betonte, Bensheim müsse Wohnraum zuerst für die eigene Bevölkerung schaffen. Eine Entlastungsfunktion für Frankfurt sei nicht Aufgabe der Stadt. Sie nannte Auerbach-Nord, die Zeilbäume und Teile der Südstadt als Standorte, die dauerhaft unbebaut bleiben müssten – aus klimatischen, landwirtschaftlichen und stadtbildprägenden Gründen. Die BfB forderte eine konsequente Innenentwicklung und warnte vor den Folgekosten überzogener Wachstumsstrategien.
Michael Sydow (SPD) stellte heraus, dass der Regionalplan strenge und begrenzte Vorgaben mache. Gerade deshalb müsse Bensheim vorausschauend Flächen sichern, um später handlungsfähig zu bleiben. Er verwies auf Chancen an schienengebundenen Standorten, auf mögliche Verbesserungen der Bahn-Infrastruktur und auf gelungene Innenentwicklungsprojekte wie Euler-Areal oder Meerbachsportplatz. Auch im Gewerbebereich brauche die Stadt Reserven, um auf Veränderungen reagieren zu können.
Thorsten Eschborn (FDP) brachte seine Position mit gewohnt humorvollem Unterton vor. Er betonte, dass die Ausweisung als Entlastungskommune für ihn weniger ein Problem als vielmehr eine Art Geschenk sei: „Warum sollten wir das nicht annehmen?“ fragte er, verbunden mit der Bemerkung, dass ihm schon der Begriff „schienengebundener Haltepunkt“ so gut gefalle, dass er ihn gern benutze. Eine solche Einstufung eröffne Chancen – etwa eine bessere Bahn-Anbindung, elektrifizierte Strecken oder zusätzliche Haltepunkte –, die niemanden zu Neubauten verpflichte, aber der Stadt neue Optionen verschaffen könne.
Peter Leisemann (FWG) mahnte, Bensheims Attraktivität dürfe nicht durch übermäßiges Wachstum gefährdet werden. Die Stadt solle behutsam entwickeln, ohne Verkehr, Lärm und Infrastruktur zu überlasten. Prioritätslisten für Flächenentwicklung sah er skeptisch. Investoren orientierten sich ohnehin nicht an kommunalen Prioritäten, sondern an Wirtschaftlichkeit. Rolf Kahnt (VuA) kritisierte den Begriff „Entlastungskommune“ als irreführend, stellte aber klar, dass Optionen grundsätzlich sinnvoll seien, solange daraus keine Verpflichtung entstehe. Er warnte vor Fehlinterpretationen des Begriffs und vor unnötiger Emotionalisierung.
Rolf Tiemann (FWG) verwies auf Beispiele in anderen Städten der Region, wo großflächige Vorhaben auf massiven Widerstand gestoßen seien. Auch Bensheim solle Folgekosten und Infrastrukturfolgen nüchtern mitdenken und behutsam planen. Lydia Kloos (Grüne) hob die klimatische Funktion der Südstadt hervor und rechnete mit zusätzlichen Kosten für Kitas, Schulen, Sport- und Verkehrsanlagen, sollten weitere Einwohner hinzukommen. Wachstum sei kein Qualitätsmerkmal.
Hanns-Christian Wüstner (Grüne) widersprach der Darstellung, die Entlastungsrolle bringe der Stadt „Geschenke“. Zusätzliche Flächenkontingente seien kein Selbstzweck, entscheidend sei der Schutz von Kaltluftentstehungsflächen und eine strikte Innenentwicklung. Tobias Fischer (FDP) schloss die Redebeiträge ab. Er verteidigte den Regionalplan als sachliche Grundlage, die Möglichkeiten eröffne, ohne Entscheidungen vorwegzunehmen. Der Plan zwinge niemanden zum Bauen, schaffe aber dringend benötigte Spielräume. Eine Stadt, die sich nicht entwickele und keine Zukunftsoptionen bereithalte, verliere an Attraktivität.
Klare Entscheidungen am Ende einer langen Debatte
Zum Abschluss folgten die Abstimmungen. Der Änderungsantrag der Grünen fand mit 15 Ja- und 27 Nein-Stimmen keine Mehrheit. Ebenso wurde der Änderungsantrag der BfB, der unter anderem die Ablehnung der Entlastungskommune forderte, mit 25 Nein-, 15 Ja-Stimmen und zwei Enthaltungen abgelehnt. Auch die beantragte Herausnahme einzelner Entwicklungsflächen – Auerbach Nord, Kleingärten Auerbach, Bensheim Süd, sowie die Prüfung von Innenentwicklung und Nachverdichtung und die Streichung von Stubenwald III – scheiterte deutlich mit 27 Nein-, 12 Ja-Stimmen und drei Enthaltungen.
Der Änderungsantrag der Koalition (CDU, SPD, FDP) wurde dagegen angenommen. Die Stadtverordneten beschlossen mit 27 Ja- und 15 Nein-Stimmen, Bensheim im Regionalplan als Entlastungskommune auszuweisen. Ebenfalls mit 27 Ja- und 15 Nein-Stimmen verabschiedet wurde der Punkt, ein Siedlungsflächenkontingent von 22 Hektar, ein Gewerbeflächenkontingent von 20 Hektar sowie die Korrektur der bestehenden Siedlungsdarstellungen in der Fortschreibung des Regionalplans zu beantragen.
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