Bensheim. Eine lebendige Stadt verändert im Lauf der Zeit notwendigerweise stetig ihr Gesicht. Häufig werden Strukturen überbaut, so dass nichts mehr davon zu sehen ist. Manchmal werden bauliche Reste bewusst bewahrt und weiter gepflegt.
Doch gibt es immer wieder auch Orte, die einfach irgendwie übrigbleiben. Ein solcher, heute mehr oder weniger funktionsloser und ohnehin eher wenig frequentierter Ort ist der ehemalige Bahnübergang am (heutigen) Ende der Fehlheimer Straße.
Von Osten aus der Mozartstraße kommend scheint sich hier angrenzend an die Bahngleise nur eine weitgehend ungestaltete Parkplatzfläche zu befinden. Auf der Westseite der Bahn – man gelangt dorthin, indem man eine im Zuge der Bebauung des ehemaligen Schlachthofgeländes angelegte Bahnunterführung benutzt oder auf der Ostseite der Schienen von der Europaallee aus die Dammstraße entlang nach Norden geht – befindet sich ein trapezförmiger Straßenstummel, der parallel zu den Gleisen abgeschnitten ist. Die Asphaltfläche wird ebenfalls zum Parken genutzt.
Damals beschrankter Bahnübergang für Fahrzeuge und Fußgänger
Bis Mitte der 1990er Jahre befand sich hier noch ein beschrankter Bahnübergang für Fahrzeuge und Fußgänger, wärterbedient mit Handkurbel – der „Posten 47“. Davon ist nichts mehr zu sehen. „Nachdem sich am 13. August 1994, kurz vor 13 Uhr am Posten 47 die Schranken für immer geschlossen hatten, verschwand das Häuschen im Februar 1995 in einer Nacht- und Nebelaktion“, erinnern sich die Eisenbahnfreunde Bensheim auf ihrer Webseite.
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Der Vorgang wurde Anlass zur Gründung des Vereins. Denn der Magistrat der Stadt Bensheim wollte das Bahnwärterhäuschen eigentlich erhalten, mit der vagen Idee eines Mini-Eisenbahnmuseums. Doch durchschneidet mit der Bahntrasse ein breites Band von Grundeigentum das Stadtgebiet, das allein der Planungshoheit der Deutschen Bahn unterliegt. Und die entschied offensichtlich anders.
Bahnübergänge, um bauliche Über- oder Unterführungen zu vermeiden
Mehr als hundert Jahre lang hatte es an der Fehlheimer Straße eine Möglichkeit für alle gegeben, die Schienen zu überqueren, auch, als die Umgebung noch völlig unbebaut war. Denn schon Stadtpläne aus dem 19. Jahrhundert zeigen eine dem Lauf des hier leicht abknickenden Winkelbachs folgende Straße und – zunächst auf der westlichen Seite der Gleise – eine sehr kleine bauliche Struktur direkt bei den Schienen.
Ob es sich dabei schon um ein dem heute abgerissenen Postenhäuschen ähnliches Bauwerk handelte, ist schwer zu sagen, denn für die Bahnwärter wurden in vielen Fällen nur Unterstände gebaut. Dass es am Ende der Fehlheimer Straße überhaupt einen Bahnübergang gab, liegt wohl nicht daran, dass es hier früher besonders viel Verkehr gab.
Es gab einfach ausgesprochen viele Bahnübergänge mit entsprechend vielen Wärterposten, um bauliche Über- oder Unterführungen zu vermeiden. Am Ende des 19. Jahrhunderts war der durchschnittliche Abstand zwischen zwei Bahnübergängen in Deutschland 625 Meter. In England zum Beispiel waren es vier Kilometer.
Wann das abgebildete winzige Häuschen für „Posten 47“ erbaut wurde, ist anhand der Bauart nicht unmittelbar zu sagen, vielleicht entstand es im Zuge von Umbauarbeiten im Bereich des Bensheimer Bahnhofs um das Jahr 1910. Im Internet finden sich mehrere Bildersammlungen zum Thema Schrankenposten, die die enorme Bandbreite der möglichen Gestaltungen zeigen.
Sehr genau geregelt dagegen war seit 1929 die Bauart der als „Reichsbahnschranke“ benannten Schrankenanlage. Noch 1994 entsprachen zum Beispiel der Gitterbehang des Schrankenbaums und die Aufschlaggabel exakt diesen Vorschriften.
Die Anzahl der Bahnübergänge in Deutschland wird stetig reduziert
Elektrische Antriebe und Fernbedienungen erleichterten im Lauf der Jahre die Arbeit der Schrankenwärter – und machten sie zum Teil überflüssig. Schon in den 1960er Jahren wurden an manchen Strecken die Schrankenposten aufgegeben und die Bahnwärterhäuschen als Feriendomizil vermietet. Mechanisch angetriebene Schlagbaumschranken machten es aber auch möglich, die Schrankenwinde aus einem geschlossenen Raum heraus zu bedienen.
So war es auch bei Posten 47. Mancher wird sich noch erinnern, bei geschlossenen Schranken nach einer gefühlten Ewigkeit und der Durchfahrt mehrerer Züge erleichtert durch die Scheiben des Gebäudes die kurbelnde Bewegung des Bahnwärters wahrzunehmen. Auch dessen Griff zum Telefonhörer ließ Hoffnung aufkeimen, dass die Wartezeit bald zu Ende sei, denn die Zugmeldungen erfolgten über eine Fernsprech-Streckenverbindung.
Doch dienten die großen Fenster im Häuschen nicht eigentlich der Transparenz für die Wartenden, sondern der Sicherheit. Denn nicht nur den Zugverkehr musste der Schrankenwärter im Blick haben, sondern auch den Bahnübergang, um das Einschließen von Verkehrsteilnehmern zwischen den Schrankenbäumen zu vermeiden.
Aus Sicherheitsgründen und wegen der hohen Personalkosten wird die Anzahl der Bahnübergänge in Deutschland stetig reduziert; derzeit gibt es nur noch wenige Hundert davon. Nicht immer werden sie durch Über- oder Unterführungen ersetzt. Bei „Posten 47“ können heute nur Fußgänger und Zweiräder noch auf die andere Seite der Gleise gelangen, ebenso übrigens wie am Auerbacher Bahnhof, wo es auch noch lang einen beschrankten Übergang gab. Autofahrer müssen heute auf die Unterführung Kirchbergstraße/Europaallee oder auf die Brücke an der Saarstraße ausweichen, um auf die andere Seite zu kommen.
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