Orgelwochen

Klangintensive Entdeckungen bei den Orgelwochen in Bensheim

Langen Applaus gab es für den Wormser Domkantor Dan Zerfaß in der Michaelskirche.

Von 
Klaus Ross
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Bensheim. Seit 1999 und damit dem Gründungsjahr der Bensheimer Orgelwochen ist Dan Zerfaß bereits als Regionalkantor und Organist am Wormser Petersdom tätig. Insofern mochte es durchaus überraschen, dass der 1968 in Simmern (Hunsrück) geborene Musiker erst bei der aktuellen 27. Auflage des feinen kleinen Festivals sein Debüt in der Michaelskirche feiern konnte. Passend dazu enthielt Zerfaß‘ gehaltvolles Programm einige entdeckenswerte Raritäten, die den Orgelwochen-Fans entweder lange nicht oder gar noch nie begegnet sein dürften. Für besondere Abwechslung sorgte der Wormser Gast durch stetes Changieren zwischen barocken Stücken und Werken aus Romantik bzw. Moderne.

Mit der zwölften und letzten Toccata aus der 1690 gedruckten Orgelmusik-Sammlung „Apparatus musico-organisticus“ des einstigen Passauer Hofkapellmeisters Georg Muffat (1653-1704) machte Zerfaß schon zu Beginn erfrischend spielfreudig auf ein konzertant eher vernachlässigtes Bach-Vorbild aufmerksam. Ähnliches galt für Dietrich Buxtehude (1637-1707) und sein vergleichbar kontrastreich aufgebautes „Magnificat primi toni“ BuxWV 203, dessen charakteristische Vielgestaltigkeit kaum luzider und organischer hätte herauskommen können. Wie unbestechlich formbewusst und stilsicher der erfahrene Organist gerade auf barockem Terrain unterwegs ist, unterstrich wohl am schönsten Bachs c-Moll-Triosonate BWV 526 mit ihren schwerelos ausbalancierten Ecksätzen. Das wunderbar weiträumige Es-Dur-Largo geriet zum lyrischen Zentrum des Programms.

Besonders eindringlich warb Zerfaß an diesem Abend für die harmonisch wie rhythmisch einzigartige Orgelkunst des Franzosen Jehan Alain (1911-1940), dessen Soldatentod mit nur 29 Jahren eine der verheißungsvollsten Komponistenkarrieren tragisch beendete. In zwei dem indischen Feuergott Agni Yavishta gewidmeten Tänzen von 1932 konnte man hören, wie stark sich der junge Meister durch exotische Klangerfahrungen inspirieren ließ. Noch intensiver wirkte die 1938 entstandene „Aria“, deren farbraffinierte Steigerungen vom Organisten perfekt auf den Punkt gebracht schienen. Keine Frage: Hätte Alain lange genug gelebt, so wäre er wohl mindestens auf dem Bedeutungsniveau seines ungleich berühmteren Generationskollegen Olivier Messiaen gelandet.

Ebenso willkommen wie dieses exquisite Alain-Plädoyer war Zerfaß‘ passionierter Einsatz für die trotz ihres ergiebigen Oeuvres allzu selten beachteten Orgelromantiker Marco Enrico Bossi (1861-1925) und Jean Baptiste Jules Grison (1842-1896). Den sogar von großen Landsmännern wie Verdi oder Puccini bewunderten Italiener (einst weltweit erfolgreicher Konzertorganist) würdigte der Wormser Domkantor mit dem prachtvollen frühen g-Moll-Scherzo opus 49/2, das als elegant gearbeitetes Bravourstück jeden Vergleich etwa zu stilverwandten Mendelssohn-Reißern mühelos aushielt.

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Klaus Ross
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Und auch der über drei Jahrzehnte als Domorganist in Reims wirkende Franzose Grison hat wenigstens in Gestalt seiner höchst eingängigen, keineswegs nur auf virtuose Rasanz setzenden f-Moll-Toccata von 1890 dauerhafte Repertoire-Präsenz verdient.

Die rund 70 Konzertbesucher in der Michaelskirche dankten Dan Zerfaß insbesondere für diese interpretatorisch durchweg erstrangigen Horizonterweiterungen mit langem Applaus, konnten ihn aber leider nicht zu einer Zugabe bewegen.

Freier Autor Besprechung klassischer Konzertveranstaltungen seit über drei Jahrzehnten (darunter als Schwerpunkte das umfangreiche regionale Kirchenmusikangebot sowie die renommierten Kammermusikreihen der Kunstfreunde Bensheim und von Forum Kultur Heppenheim)

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