Bensheim. „Lebenskunst ist wieder da“, rief Justus Keller von der Bühne des Bensheimer Bürgerhauses unter dem Jubel von rund 500 Zuschauern am Donnerstagabend und verbarg nicht, dass dieser Neubeginn nach zwei Jahren Pause durchaus auch eine emotionale Bedeutung für ihn als Veranstalter hatte.
Nach reiflicher Überlegung habe er sich im Sommer entschieden, seine Vortragsreihe wieder fortzusetzen, gegen Depression und Spaltung – um „ins Helle“ zu gehen. Schon am Donnerstag (24.) folgt der nächste Vortrag mit Spiegel-Bestsellerautor und Finanzberater Marc Friedrich.
Den Auftakt jedoch machte der Diplom-Psychologe Jens Corssen, einer der ganz Großen in der Beratungsbranche, der unter anderem durch sein unter Markenschutz gestelltes Konzept des Selbst-Entwicklers international bekannt wurde. Auch in Bensheim hat Corssen die Methode schon vorgestellt.
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Nun kam er mit einer Erweiterung des Themas unter dem Titel „Unerschütterlich: Sich geborgen fühlen im Ungewissen“. Damit traf er auch in Bensheim den Nerv vor allem der Generation der zwischen 30 und 50 Jahre alten Orientierung Suchenden. In seinem in einem unterhaltenden, launigen Plauderton gehaltenen Vortrag kreiste er in wiederkehrenden Schleifen um seine Kernthemen – vielleicht nicht jedermanns Sache, aber schlüssig in Bezug auf seine Erkenntnis, dass es nicht reiche, etwas einmal gehört und verstanden zu haben.
Einsichten an sich änderten wenig, sagte er, nur über Erfahrung und emotionale Elemente lasse sich etwas erreichen. Zum Beispiel, wenn es gelte, mit dem Ungewissen umgehen zu lernen: Er selbst überwinde sich mit seiner Frau jeden Samstagvormittag zu einem anderen Ausflug in wechselnde Stadtteile seines Wohnorts München, obwohl keiner der beiden Lust dazu habe.
Am Ende jedoch kehre man immer in gehobener Stimmung zurück, habe mit unbekannten Menschen gesprochen und Gedanken kennengelernt, die man selbst noch nie zuvor gedacht habe. Solcherart solle man sich zwingen, Neues zu erleben, denn Bequemlichkeit mache ängstlich.
Wie das Stehen im Verkehrsstau
Corssen definierte eine Opfer- oder Kinderwelt, in der man jammere oder sich ungerecht behandelt fühle, eine Form kindischer Rechthaberei. Was auch immer geschehe, sei aber in gewisser Weise neutral zu betrachten – welche Gestimmtheit man daraus ableite, liege ausschließlich in der eigenen Verantwortung. Immer wieder kam Corssen auf das Stehen im Verkehrsstau zurück, als übertragbares Bild für die Fährnisse des Lebens selbst.
So, wie man beim Autokauf den Stau immer schon mitkaufe, so akzeptiere man mit der Lebensbejahung auch alles, was das Leben ausmache, und das bedeute eben nicht, dass alles nach Wunsch und Plan verlaufe. Einer der wohl schönsten Sätze des Abends fiel auch in diesem Zusammenhang: „Wenn das Schicksal kommt, bin ich schon da“.
Um aus der Kinderwelt in die Erwachsenenwelt zu gelangen, nannte der Referent fünf Schritte: Erst solle man die Gefühle rauslassen („aber nicht zu lang“), dann aber die Situation akzeptieren, ohne sie verstehen zu müssen („Verstehen ist der Trostpreis des Lebens“) und schließlich überlegen, was man aus all dem lernen könne – im Übrigen einer der zentralen Ansätze Corssens, nämlich das Leben als Lerneinheit aufzufassen. Danach gelte es herauszufinden, welche Optionen man habe, um sich am Ende und im damit fünften Schritt für eine Option zu entscheiden.
Ergänzend zu solcherart abstrakten, gleichwohl mit Beispielen aus dem Leben illustrierten Betrachtungen gab der Referent seinem Publikum auch konkrete Übungen an die Hand, die er auch selbst befolge: So trinke er jeden Morgen ein Glas lauwarmes Wasser (das gelte als gesund) in aufrechter Haltung und denke dabei: „Ich bin für das Leben, ich liebe das Leben“.
Was die Liebe zu Partnern angeht, machte Corssen darauf aufmerksam, dass Liebe nicht bedeute, sich zu brauchen – das sei ja im Gegenteil eine Abhängigkeit, die keine wirkliche Liebe zulasse. Auch die Verwendung des grammatischen Possessivs wie etwa in dem Satz „Mein Mann hat mich verlassen“, sei schädlich, besser sei „Ein Mann hat mich verlassen“. Und noch besser: „Ein Mann ist nicht mehr da“.
Eine sicher mit Gewinn zu befolgende und mit Kichern im Publikum aufgenommene Anregung war auch dies: Werde man von jemanden beschimpft, so gehe man nicht dagegen an, sondern sage sich: Ich wachse an dieser Situation, um sich am Ende zu bedanken: „Ich bin genug gewachsen, du kannst jetzt gehen.“
Auch die vier „Werkzeuge“ des Selbst-Entwicklers stellte Corssen in seinem mehr als zweistündigen Vortrag noch einmal vor: Selbst-Bewusstheit, was bedeute, sich der eigenen Denkgewohnheiten bewusst zu werden und automatisches Denken („wenn es mich denkt“) zu entlarven. Selbst-Verantwortung, also dazu zu stehen, dass es eine freie Entscheidung ist, wie man mit den Gegebenheiten des Lebens umgeht („Wo ich bin, will ich sein“ – „Ich fahre mein Kind zum Sporttraining, weil ich eine liebevolle Mutter sein will, nicht weil ich es muss“).
Selbst-Vertrauen, also an Zielen festzuhalten, positive Bilder aufzubauen und Niederlagen nicht als solche zu bezeichnen, sondern als Durchgangsstation auf dem Weg zum Ziel. Selbst-Überwindung, also die Bereitschaft, auch Unlust auf sich zu nehmen und gewohnte Verhaltensweisen aufzugeben – das brauche das Gehirn, sagte Jens Corssen.
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