Bensheim. Zum 200. Geburtstag von Anton Bruckner führte das Auftaktkonzert der Bensheimer Musiktage in Sankt Georg geistliche Vokalwerke des großen österreichischen Sinfonikers und einschlägige Gattungsbeiträge seines prominenten Konkurrenten Johannes Brahms zusammen. Fortgesetzt wurde dabei unter Leitung von Christoph Siebert die vielfach bewährte Kooperation zwischen dem Kammerchor Cantemus Bensheim und dem Offenbacher Vokalensemble Prophet. Zu dieser rund 70-köpfigen Formation trat in einzelnen begleiteten Stücken ein Bläserensemble aus Musikern des renommierten Originalklang-Orchesters „concerto classico frankfurt“.
Brahms und Bruckner galten im damaligen Wien als künstlerische Antipoden, deren Kompositionen immer wieder wahre Glaubenskriege auslösten. Selbst hatten sie bei aller grundsätzlichen Rivalität an solchen Konflikten überhaupt kein Interesse, sondern hegten durchaus Respekt füreinander. Brahms etwa nannte Bruckner einen „Kerl, der’s verflucht ernst meint, und da gebührt Achtung“.
Bruckner wiederum verwendete Brahms‘ Werke regelmäßig in seinem Kompositionsunterricht. Trotz ihrer charakterlichen wie stilistischen Unterschiede fallen wichtige Gemeinsamkeiten auf: Beide waren genuine Sinfoniker, beide zeigten sich als Verfechter alter polyphoner Traditionen, und für beide war das Schreiben sakraler Musik über Jahrzehnte hin unverzichtbar.
Mit acht meist allzu wenig bekannten Bruckner-Motetten lieferten Christoph Siebert und seine gewohnt bruchlos zusammenwirkenden Chöre den Beweis, dass sich Bruckners großer sinfonischer Geist selbst in der kleinsten Form jederzeit überwältigend stark mitteilt. Die Cantemus-Prophet-Crew genügte mit ihrer stupenden Intonationspräzision, Dynamikfinesse und Ausdrucksflexibilität einmal mehr professionellen Ansprüchen. Bereits die bis 1869 entstandenen Frühwerke „Ave Maria“, „Afferentur regi virgines“ (plus Posaunentrio), „Pange lingua“ und „Locus iste“ zeigten Bruckners harmonisch und melodisch unverwechselbaren Personalstil in voller Ausprägung.
Erlesene Auswahl zum Bruckner-Jubiläum
Beispielhaft für Sieberts fein animierenden wie konturierenden Zugriff standen insbesondere die farbenreichen Graduale-Vertonungen „Os justi“ (1879) und „Christus factus est“ (1884), in denen der „Vokalsinfoniker“ Bruckner sehr plastisch hervortrat. Ähnlich dicht und weiträumig gelangen die wunderbaren späten Motetten „Virga Jesse“ (1885) und „Vexilla regis“ (1892 komponiert als letztes geistliches Werk des Meisters). Als aparte instrumentale Intermezzi erklangen zwei für Posaunentrio gesetzte kurze „Aequale“ aus dem Jahre 1847.
Perfekt ergänzt wurde diese erlesene Auswahl zum Bruckner-Jubiläum durch eine ebenso stimmige Brahms-Kollektion, die sich überaus harmonisch in das rund einstündige Programm einfügte. Den eigentümlich herben Glanz der drei letzten Motetten opus 110 (1889) entfalteten Sieberts Choristen so kraftvoll und klar, wie man es bei diesen herausfordernden A-cappella-Klassikern nicht eben oft erlebt. Von der frühreifen Ausdruckskunst des jungen Brahms zeugten der markant auf das Requiem vorausweisende „Begräbnisgesang“ opus 13 (1858) und das schon 1856 entstandene „Geistliche Lied“ opus 30.
Die reizvolle Bläserbegleitung zu opus 13 war von Brahms selbst, die des programmrundenden Liedes dagegen eine formidable Bearbeitung der originalen Orgelstimme durch Christoph Siebert. Georg Siebert und Antonello Cola (Oboe), Teddy Ezra und Andrey Chernov (Klarinette), Rainer Johannsen und Rebecca Mertens (Fagott), Martin Gericks und Catherine Eisele (Horn), Max Eisenhut, Julia Fischer und Joost Swinkels (Posaune), Paul Schrank (Tuba) sowie Heidi Merz (Pauke) sorgten für schönstes Kolorit. Das Publikum in der zu knapp zwei Dritteln besetzten Bensheimer Stadtkirche quittierte den hochkarätigen Musiktage-Auftakt mit ausgedehntem Beifall.
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