PiPaPo-Theater

Vom Anfang des Regenbogens beim Lesefestival in Bensheim

Das Bensheimer Lesefestival entführte ins New York von 1969 und den Beginn der queeren Bewegung.

Von 
Thomas Tritsch
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Die Christopher Street in New York und die Bar Stonewall Inn sind historische Orte, an denen die queere Bewegung ihren Ursprung fand. Das Stonewall National Monument soll an den Aufstand im Jahr 1969 nach den Polizeirazzien erinnern. © Thomas Neu

Bensheim. Im Stonewall Inn sind selbst auf den Bierzapfhähnen die Regenbogenfarben abgebildet. Denn der Laden ist nicht irgendeine Bar, sondern jener historische Ort, an dem die queere Bewegung ihren Ursprung fand. Die Adresse in der Christopher Street in der West Side von Manhattan ist Namensgeber des Christopher Street Day. In der Nacht zum 28. Juni 1969 fanden dort Auseinandersetzungen zwischen Polizeibeamten und Mitgliedern der LGBTQ-Szene statt.

Das heute selbstverständliche Recht, zu lieben wen man will

In ihrem historischen Roman „Pride began on Christopher Street“ verknüpfen Christian Handel und Andreas Suchanek die dramatischen Ereignisse in New York und den Beginn einer Bewegung mit einer queeren Liebesgeschichte. „Es gab dazu viele Sachbücher, aber bislang keine Belletristik“, so Christian Handel beim Bensheimer Lesefestival. Im PiPaPo-Theater präsentierten die Autoren am Freitagabend ihr Buch, das historische und fiktive Elemente vereint. Es ist ein Roman über das heute selbstverständliche Recht, zu lieben, wen man will.

Die Story handelt vom Polizisten Jake und dem schwulen Freigeist Finn, die vom Gesetz getrennt werden. Ihre Herkunft und ihre Vorstellung davon, wen man lieben darf, sind grundverschieden. Dennoch rettet Jake Finn vor einem brutalen Polizeiübergriff. Denn Jake ist selbst schwul, ohne es sich einzugestehen.

Obwohl sie in ihren Vorurteilen über den anderen gefangen sind, nähern sie sich langsam an. Als sich im Stonewall Inn die Bar-Besucher erstmals gegen willkürliche Razzien der Polizei wehren, geraten die Protagonisten in einen doppelten Konflikt. Im Roman wird der Tag zu einem Schicksalsmoment für die Liebe der beiden Hauptfiguren. In der Realität ist der Tag ein historisches Datum. Denn der Stonewall-Aufstand wird zu einem maßgeblichen Wendepunkt der LGBTQIA*-Bewegung im Kampf um Gleichbehandlung und Anerkennung.

Die Autoren Christian Handel (re.) und Andreas Suchanek stellten beim Lesefestival ihren historischen Roman „Pride began on Christopher Street“ vor. © Thomas Neu

Denn bei dieser besonderen Razzia kamen einige Faktoren zusammen, die neu waren: Eine Woche zuvor war die Schauspielerin Judy Garland gestorben, eine wichtige kulturelle Ikone, mit der sich viele Homosexuelle identifizierten. Die Trauer über den Verlust gipfelte in der Beerdigung am 27. Juni, die von 22.000 Menschen besucht wurde – darunter über 12.000 Homosexuelle. Viele Gäste des Stonewall Inn waren noch immer emotional aufgewühlt, als die Razzia durchgeführt wurde. Historiker streiten bis heute darüber, ob es einen Zusammenhang gab oder nicht.

Christian Handel und Andreas Suchanek, beide homosexuell, haben während der Recherchen zu ihrem Roman nicht nur Sachtexte gelesen und Dokumentationen gesichtet, sondern sich auch mit Essays und Zeitzeugen-Interviews beschäftigt. Am Ort der Handlung waren beide bislang nicht. Das soll sich aber ändern, wie Handel in Bensheim betont.

In ihrem Roman lassen die Autoren auch historische Persönlichkeiten wie die Aktivistin und Dragqueen Marsha P. Johnson auftauchen, die in den 1960er-Jahren eine prominente Figur der New Yorker Schwulen- und Kunstszene und an den Stonewall-Unruhen beteiligt war. Und sie zeigen, dass es nicht nur weiße schwule Männer waren, die damals ihre Stimme erhoben hatten. Viele Personen kommen selbst zu Wort. Das macht den Roman nicht nur authentisch, sondern auch dramaturgisch plastischer und greifbarer.

Interessant ist die Entstehungsgeschichte des Buchs. Es war der Piper-Verlag, der für seine Reihe „Schicksalsmomente der Geschichte“ die Stonewall-Ereignisse aufarbeiten wollte und dafür die richtigen Autoren gesucht hatte. Der in Berlin lebende Christian Handel, Jahrgang 1978, ist eigentlich ein Fantasy-Schriftsteller und ebenso wie Andreas Suchanek Mitglied im Phantastik-Autoren-Netzwerk. Suchanek ist gebürtiger Pfälzer (1982) und hat mehrere Krimi- und Science-Fiction-Romane veröffentlicht.

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Die gemeinsame Recherche über die Ereignisse an der Christopher Street habe gut funktioniert. Jeder hatte sich beim Schreiben auf eine der beiden Hauptfiguren fokussiert, und im Laufe eines längeren Prozesses ist daraus eine zusammenhängende Geschichte entstanden.

Laut Suchanek handelt es sich dabei um den wahrscheinlich ersten deutschen queerhistorischen Roman zu den „Stonewall Riots“, das aufgrund seiner geografischen Verortung auf die US-amerikanischen Geschichtsforschung beschränkt ist und in der deutschen Literatur eine untergeordnete Rolle spielt.

Vorausgegangen war dem Protest eine Reihe von Razzien auf der Christopher Street, bei denen queere Menschen in Polizeigewahrsam genommen wurden. Die Bar mit homosexuellem und transidentem Zielpublikum an der Ecke 7th Avenue im Greenwich Village wurde zum Synonym im Kampf für Gleichbehandlung und Anerkennung.

Ein Jahr nach den Unruhen fand in New York der erste Christopher Street Day (CSD) statt, an dem viele Gay-Pride-Bewegungen seither das Andenken an diesen Wendepunkt in der Geschichte der Diskriminierung von Homosexuellen feiern. Heute gibt es auch in Deutschland in beinahe jeder größeren Stadt einen CSD, die größten in Köln und Berlin.

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