Bensheim. Zu Beginn stand eine Liebeserklärung an die Fans nach monatelanger Bühnen-Abstinenz: Sänger Dominique Leonetti betonte seine Freude, wieder live auf einer Bühne stehen zu können. Mit ihrem Publikum in Deutschland verbindet die französische Formation Lazuli ohnehin eine besondere Nähe.
Das war auch im gut besuchten Rex zu spüren, wo die Band am Freitag ihre individuelle Mischung aus Weltmusik, Chanson, Ethno und Folk mit deutlichen Einflüssen vom Progressive Rock der 70er Jahre inszeniert hat.
Die Zuhörer im Musiktheater erlebten gewohnt melancholische Soundgemälde mit verschlungener Dramaturgie und langen Instrumentalpassagen, über denen die feste, hohe Stimme des Sängers schwebt und immer wieder zu spannungsgeladenen Höhenflügen ansetzt. Der beachtliche Tonumfang in Leonettis Bändern korrespondiert teilweise mit dem bemerkenswerten Instrumentarium der Gruppe: Neben Marimba und Waldhorn fällt vor allem die Léode ins Auge (und Ohr) – eine technische Fusion aus Gitarre und Synthesizer, die mit einer Sample- und Sound-Datenbank ausgestattet ist.
Claude Leonetti ist seit einem Unfall linksseitig gelähmt und hat das Instrument nicht nur für sich angepasst, sondern auch technisch-spielerisch perfektioniert. Die Léode bietet auch den Instrumental-Ausflügen der Band weitere Farben und Facetten, deren Komplexität und Tiefe ein beiläufiges Konsumieren dieser Musik praktisch unmöglich machen.
Lazuli verlangen Aufmerksamkeit und Konzentration. Sonst lässt sich die fragile Spannung und oftmals dialogisch inszenierte Dynamik der Band kaum in seiner Vollständigkeit erfassen. Der glockenhelle Gesang rückt zwar immer wieder in den Fokus, doch es sind das harmonische Wechselspiel und die melodische Beredtheit, mit der die Formation ihr Publikum herausfordert, beschäftigt und erfreut.
Die Ausflüge in seichtere Gewässer, in denen auch ein Massenpublikum bequemer herumplanschen kann, hat die Band nach einem nicht unbedingt erfolgreichen Intermezzo wieder aufgegeben und ist zurück zur alten Tiefe gelangt. Dennoch sind viele der neuen Songs reduzierter und puristischer als die oftmals überbordenden Klanglandschaften früherer Jahre. Mit dem neuen Album „Le Fantastique envol de Dieter Böhm“ hat Lazuli ganz tief in die Konzept-Kiste gegriffen und den Kurs des Vorgängeralbums „Saison 8“ konsequent weitergeführt.
Dramatisches Bühnenstück
Das neunte Studioalbum ist den Fans gewidmet. Die im April 2020 geplante Tournee wurde wegen der Pandemie abgesagt. Mit langer Verspätung servierte die Band jetzt live einige Auszüge daraus. Ein dramatisches Bühnenstück aus vier Akten samt Vor- und Nachspiel, das die progressive Art der Formation mit seinen dramatischen Spannungsbögen und der linearen Struktur beispielhaft auf den Punkt bringt.
Ansatzpunkt der Reise ist ein Mann, der auf einer einsamen Insel eine Note pflanzt, die zur Melodie wächst und über die Wellen des Ozeans in die Welt hinausgetragen wird. Dass dabei die Beziehung der Band zu ihrem Publikum thematisiert wird, verleiht dieser akustischen Flaschenpost eine liebevolle Note. Das Lyrische und Opernhafte dieser Musik ist dazu in der Lage, den Zuhörer zu betören – oder das Gegenteil zu bewirken. Denn bei aller sinfonischen Qualität und stilistischen Weite riskieren die Franzosen immer wieder ein orientierungsloses Abgleiten in vordergründige musikalische Ästhetik, der es bisweilen aber an Gravitation und Inspiration mangelt. Dann wird aus einer fantastischen Reise ein Trip in zwar schöne Landschaften, dem es aber an markanten Sehenswürdigkeiten und aufregenden Ausflügen ins Ungewisse fehlt.
Begleitet werden die Brüder Leonetti aktuell von Arnaud Beyney (Gitarre), Schlagzeuger Vincent Barnavol und Romain Thorel am Keyboard. Mit Stücken wie „Les chansons sont des bouteilles à la mer“ und „L’homme volant“ oder dem schönen „J’attends un printemps“ sowie einigen Auszügen aus der Böhmschen Reise hat die Band in Bensheim ihre Fans glücklich gemacht.
Am Freitag galt noch die 3 G-Regel. Ab November führt das Musiktheater Rex dann wie viele andere Veranstalter ebenfalls – wie berichtet – die 2 G-Regel in der alten Güterhalle ein.
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