Bensheim. „Platz nehmen statt Platz machen“ – unter diesem Motto stand eine interessante Infoveranstaltung, zu der zahlreiche interessierte Frauen ins Franziskushaus gekommen waren. Es ging um die Mitgestaltung in der Kommunalpolitik von und für Frauen. Veranstalter war das Netzwerk „Frau trifft sich“, das sich im Sommer des vergangenen Jahres auf Initiative von Bürgermeisterin Christine Klein, der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten der Stadt, Kerstin Hundsdorf und Marion Vatter vom Frauenbüro zusammengeschlossen hatte. Die in diesem Jahr angebotenen vier Frauenspaziergänge sind beispielsweise ein Angebot aus dieser Netzwerkarbeit.
Aber nicht nur interessierte, sondern auch erfolgreich in der Kommunalpolitik aktive Frauen waren im Café Klostergarten des Mehrgenerationenhauses zusammenkommen und motivierten mit Informationen über ihren Werdegang in der Politik dazu, sich ebenfalls zu engagieren.
Als erste Frau mit Hosenanzug im Bundestag
Dass es dafür gute Gründe gibt, erläuterte Eva-Sofia Schlachtberger in ihrer Begrüßung. Sie machte darauf aufmerksam, dass der Frauenanteil in den kommunalpolitischen Gremien bei durchschnittlich 35 Prozent liege. Das sei zwar schon besser als noch vor Jahren, aber der Anteil der Frauen in der Bevölkerung liege bei 50 Prozent. Insofern sei man noch nicht am Ziel und das fragile Pflänzchen der Gleichberechtigung müsse gestärkt werden. Um gute Entscheidungen für alle zu treffen, „sind beide Blickwinkel wichtig“, so Schlachtberger.
In diesem Zusammenhang erinnerte sie an Lenelotte von Bothmer, die 1970 als erste Frau mit einem Hosenanzug eine Bundestagsrede gehalten hatte. Vorausgegangen war eine Feststellung des damaligen Bundestags-Vizepräsidenten Richard Jaeger (CSU), der erklärt hatte, dass er keiner Frau erlauben würde, das Plenum in Hosen zu betreten, geschweige denn an das Rednerpult zu treten.
Diese Zeiten sind längst vorbei – und für die aktiven Politikerinnen von heute, die im Franziskushaus übrigens alle in Hosen erschienen waren, ist das kein Thema mehr. Vielmehr geht es den Kommunalpolitikerinnen von heute um Entscheidungen für die Sache, die oft auf der Basis von Partei- beziehungsweise Fraktionszugehörigkeit gefällt werden.
So spielte an diesem Abend die unterschiedliche Parteizugehörigkeit der sechs Protagonistinnen auch keine Rolle. Mit Christine Klein, Josefine Koebe und Birgit Heitland waren es drei Frauen, die Politik inzwischen hauptamtlich betreiben, Lisa-Marie Blumenschein, Adriana Filippone und Antje Adam sind ehrenamtlich in der Bensheimer Kommunalpolitik engagiert.
Bürgermeisterin, Fraktionsvorsitzende aus dem Stadtparlament und Landtagsabgeordnete
Als Christine Klein vor fünf Jahren für das Bürgermeisteramt in Bensheim kandidierte, hatte sie sich ganz bewusst für eine unabhängige Kandidatur entschieden, nachdem sie sich über viele Jahre ehrenamtlich als SPD-Politikerin engagiert hatte. „Als Bürgermeisterin bin ich für alle Bürgerinnen und Bürger zuständig und da ist man ohne Parteibuch unabhängiger“. Generell empfindet sie es als schwierig, sich für eine Partei zu entscheiden, da alle demokratische Gruppierungen ihren Anteil an den Entscheidungen für die Gesellschaft haben. Schon während ihrer Berufstätigkeit bei der Hessischen Polizei engagierte sie sich für die Chancengleichheit von Frauen und vertrat im Helene-Weber-Netzwerk – ein bundesweiter Zusammenschluss von Kommunalpolitikerinnen – die überparteiliche Zusammenarbeit.
Die 26-jährige Lisa-Marie Blumenschein ist FDP-Fraktionsvorsitzende im Bensheimer Stadtparlament, Kreistagsabgeordnete und Mitglied im Ortsbeirat Auerbach. Ihr Interesse an der Politik wurde durch einen guten Politikunterricht am Gymnasium geweckt und bei ihrer ersten Bundestagswahl 2017 aktiviert. Über den Wahl-O-Mat fand sie höchste Übereinstimmung mit der FDP, in deren Jugendorganisation sie dann auch eintrat. Für die Kommunalwahl 2021 kandidierte sie und wurde in die Stadtverordnetenversammlung und in den Kreistag gewählt. Sie sei mit vielen neuen Themen konfrontiert worden und in die neue Rolle hineingewachsen. Sie habe in dieser Zeit viel gelernt, „auch für mich selbst“, rät sie möglichen Gleichgesinnten, „einfach anzufangen“, denn Politik beginne bei den Menschen.
Als Landtagsabgeordnete und Generalsekretärin der SPD Hessen hat es die 37-jährige Josefine Koebe vom politischen Ehrenamt ins Hauptamt geschafft und ihre wissenschaftliche Arbeit als Ökonomin mit der Politik getauscht. Ihr Thema Bildungspolitik ist aber nach wie vor Triebfeder und das führte auch dazu, dass sie sich „nicht trotz, sondern wegen ihrer Kinder“ nach der Rückkehr von Berlin nach Bensheim in der Kommunalpolitik engagierte. Als sich vor zwei Jahren für sie die Tür zum Landtag öffnete, musste sie eine ganz individuelle Entscheidung treffen: Denn eine Arbeit auf dieser Ebene bedeute, gut 22 Wochen weg von zu Hause zu sein. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie klappe dabei nicht immer, aber wenn man wolle, gehe ganz viel.
Positive politische Beispiele aus Bensheim und Zwingenberg
Auch die 30-jährige Adriana Filippone hatte eine „tolle Politiklehrerin“, die sie für die Thematik begeisterte. Die gebürtige Bensheimerin arbeitet als Kultur- und Eventmanagerin und hat ihr kommunalpolitisches Engagement mit der Kommunalwahl 2021 begonnen. Aktuell ist sie stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion, im Sozial-, Sport- und Kulturausschuss der Stadt und der Bensheimer SPD. Anfangs habe sie „mehr Respekt als Mut“ gehabt, aber sie habe von allen gelernt und sei in die Aufgabe hineingewachsen. Auch für Filippone ist die Partei nicht der Gratmesser, ihr gehe es um die Stadt. Da müsse man „auch manchmal den alten weißen Männern auf die Finger schlagen“, so die junge Wilde des Stadtparlaments.
Bereits seit 2001 engagiert sich Antje Adam für die Grünen in der Stadtverordnetenversammlung und hat als selbstständige Architektin sich seitdem mit vielfältigen Themen beschäftigt. Als sie anfing, reichten im städtischen Haushalt noch eine Million Euro für die Kinderbetreuung aus, heute sind es knapp 20 Millionen. Auch für sie war das Thema Gerechtigkeit, dass sie vor 42 Jahren mit damals 18 zu einer spektakulären Flucht aus der damaligen DDR veranlasste, die Motivation für ihr kommunalpolitisches Engagement. Nicht nur wegen der Kinderbetreuung, auch beim Thema Städtebau sei die weibliche Sicht von Bedeutung. Sei es bezüglich der Angsträume oder hinsichtlich der Verkehrswege, die insbesondere von Frauen mit Kindern genutzt werden. Beim Hinweis auf die gesetzlich verankerte Paritätsregelung verwies sie auf das Parlament in Ruanda, das den höchsten Frauenanteil habe, „weil die Männer versagt haben“.
Eine langjährige ehrenamtliche Karriere als Kommunalpolitikerin hat Birgit Heitland aus Zwingenberg hinter sich, bevor daraus 2017 als Landtagsabgeordnete ein Hauptamt wurde. Angefangen hatte es 1999 mit der Gründung der Frauenunion in Zwingenberg, daraus wurden 20 Jahre Engagement im Zwingenberger Stadtparlament, zuletzt als Stadtverordnetenvorsteherin. Dieses Amt hatte sie auch noch vier Jahre neben ihrer Aufgabe als Landtagsabgeordnete inne. Anders als bei Josefine Koebe waren ihre Kinder schon erwachsen, als sie sich der neuen Aufgabe in Wiesbaden widmete und konnte daher anders agieren. Für sie ist es in der politischen Arbeit wichtig, authentisch zu sein und sich selbst treu zu bleiben. „Das wird akzeptiert.“ Dabei müsse man auch mal unkonventionell sein, verwies sie auf eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit Josefine Koebe im Rahmen einer aufenthaltsrechtlichen Petition, mit der sie als Obfrau der CDU-Fraktion im Petitionsausschuss zu tun hatte. Gemeinsam habe man sich dafür eingesetzt, dass dem Jungen der Aufenthalt an der Schule noch verlängert wurde.
Insgesamt waren die politischen Lebensläufe der engagierten Frauen für das Publikum im Café Klostergarten sehr interessant und weckten zum Teil durchaus auch das Interesse für eine mögliche Mitgestaltung in der Zukunft. Einig waren sich in der anschließenden Gesprächsrunde alle, dass es Frauen in jedem Fall besser gelingt, parteiübergreifend zu arbeiten. Es wäre auf jeden Fall sinnvoll, Veranstaltungen dieser Art fortzusetzen, um interessierten Frauen Kontaktmöglichkeiten zu geben, aber auch um zu erfahren, was sich daraus ergeben hat.
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