Bensheim. Im vergangenen September präsentierte die Geschichtswerkstatt der Geschwister-Scholl-Schule (GSS) mit ihrem Buch „Gegründet 1936? Das Kaufhaus Ganz in Bensheim und seine jüdische Vorgeschichte“ die Ergebnisse einer 2017 begonnenen Recherche zu diesem Thema.
Nun konnte in der Alten Feuerwache des Museums Bensheim „GANZ schön jüdisch. Auf den jüdischen Spuren von Kaufhaus GANZ in Bensheim“ als Produktion von „Studio Geschichtswerkstatt Bensheim“ vorgestellt werden, ein Film, der diese Arbeit in einem anderen Medium fortsetzt. Fast zwei Jahre lang hatten die Schülerinnen und Schüler der Geschichtswerkstatt an ihrem dokumentarischen Kurzfilm gearbeitet.
Heraus kam eine überaus sehenswerte Auseinandersetzung mit den Umständen des Kaufhauserwerbs durch Ernst Ganz im Jahr 1936 von den jüdischen Vorbesitzern. Bemerkenswert ist unter anderem, dass der Film keine geglättete Lehrbuchversion bietet, sondern auch die Interpretation der Ereignisse aus unterschiedlichen Perspektiven. So kommen im Film sowohl Howard Wolff, der in den USA lebende Sohn der letzten jüdischen Kaufhausbesitzerin Else Schwabacher, zu Wort als auch Tatjana Steinbrenner, Enkelin von Ernst Ganz und heutige Mitinhaberin des gleichnamigen Kaufhauses.
Befragt werden Menschen, die sich seit Jahren intensiv mit dem Thema der Arisierung auseinandergesetzt haben wie Thilo Figaj (Vorsitzender des Heimat- und Kulturvereins Lorsch und Initiator der Dokumentation Landjudenschaft im Alten Schulhaus Lorsch) und Armin H. Flesch (freier Autor und Journalist).
Die dokumentarische Erzählung ist als Spurensuche inszeniert, bei der der von Marc Schwindt dargestellte „Moderator“ die Ereignisse rekapituliert und dabei viele Originalschauplätze aufsucht. Von der Stolpersteinverlegung vor dem Kaufhaus im Herbst 2024 ausgehend besucht er mit den Schülerinnen und Schülern das Stadtarchiv und stößt mit Hilfe von Archivleiterin Claudia Sosniak im Melderegister auf die Familie Jacoby, die im Jahr 1905 das Kaufhaus des Julius Heineberg in der Hauptstraße 5 gekauft hatte und später in den Mespelbrunner Hof (Hauptstraße 19) und schließlich in die Vorstadt – an den heutigen Standort - umzog.
Auf dem Alsbacher jüdischen Friedhof besucht die Schülergruppe im Rahmen einer Führung durch Nicole Rieskamp (Museumsverein Alsbach-Hähnlein) das Grab des 1932 verstorbenen Zacharias Jacoby. Auf dem für ein Doppelgrab vorgesehenen Grabstein fehlt der Name seiner Ehefrau. Damit visualisiert der Film die verheerende Entwicklung in den 1930er Jahren, die zum Verkauf des Kaufhauses und zur Flucht aller Mitglieder der Familie Jacoby/Schwabacher führten.
Kontrovers fallen im Film die Einschätzungen der Experten aus
Zwar konnten bis auf eine Person alle dem Tod entgehen, doch sahen sie einem ungewissen Schicksal entgegen. „Wie hat sich meine Mutter gefühlt, als sie Deutschland verlassen musste und nicht wusste, wohin sie gehen würde“, fragt Howard Wolff im Film. Tatjana Steinbrenner fordert einen offenen Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit und schließt sich im Interview der Kritik an ihren Eltern an, sich nicht mit der Frage auseinandergesetzt zu haben, wie rechtmäßig der Kauf durch Ernst Ganz im Jahr 1936 war – zugleich wendet sie sich gegen eine einseitige Sicht auf ihren Großvater, der es nicht gezielt auf den günstigen Erwerb jüdischen Eigentums abgesehen habe und später unter anderem ehrenamtlich viel für die Region getan habe.
Kontrovers fallen im Film die Einschätzungen der Experten aus: Thilo Figaj sah unter Berücksichtigung der Umstände im Jahr 1936 – als es unter anderem noch keine zwangsweisen Arisierungen gegeben hatte und der Boykott der jüdischen Geschäfte am 1. April 1933 mehr oder minder ins Leere gelaufen war – keinen außergewöhnlichen Grund zur Beanstandung. Armin H. Flesch dagegen schätzte den Erwerb durch Ernst Ganz als „absolut unmoralisch“ und auch formal als grobes Unrecht ein.
Insgesamt 26 Schülerinnen und Schüler waren am Projekt beteiligt
An die 25-minütige Filmvorführung schloss sich eine moderierte Gesprächsrunde an, in der beide Experten einen letztlich übereinstimmenden Blick auf die Problematik der Arisierung darlegten, gleichwohl im speziellen Punkt der Einschätzung des Verhaltens von Ernst Ganz unterschiedlicher Meinung blieben. Ganz habe im damaligen Scheinrechtsstaat in Kenntnis der materiellen Not der jüdischen Bürger vom Unglück anderer profitiert, betonte Flesch. Die Amoralität des Vorgangs betonten auch die Leiter der Geschichtswerkstatt, die Lehrer Frank Maus und Peter Ströbel: Der Vertrag enthielt die Option einer Ratenzahlung. Aus dem Exil flehten die Verkäufer immer wieder um deren Erfüllung, während Ernst Ganz mit Ausflüchten antwortete.
Über seine Erfahrungen im Rahmen des Projekts befragt, hob Marc Schwindt die Intensität eigener Recherchen im Vergleich zum Erlernen von Prüfungsstoff hervor. Emotional gepackt habe ihn der Besuch auf dem jüdischen Friedhof. Dabei habe er erstmals gesehen, wie groß der jüdische Anteil an der Gesellschaft gewesen sei und was Deutschland verloren habe.
Den am Projekt beteiligten insgesamt 26 Schülerinnen und Schülern dankte Gerhild Hoppe-Renner, Fachbereichsleiterin an der GSS, für ihre Zähigkeit und Ausdauer nach dem Motto „Grabe, wo du stehst“.
Bürgermeisterin Christine Klein dankte der Geschichtswerkstatt der GSS dafür, dass sie Geschichte sichtbar mache und sagte für die Zukunft die weitere Unterstützung durch die Stadt Bensheim, insbesondere durch das Archiv, zu. Gefördert wurde die Premiere durch das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ im Bereich „Partnerschaften für Demokratie“, in das die Stadt Bensheim aufgenommen wurde. Die Förderzusage für das laufende Jahr umfasst auch 60.000 Euro für konkrete Projekte aus einem Jugend- und einem Aktionsfonds.
Aufgrund der großen Nachfrage – zur Premiere waren trotz des Brückentags und des sehr warmen Wetters an die 50 Interessierte gekommen – ist eine zweite Vorführung des Films geplant, der Termin wird noch bekanntgegeben.
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