Parktheater

Jazzfest im Marathonformat im Bensheimer Parktheater

Von 
Thomas Tritsch
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Die Barrelhouse Jazzband feierte ihr 70-jähriges Bestehen am Donnerstag mit einem Konzert im Parktheater – auf Einladung von Veranstalter Klaus P. Becker. © Thomas Zelinger

Bensheim. „Forever New“ heißt die CD zum 70-jährigen Jubiläum der Barrelhouse Jazzband. In dem Titel vereinen sich Zukunft und Vergangenheit, Abschied und Neubeginn. Kein Zufall. Denn ab nächstes Jahr werden sich zwei prägende Musiker der legendären Band endgültig von der Bühne zurückziehen: Reimer von Essen und Horst „Morsch“ Schwarz, beide Mitte 80, übergeben an jüngere Musiker.

Die Staffel-Übergabe haben die Frankfurter von langer Hand geplant. Für Reimer von Essen kommt Matthias Seuffert (Klarinette, Saxophon), die Position von Horst Schwarz wird Trompeter Joachim Lösch übernehmen. Beide Musiker sind Anfang 50, fühlen sich dem traditionellen Jazz verpflichtet und haben schon oft als „Aushilfen“ in der Gruppe gespielt, die 1953 als Amateurband gegründet wurde und auf eine legendäre Karriere zurückblicken kann.

Zum 70-jährigen Barrelhouse-Geburtstag hat der Bensheimer Konzertveranstalter Klaus P. Becker am Donnerstag eine Jubiläumsgala im Parktheater organisiert, die sich bereits während des Konzerts einen Platz in den Annalen des deutschen Jazz gesichert hat: Denn es war einer der letzten Auftritte in dieser prominenten Besetzung. Unter dem Motto „Feel the Spirit!“ startet das Ensemble dann mit den frischen Gesichtern ab Januar neu durch.

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Frank Selten – seit 1961 Saxofonist der Band – wird die gelebte Tradition des über 50 Jahre natürlich herangewachsenen Barrelhouse-Sounds aber weiterhin begleiten. Im gut besuchten Parktheater war Selten, Jahrgang 1939, eine der tragenden Säulen des markanten Frontgebläses, das über die Jahrzehnte nichts an Energie und Spielfreude verloren hat. „Es war uns eine Ehre“, sagte Reimer von Essen gewohnt gentleman-like nach dem knapp dreistündigen Konzert, das nach einem großen Finale mit langem Applaus kommentiert wurde. Dieter Nentwig moderierte das Jazzfest im Marathonformat.

Internationale Gäste

Die Besetzung im Parktheater wurde durch internationale Gäste erweitert, was dem Gastspiel im Rahmen der Sommerfestspiele Bensheim-Auerbach eine besondere innere Dynamik geschenkt hat. Der Stamm mit Christof Sänger am Piano, Roman Klöcker an Gitarre und Banjo, Michael Ehret am Schlagzeug und der in Bensheim in jedweder Formation immer wieder gern gehörten (und gesehenen) Lindy Hupperstberg („Lady Bass“) wurde von drei versierten Jazzern ergänzt, die dem Grundsound frische Impulse und Energie injiziert haben.

Allen voran der brillante Posaunist Patrick Bacqueville aus Frankreich, der mit seinem warmen, dichten Ton perfekt mit der ebenfalls geschmeidigen Trompete von Edward Heitger (New Orleans) harmonierte. Er gilt als einer der führenden Trompeter des Hot Jazz und hat in Bensheim Stücke wie das von Coleman Hawkins virtuos verjazzte „Tea For Two“ oder Duke Ellingtons Standard „Just Squeeze Me (But Please Don’t Tease Me)“ fein akzentuiert und instrumental auf Trab gebracht.

Und Bacquevilles französisch angehauchtes Englisch hat seinen Vokalparts eine ganz eigene leichte Eleganz geschenkt. Sehr smooth und konturenstark erklang auch „Sweet Georgia Brown“, die als klassische Jam-Session-Nummer auch in Bensheim gezündet hat. Unter vielen, vielen anderen hat auch Louis Armstrong das Stück aufgenommen. Als Hommage an „Satchmo“ ist auf der aktuellen Barrelhouse-Tour Jterrence Ngassa mit einem kleinen Tribute-Programm integriert.

Der Trompeter aus Kamerun, der lange mit Paul Kuhn gespielt hat und heute in Köln lebt, servierte „On The Sunny Side Of The Street“ und „Hello Dolly“ im authentischen Armstrong-Stil. Die Begeisterung für ihn habe er von seinem Vater geerbt, erklärte Ngassa. Der war Solotrompeter im Nationalorchester Kameruns, sein erstes Vorbild und sein Mentor.

Die Hommage (natürlich auch mit „What A Wonderful World“) war sicherlich ein Genuss für Freunde akustischer Reminiszenzen – auf jeden Fall aber eine schöne Auflockerung zum Ende des ersten Konzertteils, den die Barrelhouse Jazzband recht gediegen und vornehm in alter Besetzung bestritten hat. Reimer von Essens tiefe Klarinette, sein kreolischer Gesang zum karibischen „Salée Dame“ von Albert Nicholas und die stets charismatischen Arrangements bekannter Klassiker waren Hörgenuss pur.

Auch, wenn die Musiker in der ersten halben Stunde das Gaspedal noch nicht ganz durchgetreten hatten: Die Formation braucht kein Vollgas, man rollt eher soft im Rolls Royce anstatt hektisch durch die Kurven zu rasen und womöglich aus der Spur zu fliegen. Bei Jelly Roll Mortons emotional vielfarbigen Prachtstück „The Pearls“ aus den späten 30er Jahren offenbarte die Band ihre ganze Qualität und instrumentale Klasse. Reimer von Essen stieß 1962 dazu, Frank Selten ein Jahr später. In der Folgezeit prägten die Musiker immer stärker ein eigenes Profil mit neuen Arrangements und Kompositionen, die vor allem Horst Schwarz – seit 1971 fest bei der Barrelhouse Jazzband – zu verdanken sind.

Ellingtons feuriger Standard „Caravan“ präsentierte die Formation in leicht variierter Form, gespickt mit einem klasse Piano-Solo und viel drive in der bestens eingespielten Rhythmusgruppe, die als Gerüst der drei Stargäste im zweiten Set noch an Druck und Kraft zugelegt hat.

Neues Kapitel der Band-Biografie

Nach der Pause wurde es vitaler, scharfkantiger und zügelloser, ohne den klassischen Barrelhouse-Stil zu verwässern. Zurück mit den Veteranen an der Front erklang dann noch eine aufregende Neubearbeitung von „I’ve Got My Fingers Crossed” von Fats Waller, bevor es langsam Richtung Finale ging – mit allen Musikern auf der Bühne. Ein musikalisch inszenierter Personalwechsel als kunstvoll arrangierter Beginn eines neuen Kapitels in der Biografie einer Band, die sich immer wieder von innen heraus erneuert hat. „Forever New“ eben. Eine Ära endet, eine andere beginnt.

Nach drei Absagen in Folge hat es mit dem Gastspiel endlich geklappt. Von 2020 bis 2022 hatten die Festspiele alle Veranstaltungen aufgrund der Corona-Krise abgesagt. Der künstlerische Leiter ist mit der dienstältesten deutschen Band des klassischen Jazz und Swing seit 1994 eng verbunden. Seither haben sie elf Mal im Rahmen seiner Reihe in Bensheim gespielt.

Im Parktheater waren am Donnerstag viele Stammgäste dabei, die mit der Band älter geworden sind. „Hallo, liebe Risikogruppe“, begrüßte der Veranstalter augenzwinkernd das Publikum nach längerer Kulturpause durch die Pandemie. „Die Barrelhouse Jazzband ist mein Jahrgang“, so Becker, der mit 30 Jahren Festspielen und 70 Jahren Barrelhouse an diesem Abend ein doppeltes Jubiläum inszenieren konnte.

Freier Autor

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