Bensheim. „Ist die evangelische Kirche die einzige große Reformgemeinschaft, welche sich erfolgreich entfalten konnte?“, wollten Schüler des evangelischen Religionskurses im neunten Jahrgang der Geschwister-Scholl-Schule wissen. Im Zuge der Bearbeitung des Themas „Reformation“ kam die Frage auf, welche weiteren Reformbewegungen es bei den Weltreligionen gibt. Hierbei wurde unter anderem die in Bensheim engagierte muslimische Ahmadiyya-Gemeinde thematisiert. Viele Kinder und Jugendliche dieser Gruppe besuchen unter anderem die GSS.
„Wenn so viele Glaubensanhänger der Ahmadiyya-Bewegung aus ihrer Heimat flüchten und in demokratischen Ländern eine sichere Bleibe suchen, würden wir gerne mehr darüber erfahren“, formulierte beispielsweise Justus Grüger. Nina Roth ergänzte: „Gibt es eigentlich Gemeinsamkeiten zwischen den Ahmadis und der evangelischen Kirche – schließlich vertreten sie doch auch reformatorische Glaubensprinzipien?“
Reformen im Christentum und Islam
Um die Unterrichtserkenntnisse um Informationen aus erster Hand zu ergänzen, entschied man sich, die Ahmadiyya-Gemeinde aufzusuchen und dortige Vertreter zu interviewen. So besuchten die GSS-Schüler schließlich die Bensheimer Bashier-Moschee.
Gemeinsam mit ihrem Lehrer Frank Maus trafen sie auf Imam Murtaza Mannan. Nach einer Vorstellungsrunde stellten die Schülerinnen und Schüler vorbereitete Präsentationen über Martin Luther und seine Kritik an römisch-katholischer Kirchenpraxis des 15. und 16. Jahrhunderts vor.
Hierüber kamen die Schülerinnen und Schüler mit dem Imam Murtaza Mannan ins Gespräch. Die Schülerinnen und Schüler erläuterten dabei unter anderem, warum die Reformation überhaupt entstanden ist und wie Martin Luther und seine Unterstützer über Jahrzehnte agiert haben. Mannan stellte Fragen, welche durch die Schülerinnen und Schüler beantwortet wurden.
Auch persönliche An- und Einsichten zur Religion wurden thematisiert
Als Ergänzung hierzu erzählte Murtaza Mannan, wie der Ahmadiyya-bezogene Reformationsansatz im Islam entstand. Die Schülerinnen und Schüler thematisierten nochmals die Finanz-Interessen des katholischen Ablass-Handels zu Beginn des 16. Jahrhunderts sowie die damit hervorgerufene Verzerrung wahrer Reue. Mannan erzählte, dass ähnliche Dinge im Islam passierten.
Er sagte: „Der Islam und das Christentum haben viele Dinge gemeinsam. Dies gilt einerseits für Glaubengrundsätze, aber auch bezüglich dem, was Menschen daraus machen.“ Bei beiden Religionen seien vergleichbare Dinge passiert, wenn auch im Detail unterschieden werden müsse. „Wir Ahmadis setzen uns zum Beispiel für eine Abkehr von Aberglauben und gewaltfördernden Irrtümern ein.“
Den Schülerinnen und Schülern war es auf einer zweiten Ebene wichtig, auch persönliche An- und Einsichten zur Religion zu thematisieren. Daher sprach man unter anderem darüber, ob die Angst vor der Hölle ein wichtiges Thema sei oder nicht. Ebenso tauschte man sich darüber aus, wo der Himmel und wo die Hölle nach Vorstellung der jeweiligen Religion und nach persönlicher Einschätzung ist und wieso dies oder das einleuchtend erscheine.
Innerdeutsche Probleme spielten bei der Diskussion eine Rolle
Alle Schülerinnen und Schüler hatten zusätzlich Plakate mitgebracht, anhand derer sie sich mit ihren Ängsten auseinandergesetzt hatten und dem, was sie von Angst befreit. Die Rolle der Religion spielte dabei auf verschiedene Weise eine Rolle. Da manche Christen von den Gebetsbewegungen der Muslime irritiert seien, erläuterte Murtaza Mannan, wie und wann im Islam gebetet wird und was die einzelnen Bewegungsabläufe bedeuten. Er erzählte, was dabei gesungen wird und präsentierte auch einen Teil davon.
In einer Abschlussrunde erörterten die Schüler mit dem Imam und ihrem Lehrer Frank Maus aktuelle gesellschaftliche Fragestellungen. Hierbei spielten erwartungsgemäß auch innerdeutsche Probleme eine zentrale Rolle. Timo und Felicia Eberle fragten zum Beispiel: „Wie gehen Sie damit um, dass radikale muslimische Gruppen eine Abschaffung der Demokratie und stattdessen einen Kalifatstaat fordern?“
Klare Trennung von Staat und Religion
Auf diese Weise nach dem Verhältnis von Religion und Staat befragt, vertreten Ahmadiyya-Muslime laut Imam Mannan eine eindeutige Position: „Personen, die in ein fremdes Land gehen, müssen diesem Land, seinen Regeln und der dortigen Gesellschaft dienen. Ahmadis engagieren sich definitiv für das moderne Deutschland sowie die hiesigen Werte und Normen. Deshalb zeigen wir bewusst offen und für alle erkennbar, dass uns Deutschland wichtig ist. Wir begrüßen das deutsche Grundgesetz und die freiheitliche Gesellschaft ausdrücklich und investieren viel Kraft in ein gutes innergesellschaftliches Miteinander aller Menschen hier. Der Ahmadiyya-Islam bekräftigt die klare Trennung von Staat und Religion“.
Forderungen nach einem politischen Kalifat in Europa, wie man es in Hamburg gesehen habe, werde man von der Ahmadiyyah_Gemeinschaft nicht hören– im Gegenteil gelte: „Wir, die Ahmadiyya-Gemeinschaft, glauben an ein Kalifat auf der Grundlage von spiritueller Nachfolge des Verheißenen Messias und Mahdi, Mirza Ghulam Ahmad Qadian und nicht an eine politische Herrschaft.“ Dieses Kalifat im religiösen Sinne liege in den Händen von Kalifen, die von Gott geleitet werden. Der Kalif der Ahmadiyya Muslim Jamaat werde als der spirituelle Anführer der ganzen Welt betrachtet. Seine Führung erstrecke sich über die gesamte weltweite Ahmadiyya-Gemeinschaft, und er repräsentiere ihre Werte von Frieden, Gerechtigkeit und den wahren Lehren des Islam. Derzeit werde die Gemeinschaft von dem fünften Kalifen, Hadhrat Mirza Masroor Ahmad, geleitet, der weltweit Millionen von Ahmadi-Muslimen spirituell anführt und vereint.
Interkultureller und interreligiöser Dialog schaffe Vertrauen und Verständnis
Mannan ergänzte, dass man sich in seiner Gemeinde daher große Sorgen um Gewaltausbrüche mache: „In der hiesigen Gemeinde haben wir uns zum Beispiel ausführlich über das brutale Messerattentat in Mannheim unterhalten. Wir verurteilen Gewalt, egal von welcher Seite sie kommen mag.“
Alle Anwesenden waren sich einig, dass Formen des interkulturellen und interreligiösen Dialogs unbedingt fortgesetzt werden sollten. Dies schaffe Vertrauen und Verständnis auf allen Seiten. Nach einem kleinen Imbiss und Verabschiedungsworten machte sich die Gruppe schließlich auf den Rückweg zur Schule. red
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