Bensheim. 30 Wohnungen an einem Grundstück direkt an der Bahn, zentral gelegen auf einer Fläche, die kaum einer haben wollte, als die Bahn sie zum Verkauf anbot: Was bringt dieses Projekt Bensheim? Im kommunalpolitischen Raum wird darüber seit mehr als eineinhalb Jahren diskutiert.
In der jüngsten Stadtverordnetenversammlung wurde vorerst ein Schlusspunkt gesetzt. Eine Mehrheit stimmte für den Durchführungsvertrag zum Bebauungsplan in der Dammstraße und schließlich für den Bebauungsplan selbst. Rund um das alte Stellwerk kann somit gebaut werden.
Die Argumente waren in den vergangenen Monaten längst ausgetauscht worden. Dennoch setzten sich die Redner der Fraktionen noch einmal mehr oder weniger intensiv mit dem Vorhaben auseinander. „Wir müssen jetzt mal einen Haken dranmachen“, meinte Feridun Bahadori (CDU). Seine Partei habe sich klar und deutlich dazu bekannt. Die dortige Brache verschönere nicht die Stadt. Man sei daher froh und dankbar, dass in einer Zeit wie dieser ein Investor komme und ein Risiko eingehe. „Wir haben die Leitplanken gesetzt, damit so etwas vorangeht.“
Prägend für das Stadtbild
Es sei eine zukunftsweisende Entscheidung, denn das Bauwerk werde an dieser Stelle das Stadtbild prägen. Der Bebauungsplan sei klar gefasst mit eng geschnürten Vorgaben, bis hin zum Grundriss der Wohnungen. Wohnen sei ein Grundrecht - und man brauche auch solche Wohnungen, die dort konzipiert werden. „Wir haben in Bensheim einen wahnsinnigen Druck auf den Wohnungsmarkt.“ Deshalb solle man nicht überall behindern und Steine in den Weg legen, so Bahadori.
Für den Investor sei es mit dem Gelände nicht einfach, deshalb sollte man ihm nicht noch mehr wehtun. Er verteidigte den viel diskutierten Verzicht auf die Infrastrukturabgabe in Höhe von rund 100 000 Euro, weil nur zwei der 30 Wohnungen ein Kinderzimmer haben dürfen. Der Beitrag muss in der Regel gezahlt werden, um die durch Bauvorhaben verursachten steigenden Nachfragen nach Betreuungsplätzen zu decken, das Geld fließt demnach in den Neu- oder Umbau von Kitas.
„Wir sind von diesem Vorhaben nur mäßig begeistert, das haben wir schon öfter zum Ausdruck gebracht“, konstatierte Thomas Götz (Grüne) und listete auf: problematische Verkehrssituation, wenig sensibler Umgang mit dem Denkmalschutz, Vorgaben zur Photovoltaik („nur Feigenblattcharakter mit 18 Prozent“) und das faktische Verbot für Familien mit Kindern.
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Diesen letzten Punkt habe auch das Regierungspräsidium kritisch gesehen und unter anderem in einer Stellungnahme gefragt, was passiert, wenn ein junges Paar ein Kind bekommt. „Muss es dann ausziehen? Oder ist diese Regelung dafür da, die Gemüter zu beruhigen und weitere Kosten vom Investor fernzuhalten“, zitierte Götz und merkte an, dass diese Aussagen nicht von einer „übellaunigen Opposition“ stammen, sondern vom RP.
Dass die Infrastrukturabgabe nicht erhoben wird, konnte Götz nach wie vor nicht nachvollziehen, vor allem, weil man mit Blick auf den Haushalt sicherlich eine Verwendung für das Geld finden würde.
Ralph Stühling (SPD) sprach sich hingegen für die Bebauung der Fläche aus. „Nahverdichtung - wenn nicht dort, wo sonst?“ Es sei kein Top-Grundstück, aber es gebe einen Investor, der den Mut habe, hier zu bauen. Lärmpegel und Energie seien eine Herausforderung, würden vom Bauherrn aber umgesetzt und beachtet.
Thorsten Eschborn kommentierte die bereits mehrfach geführten Debatten zur Dammstraße mit einem ironischen Ansatz. „Meine Auffassungen können sie nachlesen in Eschborns Reden, Band eins, Seite 58“, verkürzte der FDP-Fraktionschef zu vorgerückter Stunde die Diskussionsdauer. Seine Fraktion werde auch heute wieder zustimmen.
Schallschutzwerte überschritten
Etwas ausführlicher betrachtete Norbert Koller für die BfB die Sachlage und wiederholte dabei die von der Wählergemeinschaft angeführte Kritik. Das Projekt sei überdimensioniert, das RP habe erhebliche Bedenken wegen des Lärms von der Bahn, von Gesundheitsgefährdung sei die Rede. Auch der Kreis sehe die Schallschutzwerte überschritten.
Als Ausweg werde eine gebäudehohe Schallschutzwand vorgeschlagen. Gebe es dazu schon Darstellungen und konkrete Zusagen? „Wer blickt bei den Schallschutzdetails wirklich durch? Ein völlig unpassendes und gesundheitsgefährdendes Vorhaben soll mit aller Gewalt durchgesetzt werden“, kritisierte Koller. Vielmehr sei eine gut gestaltete Grünzone die richtige Lösung. Alle Stimmberechtigten in der Stadtverordnetenversammlung stünden in der Verantwortung, „eine weitere Bausünde zu verhindern“.
Die FWG signalisierte dennoch in Person von Peter Leisemann Zustimmung. Man habe grundsätzlich nichts gegen eine Bebauung einzuwenden, ein Manko sei jedoch die hohe Bebauungsdichte mit wenig Grünanteilen.
Rolf Kahnt (Vernunft und Augenmaß) merkte an, dass er schon die Bedenken bei einem solchen Bau an der Dammstraße sehe. Generell gehe es aber darum, einen Investor zu finden, der Wohnraum zur Verfügung stelle. Es sei daher in Ordnung, seinen Belangen etwas entgegenzukommen.
Erste Stadträtin Nicole Rauber-Jung (CDU) ergriff vor der Abstimmung ebenfalls das Wort. „Wenn man dort keine Innenentwicklung machen möchte, wo will man sie dann in Bensheim machen?“, fragte sie eher rhetorisch in die Runde. Wenn man mit dem Zug durch das Rhein-Main-Gebiet fahre, werde man links und rechts der Bahngleise überall neue Bauprojekte sehen.
Wohnraum schaffen als Ziel
„Der Investor setzt dort passiven Schallschutz um, so dass es in den Innenräumen leiser sein wird als an 95 Prozent der anderen Häuser entlang der Bahn, weil es Altbebauung ist. Die Leute dort leiden wesentlich mehr unter der Lärmbelastung als die künftigen Bewohner am Stellwerk.“
Thomas Götz sah sich veranlasst klarzustellen, dass er sich für eine Innenentwicklung an dieser Stelle durchaus ausgesprochen habe. Der Punkt sei nicht, ob man dort was tue, sondern was man dort tue. „So wollen wir es nicht. Im Prinzip kann man sonst schon Wohnraum dort schaffen.“
Letztlich änderte sich das bisherige Abstimmungsverhalten nicht. Für den Durchführungsvertrag und den Bebauungsplan votierten Koalition, FWG und VuA, Grüne sowie BfB lehnten ab, außerdem gab es zwei Enthaltungen aus den Reihen der SPD.
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