Bensheim. Es geht nicht um irgendeinen Krieg, sondern um den Krieg an sich. Was er im Menschen zerstört, wie er Biografien ausbombt und heimatlose Identitäten gebärt. Es ist die Geschichte des 19-jährigen Wahab, der im Halbdunkel zwischen Zukunft und Vergangenheit innehält und an der Schwelle zum Erwachsenwerden sein Leben reflektiert.
Das sehr emotionale und durchweg intensive Monodrama „Im Herzen tickt eine Bombe“ des vielgespielten frankokanadisch-libanesischen Dramatikers Wajdi Mouawad wurde am Freitagabend im Parktheater aufgeführt.
Zu Gast war das Schauspiel Frankfurt, das mit der vorletzten Veranstaltung im Rahmen der Woche junger Schauspielerinnen und Schauspieler eine bewegende Stunde Solotheater mitgebracht hatte. Die Inszenierung von Martha Kottwitz mit einem überzeugenden Abdul Aziz Al Khayat in der einzigen Rolle hat das Publikum zu langem Applaus motiviert. Der Schauspieler balanciert in seiner Performance immer wieder nah am Abgrund, wo gefühlvolles Spiel und Emotion in banales Betroffenheitsgetue und schwülstiges Pathos abstürzt – und bleibt dennoch aufrecht bis zum Schluss.
Das Stück offenbart die inneren Turbulenzen des Mannes, ohne ihn vorzuführen. Als Khayat kurz vor dem Ende mit den Tränen kämpft, ist man sich nicht sicher, ob das Spiel oder Realität ist – oder beides.
Aus Syrien geflohen
Abdul Aziz Al Khayat war mit seiner Familie 2012 vor dem Bürgerkrieg in Syrien zunächst nach Ägypten geflohen und kam nach dem Abitur im Jahr 2018 nach Deutschland, wo er seither als Stipendiat an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt Schauspiel studiert. Trotz der persönlichen Lebenswege betont der junge Künstler beim Nachgespräch im Gertrud-Eysoldt-Foyer den universalen Charakter des Stücks, das keineswegs auf den Libanon beschränkt sei. Nach wenigen Minuten tauchen auf der großen Leinwand, die während des Stücks großformatig bemalt und bespritzt wird, die Landesfarben der Ukraine (blau und gelb) auf.
Der mit wenigen weißen Würfeln ausgestattete Bühnenraum von Olga Gromova ist die Projektionsfläche für das Action-Painting des Protagonisten, der mit Rolle und Pinsel zur bedrohlichen elektronischen Musik von Alex Matwijuck und Max Mahlert seine Emotionen in spontane Farbfetzen übersetzt. Ausgerechnet die abstrahierende Malerei ordnet das Chaos im Kopf. Die nervöse, spannungsgeladene Situation wird durch den Sound noch verstärkt.
Man wisse nie, wie und wann eine Geschichte beginnt, erklärt Wahab am Anfang des Stücks: Mitten in einer stürmischen Winternacht auf dem Weg durch die Stadt ins Krankenhaus zu seiner sterbenden Mutter kollidieren in ihm Trauer und die Traumata, Schmerz und Wut, Hoffnung und Resignation. Krieg und Migration haben Spuren hinterlassen. Der junge Mensch nutzt die Kunst, um sich selbst zu finden und um dem unaussprechlichen Leid einen bildhaften Ausdruck zu geben.
Der Text, übersetzt von Uli Menke, enthält viele essayhafte Passagen, die immer wieder Brüche in der Dramaturgie auslösen und Distanzen schaffen. Am Anfang kommt die Stimme vollständig aus dem Off, später wird sein Gesicht in Comic-Ästhetik auf die Leinwand projiziert. Man erkennt Szenen aus Frankfurt und die Umrisse des Theaters. Zeitgleich spricht er über seine Mutter und ihre Verwandlung durch die schwere Krankheit, über die ferne Heimat und den Krieg, den er dort als Kind miterleben musste, und auch an das Schweigen der Familie, durch das Schmerz und Liebe, Wut und Zärtlichkeit, Angst und Hoffnung geräuschlos in der Seele verharren. In einem wilden Gedankenstrudel bricht es aus ihm heraus.
Die nächtliche Busfahrt wird zum kathartischen Psychotrip in die Vergangenheit. Er erinnert sich an einen von religiösen Fanatikern angezündeten Bus, in dem Menschen brennen, während ihn der auf Hessisch zeternde Busfahrer wegen des Fahrgelds nervt. Am Ende beginnt er die nächste Etappe seiner Reise – nun mit Zuversicht und neuen Perspektiven. Mouawads Text wird in Frankfurt als Klassenzimmerstück für Jugendliche ab 14 Jahren inszeniert. Auch in Bensheim haben viele Schüler die Aufführung besucht: ein modernes Portrait des Künstlers als junger Mann und ein starkes Plädoyer für die Kraft der Kunst.
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